In Deutschland gibt es lediglich einige kleinere Studien über die sexuelle Viktimisierung von Studentinnen. In den USA existiert eine offizielle Berichterstattung über „Campus Crime“, allerdings nur zu den der Polizei gemeldeten Fällen („Hellfeld“). Als Dunkelfeldstudie ist die Tübinger Sicherheitsstudie methodisch neu. Die Universität Bochum, zu der wir Kontakt haben, führt nach dem Tübinger Symposium über Hochschulsicherheit im Jahr 2012 nun eine vergleichbare Studie durch. Wir sind gespannt, ob man an der Campus-Universität dort zu anderen Ergebnissen kommt als an der Streuuniversität Tübingen.
Wir konnten auf Fragen zurückgreifen, die sich im Institut für Kriminologie in anderen Dunkelfeldstudien als relevant erwiesen haben. In Pretests haben Praktikantinnen aus der Soziologie diese Fragen auf ihre Relevanz für die Universität Tübingen und auf Verständlichkeit getestet. Im Übrigen gibt es Standardfragen zum Sicherheitsgefühl: „Wie fühlen Sie sich nachts in Ihrer Wohngegend bzw. in der Stadt …“ Insgesamt haben wir nun ein methodisches Rüstzeug, etwa auch für eine Wiederholungsstudie, um zu sehen, wie sich die Hochschulsicherheit entwickelt.
Hinsichtlich der Kriminalitätsbelastung hat uns die geringe Belastung der (männlichen) Studenten überrascht. Männlich, zwischen 20 und 25 Jahre, viel freie Zeit, eine gewisse Affinität zu Alkohol und Drogen, geringes Einkommen und bescheidene Wohnverhältnisse korrelieren eigentlich mit Straffälligkeit. Dass Studenten selten kriminell werden, hängt damit zusammen, dass sie mit der Reifeprüfung einen hohen Bildungsstand erreicht haben und an der Universität weiter an ihrer beruflichen Bildung arbeiten. Dort haben sie – hoffentlich – Vorbilder gefunden, und streben bestimmte Ideale an. Sie sind meist gut in ihre Herkunftsfamilien und in die Gruppe der Gleichaltrigen eingebunden. Sie weisen ein angemessenes Anspruchsniveau auf und können – auch im Vergleich zu Gleichaltrigen – Konsumverzicht üben. Günstig ist auch, dass sie in aller Regel die Freizeit strukturiert verbringen. Bezogen auf die Zukunft verfügen Studierende über eine gewisse Lebensplanung. Hoffnung auf eine gute Zukunft und – umgekehrt – etwas zu verlieren zu haben, macht sie gegen schwere Straffälligkeit resistent. Die TüS kann daher zur Beantwortung der interessanten Frage beitragen: „Was brauchen junge Menschen, damit sie nicht kriminell werden?“
Die Tübinger Sicherheitsstudie ist ein erster allgemeiner Zugriff auf „Hochschulkriminalität“ und „Hochschulsicherheit“. Man braucht spezielle Forschung, um das Phänomen besser zu erfassen. In Stichwörtern: Wirtschaftskriminalität an Hochschulen, Wissenschaftskriminalität in unterschiedlichen Erscheinungsformen, Rechts- und Linksextremismus, Patientensicherheit im Universitätsklinikum, Bedrohung von Wissenschaftlern auf Grund ihrer Forschungen und Lehrmeinungen sowie schließlich sog. Hasskriminalität (gegenüber ausländischen/internationalen Studierenden und Mitarbeitern, auch wenn wir gerade für Tübingen hier erfreulich niedrige Zahlen fanden). Das wären lohnende Untersuchungen, um gute Voraussetzungen für Forschung, Lehre und Lernen zu schaffen.
Da wir die Universität nicht nur als „Risikounternehmen“, sondern auch als Unternehmen mit kommunalen Strukturen wahrnehmen („Univercity Tübingen“), gehen wir davon aus, dass man Maßnahmen der kommunalen Kriminalprävention gewinnbringend auch auf die Universität übertragen kann. Unser hochschulwissenschaftlicher Ansatz beinhaltet umgekehrt, dass man Maßnahmen, die im überschaubaren Rahmen der Universität greifen, später auch in Schulen und in Kommunen einsetzen kann.