Uni-Tübingen

B 06: Mensch und Ressourcen in Völkerwanderungszeit und frühem Mittelalter – Anthropologische und bioarchäologische Analysen zur Nutzung von Nahrungsressourcen und Detektion von Migrationsbewegungen

Projektleitung: Prof. Dr. Jörg Baten, Prof. Dr. Heinrich Härke, Prof. Dr. Joachim Wahl

Mitarbeiter/ innen: Nicholas Meinzer, Anne Merker

Zusammenfassung

Die Bedeutung von Ressourcen in der Kulturgeschichte wird nicht nur durch Handlungen von Menschen, sondern auch unmittelbar in deren Körper reflektiert. Unterschiede im Zugang zu Ressourcen und deren spezifische Nutzungsweise können direkte Entsprechungen im physischen Erscheinungsbild finden und dadurch wertvolle individualisierte, aber auch generalisierbare Informationen über naturräumliche, ökonomische und soziokulturelle Lebensbedingungen liefern und dadurch Wechselwirkungen mit der kulturgeschichtlichen Dynamik beleuchten. Gerade in Perioden ohne oder mit nur unzureichenden Textquellen können so Einblicke in Lebenswelten gewonnen werden, die alleine über Sachzeugnisse nur schwer erschließbar sind. Auch über vorangegangene Bewegungen zwischen geographischen Räumen können hierbei verwendete Indikatoren wichtige Aufschlüsse liefern. Dies gilt auch für weite Teile des Frühmittelalters in Südwest- und Westdeutschland, wozu wir nur ausschnitthaft über schriftliche Nachrichten informiert sind.

 

Wissenschaftliche Ziele

Im Teilprojekt sollen Problemfelder, die sich an der Schnittstelle zwischen Archäologie, Wirtschaftsgeschichte und Anthropologie herausbilden, beispielhaft und innovativ beleuchtet werden. Es werden vier eng miteinander verbundene Fragen gestellt:

1. Die Migrationsbewegungen der dem Projektzeitraum vorgelagerten Zeitperiode erlauben es, besonders interessante Aspekte der Ressourcennutzung und deren Auswirkungen auf die Einwanderer zu untersuchen. Der Fokus wird hier auf der sogenannten ,Gründergeneration‘ liegen, die man im archäologischen Befund zu erkennen glaubt. Sie soll anhand von Strontium-Isotopen direkt auf ihre Herkunft überprüft werden. Hieran schließen sich folgende Fragen an: In welchem Maße brachten die einwandernden Gruppen die Ressourcennutzungsarten ihrer Herkunftsregionen bzw. aus den durchwanderten Gebieten mit? Was gab es für Ernährungsstrategien, d. h. welchen Aufschluss gibt uns der anthropologische, archäozoologische und archäobotanische Befund über den Import von agrarwirtschaftlicher Nutzung?

2. Die Interaktion zwischen Herrschaft, sozialer Ungleichheit und Nutzungsadaption stellt ein interessantes Problem dar. Bilden sich beispielsweise stärker hierarchische Ernährungsunterschiede heraus, wenn die eingewanderten Gruppen im neuen Gebiet bereits länger sesshaft gewesen sind? Finden damit auch die für die Alemannia von R. Christlein und H. Steuer anhand des Grabinventars in soziale Schichten differenzierten Qualitätsgruppen A-D eine Entsprechung im anthropologischen Befund? Gibt es Anzeichen für eine sich herausbildende Kriegerelite, die eine andere Ernährungsweise aufzeigt?

3. Die Fremdherrschaft oder auch Kolonisation ist ein weiteres Problemfeld. Lassen sich Wechselwirkungen oder Adaptionsprozesse zwischen ansässigen und zugewanderten Populationen erkennen? Und wie verschieben sich solche hierarchischen Unterschiede als Folge der soziopolitischen Umstrukturierung der völkerwanderungszeitlichen Haushaltsstruktur und der ethnischen Schichtungsprozesse? Es sollen hier die zeitgleichen Bestattungen in Kirchen und auf Gräberfeldern untersucht werden, um einen möglichen Unterschied in der Herkunft (Franken und Alamannen) und damit differierende Strategien in Bezug auf den Zugang und die Nutzung von wirtschaftlichen Ressourcen näher zu beleuchten.

4. Wie reagierte der menschliche Körper auf unterschiedliche Nutzungsarten von Nahrungsressourcen und – damit verbunden – kulturhistorische Dynamiken? Am Beispiel von Südwest- und Westdeutschland können dabei unterschiedliche geographische Räume des Frühmittelalters untersucht werden. Hierzu gehören sowohl urbane als auch ländliche Räume bzw. zentrale sowie peripher im Siedlungsbereich der Franken und Alamannen gelegene Orte.

Diese Analyse geschieht in Form einer phänomenologisch und biochemisch ausgerichteten, anthropologischen Studie an Überresten menschlicher Skelette auf Merkmale hin, die in erster Linie Aufschluss über Ernährungsweise, Körperhöhen, physische Belastung und Gesundheit liefern können. In Verbindung mit aus archäologischen Funden und Befunden gewonnenen Erkenntnissen zur jeweiligen sozialen, politischen und wirtschaftlichen Struktur sollen in einem bioarchäologischen Ansatz kulturelle und biologische Daten zu Individuen und ganzen Populationen verknüpft werden. Damit sollen kulturhistorische Prozesse aus einer Perspektive beleuchtet werden, die wertvolle weiterführende Informationen zu geben verspricht und besonders durch die enormen Fortschritte der anthropologischen und biochemischen Methoden und Forschungen der letzten Jahre möglich geworden ist.

 

Langfristige Planung

Für die zweite und dritte Förderphase ist eine vergleichbare Analyse von Gräbern aus anderen Zeiten und Räumen geplant, um die gewonnenen Resultate zu überprüfen. Es sollen hier Gräber aus der Phase der griechischen Kolonisation, der Hallstattzeit und der Wikingerzeit untersucht werden.

Die Einbeziehung ökonomischer, naturräumlicher und soziokultureller Faktoren bei der Untersuchung der Entwicklung der Ernährungsmethoden eröffnet für die Problematik des SFB einen wesentlichen analytischen Zugriff auf die sozio-kulturelle Bedeutung der Ressourcen. Weiterhin kann das Teilprojekt mit der Frage nach der Wechselwirkung zwischen sozialer Ungleichheit und Nutzungsadaption einen wichtigen Beitrag zum Verständnis der Bedeutung von Ressourcen bei der Bildung und Aufrechterhaltung sozio-politischer Strukturen leisten.

 

Die Rechte der auf dieser Seite verwendeten Bilder liegen beim SFB 1070, Teilprojekt B06.