Kath. Institut für berufsorientierte Religionspädagogik

Bedeutung des Religionsunterrichts an beruflichen Schulen

Andreas Schelten

Aus: Die berufsbildende Schule 59 (2007), S. 309f.

An beruflichen Schulen können Pflichtstunden in den allgemeinbildenden Fächern wie z.B. Deutsch, Sozialkunde, Sport und Religion auf Grund von Mittelkürzungen und Lehrermangel ausfallen. Vereinzelt sind von Arbeitgeberseite Stimmen zu hören, berufliche Bildung zu Lasten von Allgemeinbildung lediglich auf den berufsbezogenen Unterricht zu verkürzen. So ließe sich die Berufsschulzeit verringern. Oder ein anderes Argument: Die berufstheoretischen Anforderungen moderner Berufsausbildung wachsen und lassen den Wunsch nach Ausdehnung des berufstheoretischen Unterrichts zu Lasten der allgemeinbildenden Fächer laut werden.

Besonders der Religionsunterricht ist von einem Unterrichtsausfall betroffen. Hinzu kommt, dass für manche Schulleiter und Stundenplaner der Religionsunterricht aufgrund der Gruppenbildungen in einem konfessionellen Unterricht nicht leicht zu organisieren ist. Neben den wenigen Lehrkräften, die neben ihrem Erstfach im Zweitfach Religion unterrichten, sind oft Religionslehrer als Ein-Fach-Theologen, Religionspädagogen oder Pfarrer nebenberuflich und nebenamtlich an unterschiedlichen Schulen und Schularten tätig und nur kompliziert einsetzbar.

Im Folgenden wird aufgezeigt, dass auf den Religionsunterricht in der beruflichen Bildung nicht verzichtet werden kann. Wer dies dennoch tut, leistet einer geistigen Verarmung Vorschub. Zu jeder Zeit gilt es aber, sich neu zu vergewissern, welche Aufgaben der Religionsunterricht in der beruflichen Bildung hat. Dies betrifft auch einen verantwortlichen Islamunterricht in deutscher Sprache unter staatlicher Aufsicht, um Schülerinnen und Schülern muslimischer Religion gerecht zu werden.

Ziele und Aufgaben

Vorab gilt: Eine rechtliche Absicherung findet der Religionsunterricht im Grundgesetz. Nach Artikel 7, Absatz 3 des Grundgesetzes der Bundesrepublik Deutschland ist der Religionsunterricht ordentliches Lehrfach. Dies ist eine äußere Legitimation. Entscheidend ist aber eine innere Legitimation.

Unter den allgemeinbildenden Fächern verfolgt der Religionsunterricht die Funktion der Kompensation: Einer vereinseitigenden Ausrichtung auf eine technisch-gewerbliche oder kaufmännische Bildung wirkt der Religionsunterricht entgegen. Im Sinne eines Ausgleichs zur berufsbezogenen Bildung trägt der Religionsunterricht zur Sinnerklärung junger Erwachsener bei, die in einem Alter des Suchens und Fragens stehen.

In den Verfassungen der Länder in Deutschland werden in den jeweils eigenen Artikeln die Bildungs- und Erziehungsziele der Schulen umschrieben. Im Vordergrund steht dabei die sittliche Persönlichkeit. In Bayern z. B. heißt es in dem entsprechenden Artikel u. a.: "Oberste Bildungsziele sind Ehrfurcht vor Gott, Achtung vor religiöser Überzeugung und vor der Würde des Menschen. [...] Aufgeschlossenheit für alles Wahre, Gute und Schöne [...]" Aus pädagogischer Sicht kann der Religionsunterricht an beruflichen Schulen hierzu aufzeigen, dass der Mensch in der Religion Sinnerfüllung seines Lebens finden kann, dass Ehrfurcht vor Gott vor Selbstüberhebung des Einzelnen wie des Staates bewahrt, dass niemand wegen seiner religiösen Anschauungen benachteiligt oder bevorzugt werden darf, dass man über Religion versuchen kann, sich selbst zu erkennen und zu eigenen Überzeugungen zu gelangen, dass zur Erschließung von Werten die Orientierung an überlieferten Maßstäben gehört, dass man Gut und Böse unterscheiden lernt und man auf sein Gewissen hört (vgl. Staatsinstitut für Schulqualität und Bildungsforschung: Oberste Bildungsziele in Bayern, München 2005.)

Der Religionsunterricht an beruflichen Schulen stellt Glaubensüberlieferungen vor, eröffnet Lebensentwürfe aus christlichem Glauben, befasst sich mit Religionen, Weltanschauungen und Ideologien, führt zu verantwortlichem Handeln nach moralischen Leitlinien und Normen. Der Religionsunterricht an beruflichen Schulen verfolgt diese Bildung.

Wenn Glaubensrichtungen anderer Länder Themen des Religionsunterrichts sind, werden Parallelen und Unterschiede aufgezeigt. Das Fremde wird vertrauter gemacht. Der Religionsunterricht kann so zu einem besseren Verständnis der Kulturen untereinander beitragen.

Ein Maßstab u. a. woran sich Bildung bewährt, ist nach Hartmut von Hentig die Wachheit für letzte Fragen. Gibt es Gott? Hat die Welt einen Sinn? Warum bin ich? Wohin führt das alles? Wer durch Fragen nach letzten Dingen nicht berührt wird, bleibt ein unkritischer, geistig oberflächlicher und geistig armer Mensch (vgl. Hentig: Bildung, Weinheim 2002). Ein Religionsunterricht an beruflichen Schulen stellt sich der Wachheit für letzte Fragen.

Der Religionsunterricht an beruflichen Schulen muss aber auch seine Chancen nutzen. Er darf inhaltlich nicht zu Leerlauf führen. Die Religionslehrer selbst müssen für die Heranwachsenden glaubwürdige, echte, aufrichtige und überzeugende Vorbilder sein, um Einfluss auf die Werteentwicklung der Schülerinnen und Schüler zu gewinnen. Sie müssen sich gerade auch den sozial schwachen und Arbeit suchenden unter den Schülerinnen und Schülern mit ihren Sinn- und Zukunftsfragen annehmen, wenn diese danach fragen, wo sie bleiben.

Fazit

Der Religionsunterricht an beruflichen Schulen ist unentbehrlich und trägt zusammen mit allen anderen Fächern im allgemeinbildenden und berufsbezogenen Bereich zur Menschenbildung bei. Vor über zweihundert Jahren zählte Immanuel Kant zu den Aufgaben der Erziehung die Stufen der Disziplinierung, Kultivierung, Zivilisierung und Moralisierung. Schon damals zweifelte Kant, ob die höchste Stufe der Moralisierung in der Gesellschaft eingelöst wird. Wer heute den Religionsunterricht an beruflichen Schulen in Frage stellt, trägt dazu bei, die Stufe der Moralisierung aufzugeben und allein auf den Stufen der Disziplinierung, Kultivierung und Zivilisierung zu verbleiben.

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