Leitlinien zum Umgang mit Geistigem Eigentum (IPR-Policy)
Die Leitlinien wurden am 8. November 2012 vom Senat der Eberhard Karls Universität Tübingen verabschiedet.
I. Prolog
Diese Leitlinie erläutert den Umgang mit Geistigem Eigentum (Intellectual Property Rights) der Eberhard Karls Universität Tübingen bei Transferprozessen mit privatwirtschaftlichen Unternehmen. Sie soll auf der einen Seite die Wissenschaftler¹ der Universität unterstützen, die Interessen der Universität, ihrer wissenschaftlichen Einrichtungen und aller Beschäftigten wahren, und auf der anderen Seite die Verbreitung und den Zugang zu Forschungsergebnissen sowie deren Nutzung über Lizensierung, Verkauf oder Unternehmensgründungen regeln.
Gewerbliche Schutzrechte sind unter anderem ein Maßstab für die Kreativität und die Leistungsfähigkeit einer Universität und tragen in der Öffentlichkeit zu einem positiven Erscheinungsbild bei.
II. Wissenstransfer als Kernaufgabe der Universität
Schon immer ist es ein Ziel der Forschung an der Eberhard Karls Universität Tübingen (EKUT) die Erkenntnisse aus der Wissenschaft für die gesamte Gesellschaft nutzbar zu machen. Der Wissensaustausch gehört zu den gesetzlich verankerten Kernaufgaben der Universität (§ 2 Abs. 4 Landeshochschulgesetz - LHG). Daher strebt die Eberhard Karls Universität eine möglichst weitreichende Nutzung und Verbreitung der Ideen, Technologien und Anwendungen aus der Forschung auch durch eine kommerzielle Verwertung an, die einen volkswirtschaftlichen Mehrwert schafft und die Zukunft des Wirtschaftsstandorts Deutschland sichert.
Der Wissens- und Technologietransfer hat für die Eberhard Karls Universität Tübingen das Ziel, die Breite des Geistigen Eigentums aus der Wissenschaft möglichst erfolgreich in die Gesellschaft zu transferieren und nicht nur einzelne, sehr ausgewählte und höchst profitable Projekte zu unterstützen. Der Nutzen für die Gesellschaft hat dabei für die Eberhard Karls Universität Tübingen Vorrang vor einem rein finanziellen Gewinnstreben.
Für den Wissens- und Technologietransfer sind nachfolgend Leitlinien beschrieben. Durch diese Leitlinien soll sichergestellt werden, dass die Universität das Wissen der Mitarbeiter zu angemessenen Bedingungen weitergibt.
III. Geistiges Eigentum (Intellectual Property Rights)
Als Volluniversität generiert die Eberhard Karls Universität Tübingen Wissen in einem besonders breiten Spektrum sowohl in den Geistes- und Sozialwissenschaften als auch in Medizin, Natur- und Lebenswissenschaften. Diese wissenschaftlich entstandenen Erkenntnisse werden, soweit sie schutzrechtsfähig sind, nachstehend als Geistiges Eigentum bezeichnet.
Das Urheberrecht und gewerbliche Schutzrechte, wie Patente, Marken und Designs garantieren dem Urheber bzw. dem Anmelder Rechte an diesen immateriellen Gütern. Rechte an Geistigem Eigentum sind damit Rechte an immateriellen Gütern. Diese Rechte umfassen wissenschaftlich entstandene Erkenntnisse und Entwicklungen einschließlich urheberrechtlich geschützter Werke, gewerbliche Schutzrechte, wie Patente, Marken und Designs, sowie Computersoftware und technisches Know-how.
Die Eberhard Karls Universität Tübingen ist regelmäßig die Eigentümerin des durch ihre Beschäftigten generierten Geistigen Eigentums und der Arbeitsergebnisse. Die gesetzlichen Grundlagen dazu sind im Arbeitnehmererfindergesetz (ArbEG) und im Urheberrechtsgesetz (UrhG) in Verbindung mit dem Bürgerlichen Gesetzbuch (BGB) hinterlegt. Für die Verwertung von Geistigem Eigentum von Studierenden und Stipendiaten, die an der Eberhard Karls Universität ohne Anstellung tätig sind, müssen jeweils gesonderte Vereinbarungen abgeschlossen werden, in denen der Umgang mit den Arbeitsergebnissen geregelt wird.
Die Inanspruchnahme von Diensterfindungen durch die Eberhard Karls Universität Tübingen begründet im Verwertungsfall einen Anspruch der Erfinder auf Erfindervergütung. In ähnlicher Weise können Urheber z.B. von Computerprogrammen an den Erlösen der Verwertung beteiligt werden.
A. Erfindungen
Die Mitglieder der Universität sind verpflichtet, sämtliche Diensterfindungen, die öffentlich zugänglich gemacht werden sollen, mit Hilfe des Formulars zur Erfindungsmeldung² an das Rektorat (Technologietransfer) der Universität zu melden. In gleicher Weise sind freie Erfindungen mitzuteilen. Der Technologietransfer bewertet Diensterfindungen in Bezug auf die Möglichkeit gewerbliche Schutzrechte anzumelden und auf die Chancen einer kommerziellen Verwertung. Ist das Ergebnis positiv, nimmt die Eberhard Karls Universität die Erfindung in Anspruch und meldet sie zum Patent an.
B. Patente
Bei Erfindungen, für die ein Patent angemeldet wird, wirken die Erfinder beim Anmeldeverfahren mit. Die Kosten des Anmeldeverfahrens übernimmt dabei die Universität.
C. Nicht zum Patent angemeldetes Material
Die Eberhard Karls Universität hat grundsätzlich auch an weiteren, nicht patentierten Materialien sämtliche Rechte und kann diese gegebenenfalls auch, in Absprache mit den Beteiligten, im Interesse der Allgemeinheit sowohl für Forschungszwecke als auch für kommerzielle Zwecke lizensieren oder übertragen.
Zu diesen Materialien gehören insbesondere biologische Materialien wie Zelllinien, Organismen, Proteine, Plasmide, DNA/RNA, chemische Verbindungen, und transgene Tiere. Es sind Materialien, die für Forschungszwecke oder kommerzielle Zwecke nützlich sind, für die aber eben kein Patent angemeldet wurde.
Bei der Weitergabe solcher Materialien an externe Kooperationspartner ist es in der Regel ratsam, ein „Material Transfer Agreement“ (MTA), eventuell in Kombination mit einer Vertraulichkeitsvereinbarung (Confidentiality Disclosure Agreement – CDA) abzuschließen.
D. Computersoftware
Als Computersoftware werden jegliche Computerprogramme sowie Microcode-, Subroutine- und Betriebssysteme, unabhängig von der Form der Ausführung oder des Gegenstandes, in dem sie sich befinden, zusammen mit den Betriebsanleitungen und anderen begleitenden erläuternden Materialien, sowie jegliche Computerdatenbanken, bezeichnet. Die Eberhard Karls Universität unterstützt besonders die Verbreitung der in Forschungsprojekten entstandenen Computersoftware unter den „Open Source“ Lizenzmodellen, um die Weiterverbreitung der Forschungsergebnisse zu verbessern. Auch neu entwickelte Computersoftware ist dem Rektorat (Technologietransfer) mitzuteilen, wenn der Entwickler ein kommerzielles Potential an der Computersoftware erkennt, oder der Schutz über Patente möglich sein könnte.
Die Universität ist gemäß §69b UrhG nur dann zur Ausübung aller vermögensrechtlichen Befugnisse an Computerprogrammen berechtigt, wenn das Computerprogramm durch Arbeitnehmer in Wahrnehmung von Aufgaben oder nach Anweisungen des Arbeitgebers geschaffen wurde.
IV. Verwertung des Geistigen Eigentums
Das Geistige Eigentum kann auf unterschiedlichen Wegen der nicht-kommerziellen und kommerziellen Nutzung zugeführt werden, die durch ihre Eigenarten auch unterschiedliche Chancen und Risiken beinhalten.
In ihrer Verwertungsstrategie nützt die Eberhard Karls Universität Tübingen verschiedene Strategien. Dabei wird in jedem Einzelfall auf den optimalen gesellschaftliche Nutzen und die Ausschöpfung des Vermögenswertes geachtet. Aus diesem Grund verwendet die Eberhard Karls Universität Tübingen auch keine Muster-Verwertungsverträge, weil diese aufgrund ihrer Pauschalität die unterschiedlichen Sachverhalte nur eingeschränkt abbilden können.
Ungeachtet der unterschiedlichen Verwertungswege behält sich die Universität regelmäßig ein Nutzungsrecht an dem Geistigen Eigentum für Forschung und Lehre vor. Ebenso wird der Publikationsauftrag der Universität bei der Gestaltung der Verwertung berücksichtigt.
A. Lizensierung
Die Eberhard Karls Universität Tübingen zieht eine Lizensierung der Schutzrechte dem Verkauf der Rechte vor, weil die Schutzrechte dabei im Eigentum der Universität bleiben und eine Flexibilität bei der Vergabe der Nutzungsrechte gegeben ist (Lizenzen lassen sich exklusiv oder nicht exklusiv vergeben, für einen oder mehrere Partner, in verschiedenen Markt- und Technologiesegmenten, global oder regional begrenzt). Durch Lizensierung können Auftraggebern, Kooperationspartnern und Ausgründungen in individuellen Vereinbarungen Nutzungsrechte und -pflichten an den Schutzrechten der Eberhard Karls Universität Tübingen eingeräumt werden. Die Lizenzgebühren orientieren sich am jeweils marktüblichen Wert und dem spezifischen Umfeld der lizensierten Produkte.
B. Verkauf und Übertragung
In bestimmten Fällen kann jedoch auch ein Verkauf oder eine Übertragung von Erfindungsanteilen oder Schutzrechten in Frage kommen. Dies ist insbesondere im Rahmen von Auftragsforschung oder bei Forschungskooperationen denkbar, bei denen die konkreten Umstände ein solches Vorgehen rechtfertigen. Bei öffentlichen Zuwendungsgebern sind die einschlägigen Nebenbestimmungen zu beachten.
C. Unternehmensgründungen und Beteiligungen
Die Eberhard Karls Universität Tübingen unterstützt die Gründung von Firmen („Spin-offs“ und „Start-ups“) auf der Basis von Forschungsergebnissen, um die Umsetzung in marktreife Produkte und damit die Schaffung von Arbeitsplätzen voranzutreiben. Zukunftsträchtige Ausgründungen basieren häufig auf Technologien, die durch die Universität gewerblich geschützt worden sind. Gesicherte Schutzrechte sind für die Ausgründungen eine Voraussetzung um Finanzmittel von Investoren einzuwerben, und den Geschäftsbetrieb aufnehmen zu können. Die Universität ermöglicht die Nutzung der Rechte in der Regel durch eine exklusive Lizenz an die Ausgründung, wobei die Vorgaben des EU-Beihilferahmens beachtet werden.
Darüber hinaus erwägt die Universität innerhalb der gesetzlichen Rahmenbedingungen eine Beteiligung als Minderheiten-Gesellschafter an der Ausgründung, um die Vermögenswerte der Schutzrechte optimal auszuschöpfen. Die Universität betätigt sich jedoch nicht als Investor zur Finanzierung von Ausgründungen.
D. Equitable Licensing
Die Eberhard Karls Universität Tübingen begrüßt prinzipiell die Möglichkeit von Equitable Licensing Modellen, um innerhalb der rechtlichen Rahmenbedingungen Innovationen vor allem auch in Entwicklungsländern zur Verfügung zu stellen.
Equitable Licensing³ umfasst verschiedene Lizenzmodelle, die entwickelt wurden, um den Zugang vor allem zu medizinischen Innovationen für Menschen in Entwicklungsländern zu verbessern. Primäres Ziel ist es, dass entwickelte Diagnostika, Impfstoffe und Medikamente auch dort zur Verfügung gestellt werden, wo sie üblicherweise nicht zugänglich wären. Dabei ermöglicht Equitable Licensing, dass Unternehmen einerseits dort Gewinne machen können, wo es der Markt erlaubt, beispielsweise in Ländern mit hohem Durchschnittseinkommen, während ein preiswertes Angebot zur Behandlung auch für Patienten in Entwicklungsländern gemacht wird. Der Mechanismus des Gewinnausgleichs, etwa durch Preisdifferenzierung, erlaubt einen globalen Transfer von medizinischem Wissen, Innovation und medikamentöser Behandlung von reicheren Volkswirtschaften in weniger reiche.
V. Weitergehende Rahmenbedingungen für die Forschung
A. Forschungskooperationen
Kooperationen, gerade auch mit Unternehmen, können in allen Stadien des Wissensaustausches von der Grundlagenforschung über die Weiterentwicklung bis hin zur Herstellung eines Prototyps in Betracht kommen. Erfindungen als Teil des erarbeiteten Geistigen Eigentums der Eberhard Karls Universität Tübingen können allerdings nicht in Auftrag gegeben werden. Sie stellen vielmehr eine Leistung dar, die über das dem Auftraggeber bzw. dem Kooperationspartner geschuldete Arbeitsergebnis hinausgeht.
Bei der Regelung des Umgangs mit Erfindungen ist das EU-Beihilfe-Verbot (Art. 87 EG-Vertrag) und dessen Konkretisierung durch den EU-Gemeinschaftsrahmen für staatliche Beihilfen (EC 2006/C 323/01) zu beachten. Nach diesen Bestimmungen stellt die Überlassung von Erfindungen an Vertragspartner, wenn sie nicht gegen angemessene Vergütung erfolgt, eine Beihilfe dar, sofern die Kosten des Projektes dem Vertragspartner nicht in voller Höhe (Vollkosten) in Rechnung gestellt werden.
B. Ausgründungen
Die Universität fördert - im Rahmen des rechtlich möglichen - die Gründung von Unternehmen, deren Geschäftskonzept auf wissenschaftlichen Erkenntnissen basiert, welche an der Universität entstanden sind. Die Universität begleitet insoweit die Unternehmensgründer in der Phase der Gründungsvorbereitung durch Beratung und durch die Hilfe bei der Beantragung von Fördermitteln für die Gründung. Sie stellt den Gründern in bestimmten Fällen auch räumliche oder sachliche Ressourcen zur Verfügung.
[1] Anmerkung zur geschlechtsneutralen Formulierung: Aus Gründen der besseren Lesbarkeit wird im Text auf eine geschlechtsneutrale Formulierung verzichtet. Selbstverständlich richten sich alle Formulierungen gleichermaßen an beide Geschlechter.
[2] Das Formular findet sich online auf den Webseiten des Technologietransfers der Universität, für Erfindungen aus der Medizinischen Fakultät auf den Webseiten der Dekanatsverwaltung.
[3] Siehe auch: http://med4all.org