Uni-Tübingen

Newsletter Uni Tübingen aktuell Nr. 2/2013: Schwerpunkt

Das Bildungswissenschaftliche Begleitstudium

Konzeption

An der Universität Tübingen gibt es mehr als 4000 Lehramts-Studierende (Stand Sommersemester 2013), die aktuell noch nach zwei Prüfungsordnungen studieren: nach der Wissenschaftlichen Staatsprüfungsordnung (WPO) aus dem Jahr 2001 und nach der seit dem Jahr 2009 für alle Studienanfänger gültigen Gymnasiallehrerprüfungsordnung I (GymPO I). Die Einführung des Bildungswissenschaftlichen Begleitstudiums im Rahmen der neuen Prüfungsordnung GymPO I haben die Abteilung und die Forschungsstelle für Schulpädagogik am Institut für Erziehungswissenschaft der Wirtschafts- und Sozialwissenschaftlichen Fakultät der Universität Tübingen genutzt, um die bisherigen Pädagogischen Studien aus der WPO grundsätzlich neu zu definieren. Institut und Forschungsstelle sind an der Universität Tübingen verantwortlich für das Bildungswissenschaftliche Begleitstudium. Aufgrund zahlreicher Mängel der bis dahin realisierten Pädagogischen Studien – beispielsweise eine Beliebigkeit bei der Zusammensetzung des Curriculums, ein fehlender systematischer Aufbau, unterschiedliche Leistungsanforderungen oder auch eine fehlende Anbindung an die Professionalisierungsforschung – erschien eine Neukonzeption unabdingbar. Für diese Neukonzeption des Bildungswissenschaftlichen Begleitstudiums (BWBS) sind bis heute folgende Aspekte und Überlegungen maßgeblich:

Von den sechs Veranstaltungen des BWBS werden vier von der Abteilung Schulpädagogik in einer kumulativen und im Detail ausdifferenzierten Konzeption angeboten (Abb. 1, blau unterlegt).

Um die hohen Studierendenzahlen in Lehramtsstudiengängen zu bewältigen, werden an der Universität Tübingen die drei Seminare ‚Lehren, Lernen, Unterricht‘, ‚Lehrerprofessionalität in der Organisation Schule‘ sowie ‚Bildungstheorie und Bildungsforschung‘ bis zu 20 mal pro Semester weitgehend identisch und parallel angeboten. Um dies gewährleisten zu können, ist die Universität Tübingen jedes Jahr auf Studiengebühren beziehungsweise – seit Abschaffung der Studiengebühren – Qualitätssicherungsmittel für die Abordnung von vier Lehrkräften angewiesen Insgesamt sind durchschnittlich neun Personen an der Gewährleistung dieses Lehrangebot beteiligt. Dieses gemeinsame und einheitliche Seminarangebot bezieht sich auf etwa 70 Prozent der Sitzungen einer Lehrveranstaltung in einem Semester. Damit bleiben trotz des verbindlichen und kumulativen Curriculums Möglichkeiten der individuellen Schwerpunktbildung und flexiblen Organisation von Lehrveranstaltungen.

Über mehrere Maßnahmen der Qualitätssicherung werden die identischen Anteile der Lehrveranstaltungen stabil und verbindlich miteinander verbunden. Folgende Maßnahmen zur Qualitätssicherung werden dafür durchgeführt :

Verbindung von Forschung und Praxis über Analyse von Unterrichtsvideos

Die Verbindung von Theorie und Praxis ist schon immer ein zentrales Anliegen der Lehrerbildung. Studierende und Schulen wünschen sich in der Regel mehr Praxisanteile, aus universitärer Sicht darf dabei jedoch die wissenschaftliche Basis schulischer Arbeit nicht verloren gehen. Praxisanteile führen nicht automatisch zu einer Erhöhung der Qualität der Pädagogischen Professionalität. Studierende erleben den Übergang ins Referendariat jedoch vielfach als sehr schwierig, fühlen sich unvorbereitet oder bezeichnen den Übergang gar als ‚Praxisschock‘. Im Mittelpunkt der Probleme steht dabei insbesondere die Komplexität unterrichtlichen Handelns, auf die sich die zukünftigen Lehrkräfte durch die Universität nur unzureichend vorbereitet fühlen. Im Bildungswissenschaftlichen Begleitstudium erfolgt ein regelmäßiger Einsatz von Videoausschnitten gefilmten Unterrichts, um dieser Problematik Rechnung zu tragen. Diese exemplarischen Fälle pädagogischen Handelns ermöglichen es, theoretische Sachverhalte praxisnah zu vermitteln und bereiten auf die Komplexität unterrichtlichen Handelns vor. Die Videosequenzen werden in der Regel über ein Raster analysiert (Abb. 2), welches auf der derzeitigen Forschung zum Einsatz von Unterrichtsvideos in der Lehrerbildung basiert. Damit wird die Auseinandersetzung mit den gewählten Videosequenzen anschlussfähig an den aktuellen Stand der Unterrichtsforschung und an die aktuelle Diskussion zu Professionstheorien. Ein ähnliches Vorgehen wird bei der Besprechung schriftlicher Fälle gewählt.

Die in den Lehrveranstaltungen eingesetzten Unterrichtsvideos sind zum Teil unmittelbar aus aktuellen Forschungsprojekten der Abteilung und Forschungsstelle Schulpädagogik entnommen, beispielsweise aus dem Forschungsprojekt ‚Aufgabenkultur‘ (z.B. Kleinknecht, M. (2010). Aufgabenkultur im Unterricht: Eine empirisch-didaktische Video- und Interviewstudie an Hauptschulen. Schul- und Unterrichtsforschung: Vol. 11. Baltmannweiler: Schneider Hohengehren).

Evaluationsergebnisse

Die bisherige Konzeption des Bildungswissenschaftlichen Begleitstudiums gilt aufgrund der Einführung der GymPO I erst seit dem Wintersemester 2010/2011. Im Wintersemester 2011/2012 wurden Veranstaltungen mit der neuen bildungswissenschaftlichen Konzeption im Rahmen der Evaluation der Lehre an der Wirtschafts- und Sozialwissenschaftlichen Fakultät der Universität Tübingen evaluiert. Dabei konnten auffällig gute Ergebnisse erzielt werden, die an dieser Stelle nur skizziert werden: Sämtliche für Lehramtsstudierende angebotenen Seminare der Abteilung Schulpädagogik wurden mit der maximalen prozentualen Qualität (100 Prozent) von den Studierenden bewertet. Im Vergleich zu Bachelor- und Masterveranstaltungen schnitten die Seminare insgesamt besser ab. Im Evaluationsbericht heißt es auf Seite 39 dazu: „Bei Seminaren werten Lehramtsstudierende (Durchschnittsbewertung 1.77) auffällig und signifikant besser als Bachelorstudierende (2.08) und besser als Masterstudierende (2.13).“

Entwicklungsperspektiven

Die Konzeption des Bildungswissenschaftlichen Begleitstudiums wird kontinuierlich weiterentwickelt. Derzeit ist es ein wichtiges Anliegen für alle Beteiligten an der Universität Tübingen, die Organisation und Konzipierung der Leistungsnachweise zu verbessern. Darüber hinaus wird das Curriculum überarbeitet, mit dem Ziel einer noch stärkeren Forschungsorientierung und intensiveren Verzahnung der einzelnen Lehrveranstaltungen in den beiden Modulen. Auch die Arbeit mit Videofällen wird systematisch weiterentwickelt, außerdem ist eine Intensivierung der Kooperation mit der zweiten Phase geplant. Da das Bildungswissenschaftliche Begleitstudium sich auf Felder bezieht, die derzeit intensiv erforscht werden und sich dynamisch weiterentwickeln, müssen alle Inhalte, Texte und Materialien für das BWBS kontinuierlich aktualisiert werden.

Thorsten Bohl, Britta Kohler und Colin Cramer