Katholisch-Theologische Fakultät

11.01.2023

Die Fakultät gedenkt Papst em. Benedikt XVI.

Am 31.12.2022 verstirbt Kardinal Joseph Ratzinger / papa emeritus Benedikt XVI.

Die Katholisch-Theologische Fakultät Tübingen gedenkt des verstorbenen Kardinals Joseph Ratzinger / papa emeritus Benedikt XVI. († 31.12.2022).
Prof. Dr. Joseph Ratzinger (*16.4.1927), als Benedikt XVI. Papst von 2005 bis 2013, war geschätzter Kollege unserer Fakultät in den Jahren 1966 bis 1968. Nachdem er seit 1958 in Freising, Bonn und Münster eine innovative Dogmatik und Fundamentaltheologie betrieben hatte, förderte insbesondere Hans Küng maßgeblich die Berufung nach Tübingen. Er schätzte den Kollegen insbesondere seit der gemeinsamen Zeit des Zweiten Vatikanischen Konzils, wo Joseph Ratzinger zunächst als Berater des Kölner Erzbischofs Joseph Kardinal Frings gewirkt hatte, seit 1963 auch als offizieller Peritus und als Mitglied des Ökumenischen Arbeitskreises evangelischer und katholischer Theologen.
In seiner Tübinger Zeit entstand Joseph Ratzingers dogmatische „Einführung in das Christentum“ (1968), die ein Publikum weit über die Fakultät hinaus erreichte und bis heute Leser:innen inspiriert. Diese Phase seiner akademischen Laufbahn wurde jedoch begleitet von den Studentenunruhen an der Universität, deren kritischen Anfragen er sich hilflos ausgesetzt fühlte. Dem schon als akademischer Lehrer eher in sich gekehrten Ratzinger fiel es schwer, sich den harten, oft auch polemischen Auseinandersetzungen und den als provokativ wahrgenommenen Aktionsformen zu stellen. 1969 nahm er einen Ruf an die Katholisch-Theologische Fakultät der Universität Regensburg an, wo er bis 1977 Dogmatik und Dogmengeschichte lehrte.
Nach seiner Amtszeit als Erzbischof von München-Freising rückte Joseph Ratzinger wieder stärker in den Gesichtskreis unserer Fakultät, als er von Papst Johannes Paul II. 1982 zum Präfekten der Glaubenskongregation ernannt wurde. Seine Amtszeit wurde vorwiegend als Teil einer konservativen Wende und eines zunehmenden Skeptizismus gegenüber der Wirkungsgeschichte des Zweiten Vatikanischen Konzils wahrgenommen. Seine Mitwirkung an der „Gemeinsamen Erklärung zur Rechtfertigungslehre“ und später die von ihm als Präfekten der Kongregation für die Glaubenslehre unterzeichnete Erklärung „Dominus Iesus“ warfen Fragen der inhaltlichen Vereinbarkeit und des zukünftigen Kurses der Ökumene auf. Auch Ratzingers Verurteilung maßgeblicher Vertreter der Befreiungstheologie, seine strenge Haltung in Fragen der Sexualmoral und sein entschiedenes Vorgehen gegen die Beteiligung der deutschen Katholiken und Katholikinnen an der staatlichen Schwangerschaftskonfliktberatung stießen in weiten Teilen des deutschen Katholizismus, und auch der Tübinger Fakultät, auf Kritik und Unverständnis. Dennoch widerspricht Walter Kardinal Kasper, ehemaliges Mitglied und Honorarprofessor unserer Fakultät, dem Verdikt vom „Panzerkardinal“ ebenso wie der „erzkonservativen Projektion mancher Fans“: „Für uns beide war […] klar, dass jede Theologie in der Spannung steht zwischen dem Festhalten am Ursprung und dem Heutigwerden des Evangeliums. Das Evangelium ist immer dasselbe und muss doch immer neu bezeugt werden. […] Kam man mit ihm ins Gespräch, erwies er sich als freundlicher, mit mildem Humor begabter, differenzierter Denker.“ (DIE ZEIT, 5.1.2023)
2005 wurde Joseph Ratzinger als Nachfolger Johannes Pauls II. zum Papst gewählt. Uns als Tübinger Fakultät beschäftigten vor allem die Akzente, die sein Pontifikat im Hinblick auf die Ökumene und den interreligiösen Dialog setzte. Positiven Signalen standen missverständliche Reden und Gesten gegenüber. Entscheidungen zur Liturgie und der Umgang mit der „Priesterbruderschaft St. Pius X.“ weckten Zweifel an seinem grundsätzlichen Verhältnis zu den Errungenschaften des Zweiten Vatikanischen Konzils auf. Benedikt XVI. betonte stets seine Verbundenheit mit den Aussagen des Konzils, glaubte aber bei deren Interpretation und Weiterentwicklung vorwiegend als Einhegender wirken zu müssen und wandte sich dabei gegen Entwicklungen, die ihm als Verflachung und Verweltlichung des Glaubens erschienen.
Auch als Papst blieb Joseph Ratzinger ein theologischer und geistlicher Schriftsteller, dessen Bücher auch in Deutschland viel Resonanz hervorriefen. Seine drei Bände über „Jesus von Nazareth“, die seit 2007 erschienen, verstand Benedikt XVI. als persönliches Glaubenszeugnis und theologische Lesebücher ohne lehramtliche Autorität. Die wissenschaftliche Exegese, auch in Tübingen, hat sie als solche gewürdigt, aber gleichzeitig vom aktuellen Stand theologischer Wissenschaft abgegrenzt. Benedikt XVI. verstand sein Pontifikat als Aufruf zu einer Erneuerung des Glaubens insbesondere aus der patristischen Tradition heraus; die Weltjugendtage und die zahlreichen Reisen zielten auf eine charismatische Entfaltung von Liturgie und Glaubensverkündigung. Durchaus distanzierte Anerkennung, teils auch hohe Bewunderung, kaum aber anhaltende Begeisterung löste dieser eher menschenscheue Mann auf dem Stuhl Petri aus. Die Traditionstiefe der Kirche stellte er gegen mutige Neuorientierungen. Von Deutschland ins Zentrum der Weltkirche versetzt, blieben seine Theologie und sein Wirken darüber hinaus merkwürdig unberührt von den interkulturellen Aufbrüchen in Gesellschaft und Kirche. Darum wird sein Erbe vorwiegend als kulturpessimistischer Konservatismus gelesen – und als solcher entweder kritisiert oder wertgeschätzt.
Zwiespältig blieb Joseph Ratzingers Verhalten gegenüber dem Skandal des Missbrauchs Minderjähriger durch Geistliche der katholischen Kirche. Seit 2001 arbeitete er als Präfekt der Glaubenskongregation an einer u. a. diesbezüglichen Verschärfung des kirchlichen Strafrechts mit. Als Papst traf er sich zudem früh persönlich mit Betroffenen. Gleichzeitig blieb er bestrebt, das Geschehen von den Strukturen und dem Selbstverständnis der Kirche fernzuhalten und als Versagen oder Verbrechen einzelner, gar als Folge des Zeitgeistes von ‚1968‘ zu bestimmen; seine späten Äußerungen zu seiner Rolle als Erzbischof von München und Freising lösten Befremden und Widerspruch aus.
Zwei Begegnungen prägten das Verhältnis der Tübinger Fakultät zum damals amtierenden Papst Benedikt: Im Jahr 2006 konnten Peter Hünermann und Jochen Hilberath als Herausgeber dem obersten Brückenbauer „Herders Theologischen Kommentar zum Zweiten Vatikanischen Konzil“ (5 Bde., Freiburg – Basel – Wien 2004–2006), in feierlicher Audienz überreichen, begleitet von einer Delegation der Autoren, der Fakultät und der Diözese Rottenburg-Stuttgart. 2007 war die Fakultät erneut zur persönlichen Begegnung mit Papst Benedikt in Privataudienz und zu Gesprächen mit Vertretern der römischen Studienkongregation eingeladen. Unserer Fakultät lag und liegt sehr daran, die Dynamik der Konzilszeit weiterzuführen und den „Zeichen der Zeit“ alle Aufmerksamkeit zu schenken.
Der Rücktritt Benedikts XVI. im Jahr 2013 wird auch in Tübingen als einschneidendes kirchengeschichtliches Ereignis gewertet. Sein Amtsverzicht gilt als Zeichen der Demut gegenüber den Anforderungen des Amtes, aber auch als Relativierung und Vermenschlichung des Amtes selbst. Die Katholisch-Theologische Fakultät bringt ihren Respekt zum Ausdruck gegenüber einem ehemaligen Kollegen, der als Theologe mit hoher Gelehrsamkeit und Liebe zur Zurückgezogenheit arbeitete, und der als Kardinal und Papst eine Kirche der Innerlichkeit und Entweltlichung förderte. Beides hat uns als Theologinnen und Theologen immer wieder produktiv herausgefordert.


Bildlegenden:
Die prominenten Konzilstheologen Karl Rahner und Joseph Ratzinger auf der Würzburger Synode, 1972. (Quelle: KNA)
Überreichung des Tübinger Konzilskommentars an Papst Benedikt XVI. während der Generalaudienz mit dem Verleger Manuel Herder (Freiburg) und den Herausgebern Peter Hünermann und Bernd Jochen Hilberath (Tübingen), Februar 2006. (Quelle: privat)

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