Kath. Institut für berufsorientierte Religionspädagogik

Der Religionsunterricht an berufsbildenden Schulen (RUabS) – lebensnah und evangeliumsgemäß

Matthias Gronover

Aus: Religiöse Bildung in pluraler Schule. Herausforderungen - Perspektiven, hrsg. von Ludwig Rendle, München 2015, S. 100-109.

Einleitung

Der Religionsunterricht an berufsbildenden Schulen begleitet junge Menschen in ihrer religiösen Identitätsfindung, er ermöglicht und eröffnet Wege zu Toleranz und Gerechtigkeit, er macht die Notwendigkeit von Religion in der Gesellschaft sichtbar. In diesen Punkten unterscheidet sich dieser Religionsunterricht nicht von demjenigen in den allgemeinbildenden Fächern. Was ihn aber zu einem besonderen Fach macht, kann verdeutlicht werden, indem man seine Schulartspezifität und seinen besonderen biografischen Ort im Leben der Auszubildenden in den Blick nimmt. Die Berufsschule (in Nordrhein-Westfalen Berufskolleg genannt) bildet für einen speziellen Beruf aus, zum Beispiel zur Kauffrau, zum Maurer, Stuckateur oder zur Fleischfachverkäuferin. Sie bildet aber auch, d.h. die Berufsschule hat einen allgemeinen Bildungsauftrag, der nicht in der Berufsausbildung aufgeht. Biografisch treten die meisten Auszubildenden diejenige Berufsausbildung, die ihre spätere Erwerbsarbeit bestimmt, mehrheitlich erst mit 18-20 Jahren an.[1] D.h. für den Berufsschulreligionsunterricht, dass er sehr oft mit jungen Erwachsenen arbeitet, gleichwohl in der Lerngruppe auch noch Auszubildende zwischen 15 und 17 Jahren anzutreffen sind. In Baden-Württemberg wurden im Schuljahr 2010/11 372.000 Schülerinnen und Schüler in der Altersklasse 16-21 im berufsbildenden Bereich unterrichtet.[2] Bundesweit sind derzeit ca. 1,5 Mio. Auszubildende an berufsbildenden Schulen. Dieser Bereich deckt noch nicht das gesamte System berufsbildender Schulen ab, sondern nur den Bereich der dualen Ausbildung. Betrachtet man die Bildungsgänge an Berufsschulen in Summe, kommt man für das Jahr 2013/14 auf 2.530.586 Schülerinnen und Schüler (bei 869.545 an allgemeinbildenden Gymnasien).[3] Den berufsbildenden Schulen kommt also eine herausgehoben relevante gesellschaftliche Position zu. Wie aber bewältigt der dort verortete Religionsunterricht die Spannung zwischen religiösem Bildungsauftrag und dem "Ernst des Lebens", den die Auszubildenden in den Unterricht tragen und der oft weit weg vom kirchlichen Verständnis des Religionsunterrichts ist?

In der Wahrnehmung der Auszubildenden dient die Berufsschule vorrangig der Berufsausbildung. In einer Gesellschaft, die sehr vom Leistungsprinzip geprägt ist und auf Effizienz und ökonomisches Controlling Wert legt, muss der Religionsunterricht in der Berufsschule sich vor diesem Hintergrund immer wieder neu behaupten. Neben der Qualität des Unterrichts sollte er, so die These, die visionäre Kraft des Evangeliums nutzen. So kann er dazu beitragen, Gesellschaft zu gestalten, Menschen zu einem gelingenden Leben aufmuntern und die religiöse Dimension von Arbeit und Beruf erschließen.

Für religiöse Bildungsprozesse in berufsbildenden Schulen hat sich im Dialog mit der Berufspädagogik ein Dreieck aus Subjekt-, Berufs- und Gesellschaftsbezogenheit ergeben, innerhalb dessen der Religionsunterricht an der Berufsschule zu profilieren ist. Das Katholische Institut für berufsorientierte Religionspädagogik (KIBOR) arbeitete anhand dieser Bezugsdimensionen ein Kompetenzmodell aus, das religionsdidaktisch Orientierung gibt und zugleich den Dialog mit der Berufspädagogik ermöglicht.[4] Dieses Kompetenzmodell zeichnet sich dadurch aus, dass es den konzeptionellen Rahmen des bekenntnisgebundenen Religionsunterrichts mit den Anforderungen einer berufsorientierten Religionsdidaktik verbindet. In diesem Modell wird deutlich, wie die Reich Gottes Botschaft im Berufsschulreligionsunterricht Kontur gewinnen kann.

Grundlage für die Erteilung des Religionsunterrichts ist das Grundgesetz. Der Religionsunterricht wird in Übereinstimmung mit den Grundsätzen der jeweiligen Religionsgemeinschaft erteilt.[5] Außerdem formulieren die Kirchen unterschiedlich akzentuierte Vorgaben zum Verständnis ihres jeweiligen Religionsunterrichts. Auf evangelischer Seite erschien hier zuletzt die Denkschrift "Religiöse Orientierung gewinnen" (2014). Auf katholischer Seite umreißt eine Verlautbarung der deutschen Bischöfe aus dem Jahr 1991 die spezielle Situation des Religionsunterrichts an der Berufsschule. Diese Papiere machen deutlich, dass der Religionsunterricht bekenntnisgebunden ist und in jeweiliger konfessioneller Verantwortung erteilt wird. Neuere Dokumente[6] beziehen sich auf den Religionsunterricht allgemein und bilden die komplexen Transformationsprozesse, vor denen speziell der RUabS steht, nicht genügend ab. Bernd Schröder hat zuletzt die gesellschaftlichen Veränderungen mit Blick auf Kirchlichkeit zusammengefasst: neben einem quantitativen Rückgang der Kirchenmitgliedschaft hat sich auch die Ausgestaltung von Kirchenmitgliedschaft verändert. Es gebe eine "Vielfalt an Partizipationsmustern und Glaubensverständnissen mit Tendenz zur distanzierten Kirchlichkeit".[7] Außerdem macht Schröder eine erhebliche Differenz zwischen den Denkmustern der Kirchen und der Gesellschaft aus. Während Erstere traditionsgeleitet seien, sei die heutige Gesellschaft eher traditionsdistanziert eingestellt. Schließlich gehe es auch um die "Einebnung christlicher Kirchen in die religionsplurale Gesellschaft" sowie die zunehmende innerkirchliche Transformation verschiedener "Praxen in Richtung Teilnehmer- und Subjektorientierung".[8]

Die Reaktionsmöglichkeiten auf diesen Befund sind natürlich kontingent. Für den Religionsunterricht an berufsbildenden Schulen können die oben genannten Bezugspunkte Subjekt (Abschnitt 1), Beruf/Arbeit (Abschnitt 2) und Gesellschaft (Abschnitt 3) dienen, die von Schröder aufgezeigten Felder zu bearbeiten.

Subjektorientierung

Subjektorientierung ist ein Prinzip religiöser Bildung[9] und damit auch des Religionsunterrichts an berufsbildenden Schulen. Der katholische und evangelische Religionsunterricht ist vor allem dadurch gekennzeichnet, dass er vom christlichen Menschenbild getragen ist. Dieses Menschenbild gründet in dem Glauben, dass jeder Mensch ein Geschöpf Gottes ist und sein Ebenbild darstellt. Insofern steht der Religionsunterricht vor der besonderen Aufgabe, in beruflichen Ausbildungskontexten dieses Menschenbild sichtbar zu machen und didaktische Prozesse immer wieder darauf hin zu überdenken. "Vom Menschen christlich reden heißt vom dreieinigen Gott reden",[10] was weitreichende Konsequenzen für bildungstheoretische Überlegungen hat: unser Verständnis von Bildung ist fundamental mit dem christlichen Menschenbild und der Gottebenbildlichkeit des Menschen verwoben ist.[11] Dieser Gottesbezug entgrenzt den Bildungsbegriff, weil durch ihn eine Sprache eingetragen wird, die im Modus der Steigerung von Bildungsvorstellungen funktioniert. Zugleich begrenzt der Gottesbezug Vorstellungen von Bildung aber auch, die dem Bildungsbegriff in modernen Gesellschaften durch das Leistungsprinzip und dessen inhärente Beschleunigungslogik aufgetragen wurden. Der Transzendenzbezug im Menschenbild kann die "Möglichkeit der Unterbrechung jener Steigerungslogik, die dem Bildungsbegriff vor allem in der Neuzeit eingeschrieben" wurde, aufzeigen.[12] Damit heißt Subjektorientierung im Religionsunterricht an berufsbildenden Schulen immer auch, kritisch gegenüber der (ökonomischen) Logik in Kategorien von Effizienz und Ersparnis zu sein und zusammen mit den Auszubildenden einen Blick auf das Leben zu erarbeiten, der dessen Freiheiten und Begrenzungen erschließt.

Die Subjektorientierung gründet darüber hinaus in einem Bildungsideal, das über die Anforderungen einer Ausbildung, die ja in der Berufsbildung im Vordergrund steht, hinausreicht. Die christlichen Vorstellungen von Bildung speisen sich aus drei Argumentationssträngen heraus: erstens geht es darum, dass die in der Heiligen Schrift offenbarte Wahrheit den Menschen immer wieder neu verkündet und vermittelt werden muss. In gewisser Weise ist die Entstehung der Heiligen Schrift auch als Vermittlungsprozess zu verstehen, weil die Erlebnisse und die Geschichten, die darin enthalten sind, selbst für so wertvoll und unentbehrlich gehalten wurden, dass alle Menschen diese Wahrheit erfahren sollen. Zum zweiten besteht in christlicher Auffassung ein Bildungsauftrag in der Tatsache, dass Kinder geboren werden und sich in der Welt zurechtfinden müssen. Damit dies nicht in ein bloßes Einpassen in die gegebenen gesellschaftlichen Verhältnisse mündet, sondern in Mündigkeit und einer aufgeklärten Haltung, ist religiöse Bildung notwendig. Zum dritten ist Bildung eine Konsequenz eines glaubenden Verhältnisses zur Welt: wer als gläubiger Mensch die Welt betrachtet, sieht in ihr mehr als die Bühne für empirisch abbildbare Lebensprozesse. Der Glaube verleiht dieser Welt einen nicht selbst gemachten Sinn;[13] in christlicher Perspektive ist dies entscheidend wichtig, um mitunter verhängnisvolle Interpretationen des Lebens im Sinne einer uneingeschränkten Machbarkeit (versinnbildlicht im Satz, jeder "sei seines eigenen Glückes Schmied") und Beherrschbarkeit zu korrigieren. Gerade bei Auszubildenden, die oftmals eben nicht den Beruf erlernen können, der ihr Traumberuf ist, die also Erfahrungen des Scheiterns und Missglückens von Plänen gemacht haben, bietet dies eine mitunter neue Orientierung.

Der Religionsunterricht an berufsbildenden Schulen ist oft der letzte Kontakt junger Auszubildender mit der Kirche und professionell strukturierter religiöser Bildung. Deswegen muss diesem Unterricht seitens der Theologie und Kirchen besondere Aufmerksamkeit zukommen. Es geht nicht darum, junge Leute an die Kirche zu binden, sondern es geht um viel mehr: die Erziehung zu Frieden, Toleranz und Gerechtigkeit kann in der pluralen Gesellschaft nur gelingen, wenn die Quellen von Frieden und Gerechtigkeit klar profiliert und offen dargestellt werden. Dass der Mensch Ebenbild Gottes ist, bedeutet auch, dass die Gelingensbedingungen unseres Zusammenlebens nicht aus dem sozialen Miteinander heraus entstehen, sondern dass diese geschenkt sind, nicht vom Menschen gemacht und im Letzten auch nicht auf sein Handeln und Denken rückführbar.[14] Religionsunterricht an berufsbildenden Schulen leistet so einen wichtigen Beitrag für eine Gesellschaft, deren Unübersichtlichkeit gerade auch in religiöser Hinsicht zunimmt und deren Konfliktpotenzial dadurch erhöht ist.

Subjektorientierung heißt auch, die Auszubildenden dort abzuholen, wo sie stehen. Das betrifft insbesondere Migranten. Die Berufsschule ist demografischen Entwicklungen und Migrationsbewegungen stets relativ unvermittelt ausgesetzt. Gesellschaftliche Integration ist deswegen ein besonders wichtiger Anforderungsbereich, dem sich auch der Religionsunterricht stellen muss.[15] Noch immer erlangen Jugendliche mit Migrationshintergrund prozentual gesehen nicht in einem genügend hohem Maße höhere Bildungsabschlüsse über das allgemeinbildende Schulsystem. Die differenzierten Bildungsgänge der Berufsschule ermöglichen ihnen oft, sich weiterzuqualifizieren. Das heißt aber auch, dass der Religionsunterricht in der Berufsschule hier einen Beitrag leisten kann: durch die Stärkung der jungen Menschen, die am Unterricht teilnehmen, und durch den Dialog mit ihnen, werden sie ermutigt, ihre Pläne weiterzuverfolgen. Da viele Migranten keiner christlichen Kirche angehören, aber doch am Religionsunterricht in kirchlicher Verantwortung teilnehmen, ist der interreligiöse Dialog als interreligiöses Lernen hier nicht nur ein Thema neben vielen, sondern ein Prinzip.

Berufsorientierung

Berufsschulen und Berufskollegs haben seit ihren Anfängen in Deutschland nie nur eine Berufsausbildung im Blick, sondern immer auch Bildung. Dennoch steht die Berufsausbildung natürlich im Fokus, denn letztlich ist es die zu erlangende berufliche Kompetenz, die zum Besuch der Berufsschule motiviert. Inwieweit religiöse Bildung und damit der Religionsunterricht berufsorientiert ausgerichtet sein soll, ist letztlich eine Frage der Relevanz dieses Faches im Kanon der anderen Fächer. Klar ist, dass die Themenfelder des Religionsunterrichts nicht einfach in der Berufsorientierung aufgehen. Es wird immer Themen geben, die ganz anders sind: zum Beispiel Tod und Auferstehung, die Gerechtigkeit Gottes, der dreieinige Gott. Andere Themenfelder ergeben sich sowohl aus dem religiösen wie auch aus dem beruflichen Bereich: zum Beispiel bei Schlachtern Fragen der Tierethik, bei Malern Fragen der Symbolhaftigkeit von Farben, bei Arzthelferinnen Fragen aus dem Bereich der Medizinethik. Insofern der Religionsunterricht Auszubildende auf ihr Berufsleben vorbereitet, muss er Beruf und Arbeit genau reflektieren. Es zeigt sich, dass die Beschäftigung mit dem Thema Arbeit vielfältige religionspädagogische Optionen eröffnet.

Ein Beruf braucht verlässliche Leitplanken, die das berufliche Handeln leiten. Wie jede menschliche Handlung braucht das berufliche Handeln die "ethische Weisung und [...] rechtliche Regelung", um "wahrhaft human" zu sein. "Letztlich bedarf sie wie die ganze Schöpfung der Erlösung."[16] Denn die biblische Vorstellung von Arbeit sieht den Menschen als von der Arbeit bestimmt (Gen 2,15). "Allerdings wird der Mensch nicht durch Arbeit zum Menschen."[17] "Es ist sein besonderer Gottesbezug und nicht seine Arbeit, die ihn als Menschen auszeichnet und die seine Würde begründet."[18] Dennoch, so Lehmann, sei Arbeit in der Bibel nicht glorifiziert. Von den Erzählungen über die Fronarbeit in Ägypten (Ex 1-2) und die Mühsal der Arbeit, die den Menschen sein Brot "im Schweiße seines Angesichts" (Gen 3,19) essen lasse, ist Arbeit als kräftezehrend und eintönig qualifiziert.[19]

Die Erfahrungen der Auszubildenden sind oft nicht weit entfernt von der biblischen Vorstellung von Arbeit.[20] Es werden 3 Aspekte deutlich: Erstens erscheint Jugendlichen Arbeit als Mühsal: "Als Arbeit gilt bei den Jugendlichen, die sich in der Regel auf einen Beruf in einer Werkstatt oder in der Fertigung eingestellt haben, eine Tätigkeit, bei der ,man schmutzig wird' oder die ,anstrengend ist'."[21] Zweitens sind der Lohn der Arbeit und ein festes Arbeitsverhältnis prägend für dieses Bild der Jugendlichen. Drittens ist es Jugendlichen wichtig, wenn auch implizit, dass Arbeit Beziehungsgeschehen ist. Betriebe sind hierarchisch organisiert, man arbeitet, um Kundenwünsche zu erfüllen. Diese drei Aspekte dürften sich auch bei areligiösen Jugendlichen wiederfinden. Sie bieten Anschlussmöglichkeiten für religionsdidaktische Konkretionen.

Interessant an dieser Kategorisierung ist, dass Jugendliche nicht nur Elemente der Arbeit benennen, wie sie uns schon in der akademischen Diskussion der Arbeit begegnet sind (Mühsal). Es ist bemerkenswert, dass die Jugendlichen Arbeit nicht isoliert mit Blick auf einen bestimmten Betrieb verstehen, sondern folgende Kontextuierung vornehmen: Arbeit geschieht in Beziehungen, es müssen Wünsche erfüllt bzw. Aufträge ausgeführt werden. Diese Beziehungsdimension ist in den jugendlichen Äußerungen implizit vorhanden, was im Umkehrschluss heißt, diese ausdrücklich machen zu müssen. "Jugendliche verknüpfen Selbstwertgefühl und Sinn des Lebens durchaus mit Arbeit - allerdings vor allem in materieller Hinsicht. An dieses Grundgefühl anknüpfend sollten in der Behandlung des Themas Arbeit weitere Aspekte zutage gefördert werden, die bei den Jugendlichen durchaus vorhanden, aber teilweise nur schwach bewusst sind, wie beispielsweise der Wunsch, durch die Arbeit einen ,Platz in der Welt zu finden' und ,Spuren zu hinterlassen'."[22] Gerade mit Blick auf Jugendliche im dualen System wird dabei zu betonen sein, dass Erwerbsarbeit eine grundlegende Dimension des Menschseins überhaupt ist.

In diesem Verständnis ist Arbeit als "Mit-Arbeit an der Schöpfung Gottes" zu verstehen und religionsdidaktisch fruchtbar zu machen. Mit-Arbeit an der Schöpfung heißt, die Geheimnisse der Schöpfung auf der Makro- und Mikroebene bis hin in den Nano-Bereich Schritt für Schritt immer besser zu verstehen. Gerade das Verweilen an den kleinen Dingen des Alltags ist dabei lebensbedeutsam. Auch die Mitarbeit an der Schöpfung - durch Erwerbsarbeit oder andere alltägliche Verrichtungen, letztlich durch das eigene Dasein - verlangt nach Muße und Ruhe. Gerade diese Pausen im Alltag lassen Hoffnung und Zuversicht gedeihen. "Jedes Unterrichtsgespräch, das sich intensiv genug in das Thema hineinbohrt, mündet unweigerlich in diesem Horizont. Hier stehen Optionen zur Wahl, die niemanden unberührt lassen und von der Entscheidung dispensieren. Gerade junge Menschen spüren das, da sie am Anfang eines zu gestaltenden Lebens stehen."[23]

Die christliche Vorstellung von Arbeit zeigt, dass der Mensch nicht einfach die Summe dessen ist, was er geleistet hat. Es ist vor allem eine ehrfurchtsvolle Selbstbeschränkung nötig, die es möglich macht, die Bedeutsamkeit der Arbeit maßvoll beurteilen zu können. Insofern Arbeit immer geschichtlich konkret ist, ist sie auch von Menschen verantwortet. Es gehört zur Selbstentfaltung des Menschen zu arbeiten und es gehört zu dieser Entfaltung, Arbeit auf sich selbst zurück zu beziehen und Verantwortung für die eigene Arbeit zu übernehmen. Religionsdidaktisch würde dies heißen, die speziellen ethischen Herausforderungen von Arbeit und Erwerbsarbeit verstärkt zu beachten. Alfons Auer hat schon 1966 in seinem Band "Christsein im Beruf" die Fragestellungen einer "immanenten Berufsethik" und der "christlichen Integrierung der immanenten Berufsethik"[24] erarbeitet.

Schöpfungsmysterium, Sündenmysterium, Christenmysterium sowie Ethos und Spiritualität des Berufes sind in einem eigenen Kapitel[25] auf dem damaligen Diskussionsstand präzise erarbeitet. Religionspädagogisch geht es demnach um ein Starkmachen von jungen Menschen, die in ihrer Arbeitswelt zu bestehen haben, vielfältigen ethischen Problemen begegnen und diese bearbeiten müssen. Der RUabS darf sie dabei nicht alleine lassen, sondern muss sie unterstützen. Dass dies nicht immer dadurch geschehen kann, die Frohe Botschaft zu bearbeiten, sondern ganz oft nur latent religiös und anfanghaft die Auszubildenden dort abholt, wo sie gerade stehen, ist eine Erfahrung, die die meisten Kolleginnen und Kollegen in den Schulen machen. Gleichzeitig ist dieses Vorgehen aber nicht nur allgemeindidaktisch nötig; es ist auch notwendig, wenn ein bekenntnisgebundener Religionsunterricht sein Bekenntnis - die Frohe Botschaft Jesu Christi - ernst nimmt. Denn auch diese ist so formuliert, dass diejenigen, die noch nichts von ihr gehört haben, sie auf- und annehmen können.

Gesellschaftsorientierung

Gesellschaftsorientierung heißt mit Blick auf den RUabS, die visionäre Kraft der Religion in der Teilöffentlichkeit der Berufsschule präsent zu halten. Es geht pointiert darum, nicht nur die Auszubildenden im Unterricht selbst "zu ihrer Stimme finden zu lassen" (Klaus Kießling), sondern Religion überhaupt im Schulbetrieb vorkommen zu lassen, um so die Möglichkeit im Spiel zu halten, Gesellschaft und damit auch das Leben der Auszubildenden zu verändern.

Schultheoretisch ist die Gesellschaft mit ihren verschiedenen Teilsystemen in der Schule gespiegelt. Kein gesellschaftlicher Bereich, der von breiter Relevanz ist, sollte im Schulkanon fehlen. Die Präsenz von Religion in der Schule überschreitet Grenzen: in der Schule findet Religion außerhalb von beispielsweise Gottesdienstzeiten, Seelsorgegesprächen und Fragen der Kirchensteuer statt. Die Schule ist ein ganz anderer Ort für Religion, die Berufsschule "fremdelt" (ganz auf den einen positiven Sinn) mit Religion, zumal in der Wahrnehmung der Auszubildenden.[26] Gerade diese Andersartigkeit ist Bedingung für seine Wiedererkennbarkeit als Religionsunterricht. Weil dies so ist, sollte Religion nicht einfach nur als Religion in der Schule profiliert sein, sondern immer mit konkretem Bezug auf die jeweilige Kirche. Religionsunterricht muss klar profiliert als konfessioneller Religionsunterricht sein. Nur so gelingt religiöse Präsenz im Modus von Bildung. Religiöse Gesellschaftsorientierung meint vor allem ein Aufbrechen von möglichen religiösen Selbstbezüglichkeiten. Dies geschieht im Kern durch das Sichtbarmachen der Differenz zwischen religiöser Inhaltlichkeit und Lebensrelevanz. Religiöse Inhaltlichkeit für sich mag aus der Vogelperspektive interessant sein, muss aber doch mit Leben gefüllt werden. Umgekehrt ist Lebensrelevanz kein Selbstzweck, sondern muss mit Themen und Kompetenzen unterfüttert werden. Religion und Leben müssen aufeinander bezogen bleiben, ohne dass das eine vollständig im anderen aufgeht. Gerade die Differenz zwischen beiden ist also fruchtbar. Denn in dem Moment, wo diese Differenz sichtbar wird, wird die Radikalität der frohen Botschaft deutlich und damit auch das je Andere des Glaubens.

Insofern ist Gesellschaftsorientierung keine Forderungen an die bestehende Praxis des Religionsunterrichts an berufsbildenden Schulen, sondern vielmehr ein Korrektiv für das Selbstverständnis dieses Religionsunterrichts. Denn wo sich Religionsunterricht als Dienst an der Gesellschaft versteht und damit die diakonische Dimension seines Wirkens betont, verschieben sich die Schwerpunkte von Bildungsprozessen weg von theologischen Differenziertheit hin zu lebensdienlichen Themensetzungen: was heißt es für mich, Ebenbild Gottes zu sein? Steuert Gott mein Schicksal oder bin ich Herrin oder Herr meines Lebensweges? Stimmt diese Alternative überhaupt? Wenn ich heirate: welches Idealbild von Beziehung habe ich? Wer oder was trägt diese Beziehung? usw. Die ca. 40 Stunden Religionsunterricht im Jahr, die in der dualen Ausbildung erteilt werden, fokussieren schon länger auf solche Fragen. Binnenkirchliche Differenzierungen, die etwa durch das Konfessionsprinzip formal in den Religionsunterricht eingetragen sind, treten dadurch zurück.[27]

Das Katholische Institut für berufsorientierten Religionspädagogik hat zusammen mit dem evangelischen Institut für berufsorientierten Religionspädagogik (EIBOR) und dem Bonner Institut für berufsorientierte Religionspädagogik (bibor) eine Erklärung "zur Zukunft des BRU" verabschiedet.[28] Darin wird die Gesellschaftsorientierung des Religionsunterrichts noch einmal aus seiner Praxis heraus und doch visionär geschildert. So lautet die 13. These dieser Erklärung, die hier exemplarisch gezeigt werden soll: "Der BRU muss in seiner Stellung in der Schule weiter gestärkt werden: durch die Sicherstellung seines Umfangs in Stundentafeln und Bildungsplänen sowie durch die erforderlichen Fortbildungsangebote."[29] Im Abschnitt zur Berufsbezogenheit religiöser Bildung in der Berufsschule wurde deutlich, dass die Dimension der Arbeit genauso erlösungsbedürftig ist wie das Dasein überhaupt. Es ist vielleicht der Verdienst der Institute und ihrer wissenschaftlichen Begleitung dieses Religionsunterrichts, dass die Thesen nicht theologisch hoch abstrakt formuliert sind, sondern gewissermaßen geerdet bleiben. Die schulische Erfahrung zeigt, dass der Verbleib des Religionsunterrichts in der Stundentafel vor Ort in den Schulen Bedingung der Möglichkeit der Entfaltung religiöser Bildungsprozesse ist. Dass der Religionsunterricht dazu beitragen kann, junge Erwachsene auch in schwierigsten Lebenssituationen das Hoffnungspotenzial der Frohen Botschaft aufzuzeigen, steht außer Frage. Dass dies auch geschieht, hat eine KIBOR-Studie gezeigt. Entgegen der Vermutung, der Religionsunterricht an berufsbildenden Schulen würde aufgrund seiner Gesellschaftsorientierung vor allem ethische Themen behandeln und Wertebildung bieten, zeigt diese empirische Untersuchung, dass die befragten 189 Religionslehrerinnen und -lehrer sehr wohl und auch in der Breite christliche Themen im engeren Sinn (Jesus Christus, Auferstehung, soziale Gerechtigkeit etwa)[30] unterrichten. Defizitanzeigen richten sich deshalb realistischerweise weniger an die konkrete Unterrichtsprozesse, sondern die Rahmenbedingungen in Schulen, Ministerien und Kirchen. Und Weiteres lässt sich aus diesem Befund folgern: Die visionäre Kraft dieses Unterrichts wird befeuert durch die Menschen, die diesen Unterricht (aus)machen: die Auszubildenden und die Religionslehrerinnen und Religionslehrer.

Gesellschaftsorientierung im Religionsunterricht an berufsbildenden Schulen macht die Differenz von religiöser Inhaltsorientierung und Lebensrelevanz durch seine diakonische, grundsätzlich von den Auszubildenden her und auf die Auszubildenden hin gedachte Ausrichtung der religiösen Lehr- und Lernprozesse sichtbar. Das ist evangeliumsgemäß und gerade deshalb auch visionär.

Schluss

Der Religionsunterricht an berufsbildenden Schulen gewinnt seine Zukunft, wenn er sich auf das Evangelium bezieht. Gottesliebe ist gleich Nächstenliebe, der Grund christlicher Hoffnung und damit auch die große Vision ist, dass Gott Mensch geworden ist. Die derzeitige Situation des Berufsschulreligionsunterrichts zeigt eine religiöse Bildung, die die Auszubildenden in die Mitte stellt (Subjektorientierung). Die Erarbeitung der religiösen Dimension von Beruf und Arbeit impliziert immer auch kritische Perspektiven auf das eigene Handeln im Berufsfeld (Berufsorientierung). Hierfür leistet der Berufsschulreligionsunterricht einen entscheidenden Beitrag. Wenn er dies tut, gestaltet er auch Gesellschaft mit (Gesellschaftsorientierung). Gleichzeitig liegt im letzten Punkt auch eine Forderung an Schulen, Ministerien und Kirchen, dem Religionsunterricht an berufsbildenden Schulen im Rahmen von Art. 7,3 GG neue Entfaltungsmöglichkeiten zu erschließen. Zu nennen wäre hier eine Erweiterung des Konfessionalitätsprinzips um eine Konfessionssensibilität, die auch andere Konfessionen und dann, in einem ergänzenden Schritt, auch andere Religionen als konstitutive Momente des Religionsunterrichts an der Berufsschule in den Blick nimmt Die Auszubildenden könnten dann ihre Position in der pluralen Gesellschaft gewinnen. Diese Reformulierung sollte ermöglichen, dass der Religionsunterricht im dualen System konfessionell verantwortet wird und doch den demographischen und kulturellen Transformationsprozessen Rechnung trägt. Letztlich wäre dadurch auch der Möglichkeitsraum, der durch Art. 7,3 GG gegeben ist, besser genutzt.

In einem so konturierten Religionsunterricht würde sich eine biblische Vision spiegeln, dass nämlich in der Verschiedenheit die Fülle des Lebens zu finden ist.

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[1]: Vgl. Bundesinstitut für Berufsbildung, Datenreport zum Berufsbildungsbericht 2014. Informationen und Analysen zur Entwicklung der beruflichen Bildung, Bonn 2014, S. 137.

[2]: Vgl. Lorenz, Klaus, Die Integrationsfrage aus der Perspektive der Schulverwaltung, in: Integration durch religiöse Bildung. Perspektiven zwischen beruflicher Bildung und Religionspädagogik, hrsg. von Albert Biesinger et al., Münster 2012, S. 217-227, hier S. 219.

[3]: Vgl. Bildung und Kultur. Berufliche Schulen, Schuljahr 2013/2014, hrsg. von Statistisches Bundesamt Wiesbaden, Wiesbaden 2014, S. 9.

[4]: Vgl. Biesinger, Albert / Kemmler, Aggi / Schmidt, Joachim, Religiöse Kompetenz - Ein Definitionsangebot für den Religionsunterricht an berufsbildenden Schulen, in: Kompetenzorientierung im Religionsunterricht an berufsbildenden Schulen, hrsg. von Albert Biesinger / Johannes Gather / Matthias Gronover / Aggi Kemmler, Münster/New York 2014, S. 19-26.

[5]: Vgl. Art. 7 Abs. 3 GG.

[6]: Vgl. bspw. die Veröffentlichungen der deutschen Bischofskonferenz Der Religionsunterricht vor neuen Herausforderungen (2005) oder Die bildende Kraft des Religionsunterricht (52009).

[7]: Schröder, Bernd, Religionspädagogische Aufgaben angesichts des Wandels institutionellen Christentums, in: JRP 30 (2014), S. 110-121, hier S. 110.

[8]: Ebd.

[9]: Vgl. Boschki, Reinhold, Einführung in die Religionspädagogik, Darmstadt 2008, S. 91f.

[10]: Bubmann, Peter, Gott, in: Handbuch Pädagogische Anthropologie, hrsg. von Christoph Wulf / Jörg Zirfas, Wiesbaden 2014, S. 611-620, hier S. 614.

[11]: Vgl. Grümme, Bernhard, Menschen bilden? Eine religionspädagogische Anthropologie, Freiburg 2012, S. 209-221.

[12]: Vgl. Schweitzer, Friedrich, Bildung, Neukirchen-Vluyn 2014.

[13]: Vgl. ebd., besonders S. 177-201.

[14]: Vgl. Böckenförde, Ernst-Wolfgang, Staat, Verfassung, Demokratie. Studien zur Verfassungstheorie und zum Verfassungsrecht, Frankfurt am Main 1992, S. 112.

[15]: Vgl. Integration durch religiöse Bildung, hrsg. von Albert Biesinger / Michael Meyer-Blanck, / Friedrich Schweitzer Münster 2012.

[16]: Lehmann, Karl, Arbeit als Realisierung der Gottesbeziehung, in: Ora et labora. Eine Theologie der Arbeit, hrsg. von Albert Biesinger / Joachim Schmidt, Ostfildern 2010, S. 13-31, hier S. 18.

[17]: Ebd., S. 17.

[18]: Ebd., S. 18.

[19]: Vgl. ebd.

[20]: Vgl. zum Folgenden Gronover, Matthias / Biesinger, Albert, Selbstentfaltung durch Arbeit - Selbstentfaltung als Arbeit, in: Gott - Bildung - Arbeit. Zukunft des Berufsschulreligionsunterrichts, hrsg. von dens. et al. Münster/New York, S. 9-19.

[21]: Schmidt, Joachim, Theologie der Arbeit ohne Chance auf Arbeit? Die Auswertung von Aspekten einer Unterrichtseinheit zum Thema Arbeit bei Jugendlichen ohne Ausbildungsplatz, in: Ora et labora. Eine Theologie der Arbeit, hrsg. von Albert Biesinger / dems., Ostfildern 2010, S. 229-260, hier S. 250.

[22]: Ebd., S. 254.

[23]: Jungnitsch, Reiner, Theologie der Arbeit im Religionsunterricht an beruflichen Schulen. Ein paar beiläufige Assoziationen, in: Ora et labora. Eine Theologie der Arbeit, hrsg. von Albert Biesinger / Joachim Schmidt, Ostfildern 2010, S. 201-207, hier S. 203.

[24]: Auer, Alfons, Christsein im Beruf. Grundsätzliches und Geschichtliches zum christlichen Berufsethos, Düsseldorf 1966, besonders S. 197-229.

[25]: Vgl. ebd., besonders S. 251-307.

[26]: Vgl. Dieterich, Veit-Jakobus, Was heißt "(religiöse) Bildung" für Schülerinnen und Schüler an berufsbildenden Schulen, in: ZPT 58 (2006), S. 216-224.

[27]: So auch die Forschung von Mette, Norbert / Hütte, Saskia, Religion im Klassenverband unterrichten. Lehrer und Lehrerinnen berichten von ihren Erfahrungen, Münster 2003,S. 169-211.

[28]: Vgl. Frankfurter Erklärung zur Zukunftsfähigkeit des Berufsschulreligionsunterrichts (BRU).

[29]: Ebd., S. 213.

[30]: Vgl. Hiller, Simone / Hennrich, Burkard / Braungart, Katharina, Wie viel Religion steckt im Religionsunterricht? Religiöse Themen im Religionsunterricht an Berufsschulen. Eine Fragebogenstudie unter Religionslehrerinnen und -lehrern im dualen System, in: rabs Hf. 3 (2012), S. 20-22.