Von Werten, Ethik und Moral: Das Jahrestreffen des BNE-Hochschulnetzwerks
Das Kompetenzzentrum für Nachhaltige Entwicklung (KNE), angesiedelt am IZEW, war am 6. und 7. Mai Gastgeberin des Jahrestreffens 2024 des BNE-Hochschulnetzwerks Baden-Württemberg. Das Netzwerk wurde 2012 gegründet und fördert den Austausch von BNE-Akteur*innen an Hochschulen und Universitäten des Landes. Die Jahrestreffen des Netzwerks finden an wechselnden Hochschulstandorten statt – 2024 nun in Tübingen. Rund 30 Teilnehmende kamen zusammen, um Vorträge und Workshops zum Thema „Werte, Ethik und moralisch-politische Emotionen in der (B)NE“ zu hören, mitzugestalten, konstruktiv zu diskutieren und sich zu vernetzen.
Wie auch in den vergangenen Jahren stand vor allem der Austausch zwischen BNE-Lehrenden, -Forschenden und -Praxisakteur*innen im Vordergrund. Inwieweit BNE-Ziele mit dem Überwältigungsverbot konfligieren, erwies sich dabei als eine Kernfrage, die alle Teilnehmenden im beruflichen Alltag begleitet. Hintergrund dieser Frage ist auf der einen Seite die bildungspolitische Forderung, dass Lehrende (und Lernende) als „Change Agents“ fungieren und die Gesellschaft als Vorbilder auch selbst nachhaltig mitgestalten sollen. Auf der anderen Seite verbietet der Beutelsbacher Konsens Lehrkräften, Schüler*innen mit Meinungen und Grundhaltungen „zu überrumpeln“ und sie dadurch an einer eigenständigen Urteilsbildung zu hindern. Wie dieses Spannungsfeld zwischen Authentizität und Neutralität überwunden werden kann, diskutierten Prof. Dr. Claudia Bergmüller-Hauptmann (PH Weingarten) und Dr. Johanna Weselek (PH Heidelberg) in einem von drei Praxis-Workshops, die am ersten Veranstaltungstag angeboten wurden. Dabei legten sie den Fokus auf die Qualifizierung von BNE-Lehrenden, beispielsweise auf die Lehramtsausbildung, und betonten die Notwendigkeit, neben Fachwissen insbesondere auch BNE-didaktische Grundlagen zu vermitteln. Hierzu gehört etwa die Fähigkeit, Schüler*innen zum Reflektieren eigener Überzeugungen, Werthaltungen und Handlungsoptionen anzuregen. Ermöglicht BNE solche Reflexionsräume, so kann das angesprochene Spannungsfeld zwischen BNE-Zielen und dem Überwältigungsverbot überwunden werden. Auch der Workshop von Dr. Uta Müller und Dr. Simon Meisch (Uni Tübingen) schloss sich dieser Perspektive an; zugleich wiesen die Teilnehmenden jedoch auf die noch fehlende Berücksichtigung entsprechender Fragen in den Curricula der Lehramtsstudiengänge hin. Dies hat zur Folge, dass Lehrkräfte in aller Regel Schwierigkeiten damit haben, BNE-Ziele und Überwältigungsverbot in Einklang zu bringen, und von der Umsetzung von BNE im Unterricht häufig absehen. Dies konnte auch Dr. Johanna Weselek in ihrer Dissertation empirisch zeigen, was sie in ihrer Keynote näher erläuterte.
Auch in anderen Vorträgen und Workshops wurden ethische Fragestellungen der BNE bearbeitet: Prof. Dr. Thomas Potthast (Uni Tübingen) und Prof. Dr. Bernd Overwien (HU Berlin) warnten in ihren jeweiligen Keynotes davor, BNE gänzlich zu entpolitisieren, und plädierten dafür, die Fähigkeit der argumentativ sauberen Urteilsbildung bei Schüler*innen wieder stärker zu fördern. Wie dies gelingen kann, verdeutlichte Dr. Uta Eser (Büro für Umweltethik) in einem Workshop. Am Beispiel neuer Gentechnik im Naturschutz zeigte sie, wie eine fundierte Urteilsbildung bei komplexen ethischen Fragestellungen didaktisch unterstützt werden kann, indem die übergeordnete Frage nacheinander in kleinere Teilfragen aufgebrochen wird. Da die Teilnehmenden zu jeder einzelnen Teilfrage Stellung beziehen mussten, erhielten sie ein Gespür für die Komplexität ethischer Themen und die Problematik von simplifizierender und voreiliger Urteilsbildung.
Gerahmt wurde die Tagung von vielfältigen BNE-Methoden. Hierzu gehörten beispielsweise ein Gallery-Walk, bei dem zentrale Erkenntnisse aus Gruppenarbeitsphasen einem Plenum dargeboten werden können, und ein Themen-Café, das Diskussionsrunden zu unterschiedlichen Fragestellungen ermöglicht. Nach einem abschließenden Ausblick von Prof. Dr. Alexander Siegmund (PH Heidelberg), dem Sprecher des Netzwerks, – auch auf das Jahrestreffen 2025, das vermutlich in Heidelberg stattfinden wird – endete ein vielseitiges und gelungenes Jahrestreffen 2024 an der Universität Tübingen. Wir danken allen Mitgestaltenden und Teilnehmenden für ihre anregenden und konstruktiven Beiträge und die zahlreichen inspirierenden Gespräche!
Verfasst von: Charlotte Müller und Maximilian Irion