Internationales Zentrum für Ethik in den Wissenschaften (IZEW)

Kultur, Differenz, Ethik - Wissenschaft im Spiegel von "Globalisierung"

Interdisziplinäre Arbeitsgruppe am Internationalen Zentrum für Ethik in den Wissenschaften (IZEW), Universität Tübingen



Arbeitsgruppe

Die Arbeitsgruppe "Kultur, Differenz, Ethik - Wissenschaft im Spiegel von 'Globalisierung'" ist aus dem Forschungsprojekt "Philosophie der Mondialisierungen" entstanden, das unter der Leitung von Dr. Jens Badura am IZEW bearbeitet worden ist, um den Begriff 'der Globalisierung' aus dem Blickwinkel verschiedener Disziplinen zu durchleuchten. Die Arbeitsgruppe ist das Ergebnis einer Konzentration des Projektes auf einige Teilthemen (insb. Kultur/Interkulturalität - Identität - Legitimität), die sich zusammenführen lassen in die Frage nach einem angemessenen Umgang der jeweils eigenen wissenschaftlichen Disziplin mit kultureller Differenz. Die interdisziplinäre Ausrichtung soll helfen, blinde Flecken der eigenen Disziplin besser zu erkennen und Anregungen aus anderen disziplinären Perspektiven und Herangehensweisen aufzunehmen.

Im Arbeitspapier des Forschungsprojektes "Philosophie der Mondialisierungen" (Badura 2003) hieß es dazu bereits,

Ziel sei es, "jenseits disziplinärer Blickspezifika Suchräume zum Verständnis 'der Globalisierung' zu eröffnen, in denen eine Reflexion auf die Vielgestaltigkeit der hinter dem Begriff 'Globalisierung' liegenden Phänomene und Prozesse (Mondialisierungen) erfolgen kann. Damit sollen Bemühungen unterstützt werden, 'Globalisierung' als Mondialisierungen zu deuten und jenseits ökonomisch-vereinseitigter Zugänge, technizistisch reduzierter Modelle und pauschaler Kritik als ein Kulturphänomen anzuerkennen, das eine Revision etablierter Denkmuster der Welterschließung und -steuerung nahe legt: Mondialisierungen, so die normative Ausgangsprämisse des Projekts, zeigen eine auf die Vielheiten ihrer Möglichkeiten ausgreifende Menschheit an und erfordern ein Denken, das ein Menschsein in dieser Pluralität praktisch möglich macht."

Zugänge

Wie aber kann ein solches Denken im Einzelnen aussehen? Was sind seine Bedingungen? Welchen Beitrag kann die Wissenschaft dazu leisten? Wo sind die Grenzen der Wissenschaft und wo die Grenzen einzelner wissenschaftlicher Disziplinen in diesem Zusammenhang? Diese und ähnliche Fragen sollen in der Arbeitsgruppe reflektiert und zu beantworten versucht werden.

Im Mittelpunkt steht dabei der Begriff Differenz. Er dient als Suchbegriff, der helfen soll, 'die Globalisierung' als einheitliche Bewegung in Frage zu stellen, wobei er selbst hinsichtlich seiner Verwendungen und seiner Bedeutung für 'die Globalisierung' noch auszuloten ist: Vorläufig wird mit ihm die Option offen gehalten, dass verschiedene menschliche Lebensformen so grundlegend different sein können, dass sie sich nicht in gemeinsamen abstrakten Strukturen, in einer gemeinsamen Grammatik des Denkens, der Kommunikation und der Interaktion treffen. Gleichzeitig soll er jedoch keine neuen Identitäten festschreiben. Es ist daher weder vorschnell davon auszugehen, dass sich alle menschlichen Lebensformen letztlich auf einen gemeinsamen Nenner 'des' Menschseins zurückführen lassen, noch davon, dass Lebensformen innerhalb einer Kultur auf einen gemeinsamen Nenner 'der' Kultur zurückgehen und so nach außen, zwischen Kulturen, unüberwindbare Gräben entstehen. Damit werden in Hinblick auf wissenschaftliche Methodik Universalismus und Kulturrelativismus gleichermaßen fragwürdig.

Zudem untergräbt dies ein gängiges Verständnis von Kultur, das diese als abgrenzbare Ganzheit bestimmt, die in sich homogen ist. Wenn man potentielle Differenzen innerhalb einer Kultur genauso ernst nimmt wie diejenigen zwischen Kulturen, differenzieren sich 'die Kulturen' aus und lassen sich unter Umständen untereinander, quer zu bestehenden Traditionen, vernetzen: über 'Ähnlichkeiten' von unterschiedlich dauerhaftem Bestand. Trotzdem existiert die Vorstellung der 'Kultur(en)' weiter, die in diesem Sinne jedoch genauso wie die Konzepte der 'Interkulturalität' oder 'kulturellen Identität' dynamischer zu begreifen wäre.

Für eine Ethik, die sich auf die Interaktion von Menschen aus derart voneinander und in sich verschiedenen Kulturen bezieht, ergibt sich daraus die elementare Frage, wie Legitimität, die Verbindlichkeit von Werten, Regeln und Normen zu fassen ist, wenn infolge potentieller fundamentaler Differenz intra- wie interkulturell gemeinsame Bezugspunkte, auf die sich normative Begründung stützen könnte, nicht mehr selbstverständlich existieren (vgl. den 'Widerstreit' nach Lyotard). Eine Begründung sowie das in Geltung Setzen von Ansprüchen gegen andere (z.B. in Form moralischer Forderungen) muss vor diesem Hintergrund ohne universalistisch gedachte Verankerungen erfolgen. Ausgehend von den verschiedenen wissenschaftlichen Disziplinen wird hier auch überlegt, welcher Stellenwert ethischer Reflexion in Bezug auf das Zusammenleben zwischen Kulturen überhaupt zukommen kann bzw. sollte, wo und unter welchen Voraussetzungen sie abzulösen ist von Ansätzen einer pragmatischen Konfliktbewältigung in den Rechts- oder Sozialwissenschaften bzw. inwieweit die moderne Ökonomik mit der ihr impliziten Normativität als eine Verhandlungstheorie Lösungspotential enthält.

Anwendungskontext Menschenrechte

Konkretisiert werden die Überlegungen zu Differenz, Kultur und Ethik am scheinbar unlösbaren und nach wie vor aktuellen Konfliktfall universeller Menschenrechte. In der Untersuchung ihrer Möglichkeit verbinden sich die Fragen nach universalen Werten, Normen und Regeln, nach kultureller Identität, Interkulturalität und inter- sowie intrakulturellen Differenzen. Es wird hier insbesondere diskutiert, ob und in welcher Weise universelle Menschenrechte überhaupt denkbar sind, wie sie ggf. beschaffen sein müssten, und ob bzw. wie sie im Kontext der Globalisierung, verstanden als Mondialisierungen, etabliert werden können. Auch hier wird wieder gefragt, welchen Beitrag die einzelnen wissenschaftlichen Disziplinen zur Reflexion der Möglichkeit, sinnvollen Beschaffenheit und gegebenenfalls Umsetzung universeller Menschenrechte im Rahmen kultureller Pluralität leisten können und sollten.

Mitglieder der Arbeitsgruppe

Stefan Gammel M.A., studierte Philosophie, Anglistik und Germanistik an den Universitäten Stuttgart und Liverpool Hope; Arbeitsschwerpunkte: Utopieforschung (Philosophie, Literatur & Architektur), mittelalterliche Mystik und Philosophie, Ethik.

Dr. Brigitte Höhenrieder, studierte Sinologie, Germanistik, Japanologie und Philosophie an den Universitäten Würzburg, Nanjing und Tübingen; Arbeitsschwerpunkte: Chinesische Sprache und Kultur, Linguistik, Sprachphilosophie, interkulturelle Ethik, kulturwissenschaftliche Methodik, Übersetzung.

Dr. Alexander Proelß, studierte Rechtswissenschaften an den Universitäten Bonn und Tübingen; Arbeitsschwerpunkte: Völkerrecht (insbes. internationales Seerecht), Europarecht.

Dipl.-Vw. Fabian Scholtes, studierte Internationale Volkswirtschaft mit Schwerpunkt Lateinamerika in Tübingen und Rio de Janeiro; Arbeitsschwerpunkte: Wirtschaftsethik, Umweltökonomie, Ethnologie.

Koordination

Dr. Brigitte Höhenrieder

Kooperationen

Graduiertenkolleg "Globale Herausforderungen", Universität Tübingen

durchdenker.de - agentur für reflexive wissenschaft und praxis

Kontakt

Stefan Gammel
E-Mail:stefan.gammel[at]uni-tuebingen.de