Juristische Fakultät

14.02.2023

Zur Leistungsfähigkeit des Rechts und deren Grenzen

Examensfeier der Juristischen Fakultät vor großer Kulisse

Nach dem Ende der Pandemie konnte endlich wieder in einem voll besetzten Festsaal am 8. Februar 2023 in der Neuen Aula die traditionelle Examensfeier der Juristischen Fakultät stattfinden. Dabei wurden nicht nur den zahlreichen Absolventinnen und Absolventen der vergangenen Examenskampagne ihre Zeugnisse übergeben, sondern auch die silbernen und goldenen Promotionsjubilare geehrt. Außerdem wurden die besten Doktorandinnen und Doktoranden mit dem Preis der Reinhold-und-Maria-Teufel-Stiftung Tuttlingen ausgezeichnet.

Nach dem musikalischen Auftakt durch das von Maurizio Ruoff, Sebastian Fetzer und Anne Mauz, sämtlich Mitglieder der Fakultät, glänzend gestaltete Streichtrio begrüßte Prof. Jens-Hinrich Binder, seit Oktober 2022 Dekan der Fakultät, alle Anwesenden und beglückwünschte die zahlreichen Examinierten zur bestandenen Ersten Staatsprüfung.

Alle Absolventinnen und Absolventen könnten stolz auf sich sein, eine der schwersten Studienprüfungen erfolgreich gemeistert zu haben, so Dekan Binder, zumal das Stichwort „Corona“ gerade für sie mit besonders drastischen Einschränkungen im Studium und der Examensvorbereitung verbunden war: Bedeutende Teile des Studiums mussten ja im Lockdown und damit ohne physischen Zugang zur Universität, ohne den persönlichen Kontakt untereinander und zum Lehrkörper absolviert werden. Damit hätten sie die Grenzen der Leistungsfähigkeit des Rechts ebenso hautnah erlebt wie den Versuch von Legislative und Exekutive, diese Grenzen wenn nicht zu überspannen, „so doch mit unerbittlicher Härte auszureizen“: Recht, so der Dekan, wurde als zunehmend hektisch und inkonsistent eingesetztes Instrument der Macht erlebt. Und damit zugleich diente „Recht als Ursache für Polarisierung und Spaltung.“ (Binder).

Auch Sintje Leßner, Präsidentin des Landesjustizprüfungsamts, gratulierte den Examinierten ganz herzlich. Jede und jeder dürfe sich, ganz unabhängig von der erzielten Examensnote, feiern und feiern lassen. Von der außerordentlich hohen Anzahl von 178 Kandidaten und Kandidatinnen hätten immerhin 122 die Erste Staatsprüfung bestanden, davon vier mit „gut“ und 22 mit „vollbefriedigend“. Der Examensbeste Levin Maurer erzielte die Gesamtnote (Staatsexamen plus Schwerpunktprüfung) von 12.91 und erhielt dafür den Examenspreis der Juristischen Gesellschaft in Höhe von 750 €.

Im Festvortrag referierte Prof. Jörg Eisele zum Thema „Das Gesetz zur Herstellung der materiellen Gerechtigkeit“. Mit diesem Gesetz wurde Ende 2021 in § 362 Nr. 5 StPO eine Regelung aufgenommen, nach der eine Wiederaufnahme des Strafverfahrens zu Ungunsten des Täters möglich ist, aber nur dann, wenn neue Tatsachen oder Beweismittel beigebracht würden, die dringende Gründe für die Verurteilung eines zuvor freigesprochenen Angeklagten wegen Mordes oder bestimmter völkerrechtlicher Verbrechen darstellten. Der Referent, der sich zu Beginn seiner Rede auch als ehemaliger Tübinger Student „outete“, konfrontierte diese aktuelle Gesetzgebung mit dem verfassungsrechtlichen Gebot des in Art. 103 Abs. 3 GG verankerten Grundsatzes „ne bis in idem“ (d.h. Verbot der Zweifachbestrafung). Anlass der Gesetzgebung war der Kriminalfall Frederike von Möhlmann, die im Jahre 1981 getötet wurde, ohne dass dem Tatverdächtigen ein Mord nachgewiesen werden konnte. Erst 30 Jahre später wurde dessen Täterschaft mit Hilfe einer DNA-Analyse doch noch nachgewiesen. Aufgrund der Rechtskraft des Freispruchs war aber vor Erlass der Neuregelung eine erneute Verfolgung unmöglich. Dem Festredner war es wichtig zu betonen, dass es sich hier nicht um den klassischen Fall des „ne bis in idem“ handelte, sondern die Frage im Raum stand, ob die mit dem rechtskräftigen Freispruch verbundene Rechtssicherheit aus Gründen der materiellen Gerechtigkeit ausnahmsweise durchbrochen werden dürfe. Er kam zum Ergebnis, dass dies zulässig sei, da schon zum Zeitpunkt des Inkrafttretens des Art. 103 GG zahlreiche Durchbrechungen des Grundsatzes „ne bis in idem“ bestanden, die aus Sicht der Väter des Grundgesetzes nicht abschließend waren. Geschützt sei nur der Kernbereich dieses Grundsatzes. Die Neuregelung stelle insoweit eine eng umgrenzte Ausnahme dar, die schwerste unverjährbare Delikte treffe, für die lebenslange Freiheitsstrafe angeordnet sei.

Der Studierendensprecher Nikita Estreich gratulierte in seiner Rede den Examinierten aus Sicht der Studierenden und wies auf die wegen Corona besonders schwierige Vorbereitungszeit hin.

Danach bat der Dekan 28 Promotionsjubilare auf die Bühne, welche entweder vor 50 Jahren (goldenes Jubiläum) oder vor 25 Jahren (silbernes Jubiläum) ihre Doktorarbeit in Tübingen erfolgreich abgeschlossen hatten und nun eine neue Urkunde zur Erinnerung an dieses Ereignis von Dekan Binder empfangen durften – dabei war u.a. auch Frank Nopper, der Oberbürgermeister von Stuttgart. Dem schloss sich die Überreichung der Examensurkunden seitens der LJPrA-Präsidentin des Dekans an gut 100 erschienene Examensabsolventinnen und -absolventen an. Das Gruppenbild kam nur mit Hilfe hoher Leitern zustande.

Anschließend wurden den vier Preisträgern des Reinhold-und-Maria-Teufel-Preises die Urkunden für die besten Dissertationen des Jahres 2021 von Prof. Nettesheim überreicht. Geehrt wurden Claus Ulrich Beisel („Der Notar im Schuldverschreibungsrecht“), Christiane Hellstern („Trennbankenstrukturreformen nach der Finanzkrise“), Enno Lars Mensching („Luftkrieg und Recht. Zur historischen Rolle des Humanitären Völkerrechts in der Einhegung der Luftkriegsführung“) und Felix Schmidhäuser („Die Strafbarkeit des Card- und Account-Sharings. Zur strafrechtlichen Erfassung der äußerlich regulären Nutzung von zugangsgesicherten Inhalten durch hierzu nicht Befugte“).

Im Anschluss konnten alle Geehrten und Gäste bei einem Stehempfang in der Wandelhalle der Neuen Aula auf gemeisterte Prüfungen und langjährige Freundschaften anstoßen. Wer wollte, konnte auch noch zum von der Fachschaft organisierten Examensball weiterziehen, um den Erfolg gebührend zu feiern.

Text: Hermann Reichold
Fotos: www.hoffmann-fotografie.com

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