Isolde Sellin studiert im Master Literatur- und Kulturtheorie. Ihr Vater hat über 60 Jahre als Buchhändler gearbeitet und mit seiner Tochter viel über Literatur diskutiert. Nachdem bei ihm Krebs diagnostiziert wurde, hat Isolde Sellin mit ihm einen Podcast über die Bücher seines Lebens und die Bedeutung von Literatur produziert – ein literarisches Vermächtnis.
Wie kam es zu dem Podcast „Von Vater zu Tochter: Bücher eines Lebens“?
Mein Vater war sein ganzes Leben lang Buchhändler und Antiquar. Ich habe mit ihm immer über Literatur gesprochen. Man kann vielleicht sagen, dass wir unsere Vater-Tochter-Beziehung in besonderer Weise über Literatur gelebt haben. Die Idee, aus diesen Gesprächen einen Podcast zu machen, kam mir im Sommer 2024, nachdem deutlich wurde, dass mein Vater seine Krebserkrankung nicht überleben würde.
Der Podcast hat für mich den Charakter eines Vermächtnisses und er ist für mich persönlich auch eine Form, Abschied zu nehmen. Gleichzeitig ging es mir mit dieser Studienarbeit darum, das Wissen meines Vaters und diesen großen Fundus an Geschichten über Bücher, über Literatur, über den Buchhandel allgemein und über das Leben als Antiquar zu bewahren.
Mein Vater hat andere Leute immer gefragt: Welches Buch hat dein Leben verändert? Entsprechend waren auch für mich im Podcast die zentralen Fragen an meinen Vater: Welche Bücher haben Dich besonders geprägt? Welche Bedeutung kann Literatur für ein Leben haben? Bei der Moderation des Podcasts habe ich versucht, die Balance so zu halten, dass die Zuhörerinnen und Zuhörer einerseits etwas über meinen Vater und über den Buchhandel allgemein erfahren, andererseits aber auch Informationen zu den Autorinnen und Autoren und ihrer Literatur.
Der Podcast ist zugleich auch Studienarbeit in Ihrem Masterstudiengang…
Ich mache einen Doppel-Master in Literatur- und Kulturtheorie sowie in Allgemeiner Rhetorik. Im Rahmen des Masters Literatur- und Kulturtheorie ist eine freie Studienarbeit, das Projektmodul, verpflichtend. In der Gestaltung sind wir dabei sehr frei: Wir können Veranstaltungen organisieren, eine Zeitschrift konzeptualisieren – oder einen Podcast machen. Generell ist es ein Studiengang mit sehr vielen Freiheiten: Man kann sich aus allen Geistes- und Sozialwissenschaften genau das auswählen, was einen interessiert – das ist toll.
Der Studiengang an sich beinhaltet – wie der Name schon sagt – sehr viel Theorie. Im Projektmodul geht es darum, die Theorie aus dem Studium in die Praxis zu überführen. Denn das ist später auch im Berufsleben ganz elementar, wenn man nicht eine akademische Laufbahn anstrebt. Mich persönlich hat das Medium Podcast schon immer am meisten interessiert. Natürlich ist der Podcast auch eine gute Arbeitsprobe im Hinblick auf mein Ziel, später einmal im Journalismus zu arbeiten.
Nicht alle Studienprojekte haben einen so persönlichen Bezug wie bei mir. Aber Professor Georg Braungart, zu diesem Zeitpunkt noch Studiengangsverantwortlicher, und Dr. Lily Tonger-Erk, die auch Zweit-Betreuerin meiner Masterarbeit ist, waren von Beginn an sehr offen gegenüber meiner Projektidee und haben mich bestmöglich bei der Umsetzung unterstützt.
Wie haben Sie die Idee für den Podcast schließlich realisiert?
Nachdem ich meine Projektidee mit Georg Braungart und Lily Tonger-Erk besprochen hatte, habe ich meinen Vater gefragt, ob er sich überhaupt vorstellen kann, an einem Podcast über Literatur und Bücher mitzuwirken. Er hat schnell Ja gesagt und mir eine Liste mit zwölf Büchern gegeben, die ihm wichtig waren und über die er mit mir reden wollte. Manche davon kannte ich schon, andere habe ich schnell gelesen und versucht, aus diesem Fundus an Büchern Themen für den Podcast zu finden.
Mein Vater war Zeit seines Lebens selbsterklärter passionierter Pessimist. Eine Folge des Podcast beschäftigt sich daher mit dem Thema Pessimismus und dazu passenden Büchern aus der Liste meines Vaters. In einer anderen Folge spreche ich mit ihm über die Schönheit des Lebens, das Naturerlebnis und die Beziehung zur Natur. Grundlage sind hier unter anderem Gedichte von Friedrich Hölderlin und Reiner Maria Rilke. Auf diese Weise sind aus der Bücherliste sechs Folgen für den Podcast entstanden. Die siebte und letzte Folge trägt den Titel „Was ich Dich noch fragen wollte“.
Für jede Folge hatte ich meinem Vater vorab ein paar Fragen gegeben. Ein festes Skript gab es nicht, denn ich wollte, dass mein Vater möglichst authentisch spricht – ohne ständig daran zu denken, dass er gerade aufgenommen wird. Die Produktion des Podcasts hat zwei Monaten gedauert. Ich habe mit kleinen Mikros gearbeitet, die ich meinem Vater angesteckt habe. Alles war semi-professionell, aber meine Priorität war, dass es schnell geht. Denn ich hatte Angst, dass mein Vater zu krank für die Aufnahme wird oder vor Fertigstellung an seiner Erkrankung stirbt. Tatsächlich ist mein Vater wenige Wochen nach der Veröffentlichung des Podcasts gestorben.
Im Anschluss habe ich noch einen Projektbericht geschrieben, in dem ich das Ganze noch mal reflektiert habe: Was waren die Herausforderungen, wie sah der Planungsprozess aus und wie ließ sich mein Konzept letztendlich in der Realität umsetzen? In diesen Bericht sind auch Aspekte aus der literaturwissenschaftlichen Theorie eingeflossen.