Uni-Tübingen

A 06: Politischer Kollaps als Folge ökonomischen Wandels? Ressourcenkontrolle am Übergang von der Bronze- zur Eisenzeit im Ostmittelmeerraum

Projektleitung: Prof. Dr. Jens Kamlah

Mitarbeiter/ innen: Jesse Millek

Zusammenfassung

In diesem Teilprojekt stehen Zusammenhänge zwischen politischen und sozio-kulturellen Dynamiken sowie Wandlungsprozessen in der Nutzung von Ressourcen im Blickfeld. Sie werden exemplarisch an archäologisch und historisch fassbaren Entwicklungen im späten zweiten vorchristlichen Jahrtausend im östlichen Mittelmeergebiet untersucht. Der dortige Übergang von der Bronze- zur Eisenzeit um 1200 v. Chr. geht vielerorts mit deutlichen Veränderungen im archäologischen Befund sowie mit in historischen Quellen fassbaren Veränderungen der politischen Landschaft einher. Einer weit verbreiteten Hypothese zufolge wird dies mit Krisenszenarien in Verbindung gebracht: Auf eine friedvolle Periode unter der politischen und ökonomischen Dominanz großer Reiche folgt eine Zeit kriegerischer Wirren die zu Kleinstaaterei, dem Zusammenbruch des Handels und einem Abbrechen der schriftlichen Überlieferung in einigen Gebieten (die sog. ‚Dark Ages‘) führt. Als Auslöser dieser Entwicklungen gelten die zerstörerischen Wirkungen von Migrationen, deren Ursachen oft nicht hinterfragt werden, auf die ansässige Bevölkerung der Region.

Im Zuge wachsender Kritik an dieser Interpretation der Befundlage sollen in diesem Teilprojekt die Geschehnisse im Hinblick auf Zusammenhänge zwischen sozio-kulturellen, politischen und wirtschaftlichen Faktoren für den zu beobachtenden Wandel untersucht werden. Im Blickpunkt stehen vor allem Veränderungen im Zugang zu und in den Bewertungen von Ressourcen. So werden alternative Hypothesen geprüft, welche die Vorgänge stärker im Kontext von ökonomischen Wandlungsprozessen sehen, ausgelöst durch Umbewertungen von Ressourcen, in deren Folge soziale Konflikte und politische Umwälzungen standen. Angesichts der facettenreichen Diskussion um die Charakterisierung der Vorgänge und um die Interpretation ihrer Hintergründe sowie der Vielfalt der nutzbaren Quellen und einzubeziehenden Regionen, eignet sich dieses historische Beispiel besonders für die hier geplante Untersuchung.

Wissenschaftliche Ziele

Für die Behandlung des Themas werden im Zuge einer notwendigen Systematisierung der empirischen Basis in verschiedenen, von den Veränderungen betroffene Regionen des ostmediterranen Raums, die spezifischen Muster der Nutzung von Ressourcen und deren Verbindungen mit den sozio-kulturellen Dynamiken innerhalb der letzten Jahrhunderte vor und den ersten Jahrhunderten nach dem Epochenwechsel analysiert. Dabei werden vier eng verbundene Ziele verfolgt:

1. Die aus archäologischen und historischen Quellen rekonstruierbaren politischen und sozio-kulturellen Entwicklungen am Übergang von der Bronze- zur Eisenzeit im ostmediterranen Raum sollen detailliert chronologisch eingeordnet werden. Die Analyse von Wandel und Kontinuität in den Strukturen und Prozessen dient der Schaffung eines weiträumigen Überblicks darüber, wo am Übergang zur Eisenzeit welche Veränderungen stattgefunden haben und welche Zusammenhänge sich dabei offenbaren.

2. Es soll herausgearbeitet werden, welche Ressourcen in welcher Epoche als grundlegend relevant für das Funktionieren und die Veränderung von Beziehungen, Netzwerken, Institutionen oder ganzer Systeme angesehen wurden. Ein besonderes Augenmerk richtet sich dabei auf Wechsel in der Bewertung von Ressourcen sowie deren Hintergründe.

3. Zum Verständnis der Rolle von Ressourcen in gesellschaftlichen Entwicklungen wird auf die Mechanismen der Kontrolle, Beschaffung und Nutzung von Ressourcen innerhalb sozialer und politischer Einheiten fokussiert. Ein weiter gerichteter Blick wird dabei auf die Identifizierung von überregionalen Netzwerken geworfen, die im Zuge der Schaffung des Zugangs zu Ressourcen entstanden oder gepflegt wurden und selbst zur Ressource im Kontext sozio-kultureller Prozesse werden konnten.

4. In einer Gesamtschau ist dann zu analysieren, inwiefern sich die Geschehnisse in den verschiedenen untersuchten Regionen des ostmediterranen Raums am Übergang von der Bronze- zur Eisenzeit als ein Szenario politischer und sozio-kultureller Veränderungen im Lichte sich wandelnder Nutzungsstrategien von Ressourcen erklären lassen.

Langfristige Planung

In der ersten Phase des SFB sollen archäologische Materialgruppen, Schriftquellen und rekonstruierbare antike naturräumliche Bedingungen im südlichen Abschnitt des Untersuchungsraums, in der Levante, Kilikien und Zypern, untersucht werden. Dies wird in späteren Phasen des SFB durch vergleichbare Studien in Kleinasien, Obermesopotamien und darüber hinaus ergänzt. Die Ergebnisse der analysierten Regionen sollen miteinander verglichen werden, um Unterschiede und Regelhaftigkeiten im Umgang mit Ressourcen während der fraglichen Perioden herauszuarbeiten. Schließlich werden die Resultate die Grundlage einer weitreichenden Neubewertung des Übergangs von der Bronze- zur Eisenzeit im Ostmittelmeerraum bilden, in der die Wechselwirkung von Ressourcen, Ressourcenbedarf und -kontrolle mit sozio-kulturellen Dynamiken im Fokus steht, um herkömmliche Erklärungsmodelle zu hinterfragen. Für den SFB besteht der Wert der hier verfolgten Fallstudien vor allem in seiner detaillierten Analyse langfristiger, ca. ein halbes Jahrtausend währender Entwicklungen. Darüber hinaus ermöglicht die parallele Untersuchung von Regionen mit archäologischem und historischem Quellenbestand und solchen ohne schriftlichen Informationen eine direkte Vergleichbarkeit des heuristischen Werts dieser Quellengattungen für das Thema und kann damit den Teilprojekten, die ähnliche Entwicklungen in der schriftlosen prähistorischen Welt untersuchen, wertvolle methodische Hinweise liefern.


Die Rechte der auf dieser Seite verwendeten Bilder liegen beim SFB 1070, Teilprojekt A 06.