Durch die in den letzten Jahren deutlich verstärkte Inanspruchnahme biogener Rohstoffe für die stoffliche und energetische Nutzung hat sich eine gesellschaftliche Kontroverse und Akzeptanzdiskussion um den Biomasseanbau für diese Zwecke entwickelt. Da Biomasse einen begrenzten Rohstoff darstellt, erfordert die Etablierung einer nachhaltig gestalteten Bioökonomie eine sorgfältige Abwägung der zukünftigen Biomassenutzung. Dieses Projekt macht einen Vorschlag wie BÖ nachhaltig gestaltet und gedacht werden kann und auf welcher ethischen Basis dies erfolgten sollte.
Ziel des Vorhabens war es, technisch, ökologisch und sozio-ökonomisch ausgerichtete Indikatoren für biobasierte Produktsysteme zu identifizieren und diese ethisch zu reflektieren. Die Indikatoren sollen die Etablierung eine zukunftsfähige Bioökonomie unterstützen, indem ihre Basis – die Produktsysteme – sorgfältig und ganzheitlich analysiert wurden. Darüber hinaus wurden Empfehlungen für die lebenszyklusbasierte Modellierung der biobasierten Produktsysteme ausgearbeitet.
Herausgearbeitet wurden methodische und konzeptionelle Handlungsempfehlungen für eine nachhaltige BÖ, wie z.B.: (Auswahl und verkürzte Darstellung)
- Die nachhaltige Gestaltung der Bioökonomie soll an einem inter- und transdisziplinären Ansatz ausgerichtet werden. Darüber hinaus sollen Produktsysteme ganzheitlich betrachtet werden, d.h. „von der Wiege bis zur Bahre“, inklusive Koppel- und Kaskadenprodukten sowie einer zyklischen Perspektive, d.h. „von der Wiege zur Wiege“.
- Die Bioökonomie soll sich an den Grundsätzen der Nachhaltigen Entwicklung orientieren. Dies kann nur mit einem integrativen Ansatz gelingen.
- Die Operationalisierung eines integrativen Konzepts Nachhaltiger Entwicklung für die Bioökonomie soll auf grundlegenden ethischen Prinzipien basieren. Aus der Gerechtigkeitsverpflichtung allen heutigen und künftigen Menschen gegenüber werden die Verpflichtung zur Resilienz und die Rücksichtnahme auf die Lebensgrundlagen der Erde systematisch als konsistente Folgerungen abgeleitet.
Dabei wurden verschiedene Analyse, Bewertungen und Modellierungen biobasierter Produktsysteme entwickelt, wie z.B.: (Auswahl und verkürzte Darstellung)
- Die Multifunktionalität von Biomasse soll in der Modellierung von Produktsystemen angemessen betrachtet werden. Dies kann durch die Analyse und Bewertung von Verdrängungs- und Substitutionseffekten erfolgen. Eine „entscheidungsorientierte lebenszyklusbasierte Modellierung“ wird als geeignete Methode dafür vorgeschlagen.
- Die Methoden „entscheidungsorientierte Life Cycle Assessment“, „Societal Life Cycle Costing“ und Stoffstromanalysen bieten einen adäquaten Rahmen für die Analyse und Bewertung der Nachhaltigkeitsstrategien von Huber (1995) (normative Orientierung) von Produktsystemen.
- Die Schlüsselindikatoren zur Konsistenz-Strategie biobasierter Produktsysteme sollen mit der Methode „entscheidungsorientierte Life Cycle Assessment“ ermittelt werden. Die Auswahl soll sich an den kritischen biophysikalischen Prozessen des Erdsystems (Rockström et al. 2009; Steffen et al. 2015) orientieren.
- Die gesellschaftliche Verantwortung soll in die integrative Nachhaltigkeitsanalyse und -bewertung der Produktsysteme einfließen. Gemäß der Suffizienz-Strategie kann dies über die Einbeziehung des Verbrauchs (Biomasseflüsse vom Produzenten zum Konsumenten) erfolgen.
Besonderen Stellenwert erhielt die ethische Reflexion als Querschnittsaufgabe. Sie wurde in jeden Arbeitsschritt insofern integriert, dass die der NE inhärenten ethischen Kriterien wie inter- und intragenerationelle Gerechtigkeit, Verantwortung, Nicht-Schaden, und soziale Mindeststandards explizit in die Entwicklung aller Handlungs- und Bewertungsempfehlungen Eingang fanden. Wesentliche Erkenntnis ist, dass eine Nachhaltige Entwicklung für die Bioökonomie als ein dynamischer, lebendiger, sich weiterentwickelnder Prozess zu verstehen ist.
Das Projekt wurde vom Institut für Energiewirtschaft und Rationelle Energieanwendung (IER) der Universität Stuttgart in Kooperation mit dem Internationalen Zentrum für Ethik in den Wissenschaften (IZEW) der Universität Tübingen durchgeführt. Das IER arbeitet und forscht im Bereich Systemanalyse und Technikfolgenabschätzung zu Fragestellungen im Überlappungsbereich von Energietechnik, Wirtschaft, Umwelt und Gesellschaft. Das IZEW hat zahlreiche interdisziplinäre Projekte zu anwendungsbezogenen Fragen der Bioethik und der Umweltethik durchgeführt, jüngst u.a. zu Fragen der Landnutzung und Nachhaltigkeit im Kontext des Klimawandels sowie zur Ethik der Ernährungssicherheit.