Urgeschichte und Naturwissenschaftliche Archäologie

Sibhudu

Hintergrund

Der Felsüberhang von Sibhudu ist eine Schlüsselfundstelle des südafrikanischen Middle Stone Age (MSA), einem für die frühe kulturelle Evolution unserer Art entscheidenden Zeitabschnittes. Sibhudu befindet sich ca. 40km nördlich von Durban und 15km entfernt vom Indischen Ozean, nahe des uThongathi River innerhalb der Provinz KwaZulu-Natal im östlichen Südafrika (Abb. 1).

 

 

Die mit dem MSA assoziierten Besiedlungsphasen erstrecken sich über den Zeitraum von vor über 80.000 bis vor 35.000 Jahren (80-35 ka). Der Abri ist von zentraler Bedeutung für die Erforschung der frühen kulturellen Evolution unserer Art, da er eine der MSA-Fundstellen mit der höchsten stratigraphischen Auflösung und den besten organischen Erhaltungszuständen darstellt. Dieser Umstand ermöglicht eine detailgenaue Erforschung seiner Bewohner und ihrer Verhaltensweisen über tausende von Jahren. Unter anderem erbrachte die Fundstelle den frühesten Nachweis für die Konstruktion von Pflanzenmatten als Schlaf- und Arbeitsplätze, eine frühe Herstellung von Knochenwerkzeugen sowie Perlen/Anhänger aus Muschelschalen und die Nutzung von Pfeil-und-Bogen Technologie. Sibhudu wurde 1983 als archäologische Fundstelle identifiziert. Die auf das MSA bezogenen Forschungsgrabungen begannen im Jahr 1998 und werden bis heute und aktuell unter der Leitung  Prof. Nicholas Conards von der Universität Tübingen durchgeführt.

Ausgrabungen

Nach der Entdeckung im Jahr 1983 durch Aron Mazel wurde Sibhudu vorerst ignoriert, da das von Mazel primär erforschte Later Stone Age in den Kulturhorizonten der Fundstelle nicht vertreten war. Die Ausgrabungen zur Erforschung des MSA begannen im Jahr 1998 unter Lyn Wadley von der University of Witwatersrand in Johannesburg, größtenteils in dem Grabungsabschnitt der später den Namen „Deep Sounding“ zugesprochen bekam. Nachdem Wadley in über 10 Jahren und über 20 Grabungskampagnen im Deep Sounding gegraben hatte, übernahm im Jahr 2011 Nicholas Conard die Grabungsleitung. Seine Ausgrabungen führten die bisherigen Arbeiten weiter, fokussierten sich aber auch vor allem auf die sogenannte „Eastern Excavation“ (Abb. 2). Gegraben wird durch das kontinuierliche Abheben von 1-3cm dicken Abträgen, die der Kontur und dem Gefälle der Stratigraphie folgen. Jeder Eimer voll Sediment wird zudem mithilfe von Sieben einer Maschenweite von 1 und 5 mm nach Kleinstfundstücken durchsucht. Besondere individuelle Funde werden im Feld in 3D eingemessen.

Die Fundstelle Sibhudhu besticht durch eine extrem hohe stratigraphische Auflösung im Zentimeterbereich (besonders in der Eastern Excavation (Abb. 3) sowie für diese Zeitperiode ungewöhnlich gute Erhaltungszustände von organischen Materialien. Neben den bereits erwähnten Pflanzenmatten wurden zahlreiche Knochenwerkzeuge und auch organischer Klebstoff und Rückstände tierischen und pflanzlichen Materials an Steinwerkzeugen nachgewiesen. All diese Befunde erlauben einen ungewöhnlich tiefen Einblick in das Leben unserer Vorfahren in Sibhudhu, welches das Herstellen von vielfältigen Werkzeugen, die intensive Nutzung von Feuerstellen und die Verarbeitung von Tieren und Pflanzen beinhaltete. Auch die generelle Dichte an gefundenen Artefakten ist äußerst hoch; so wurden insgesamt zehntausende Steinwerkzeuge und Tierknochen gefunden, die für eine intensive und wiederkehrende Nutzung des Abris als Wohnstelle früher modernen Menschen sprechen (Abb. 4).

Die Universität Tübingen hat während der seit 2011 andauernden Grabungskampagnen einen neuen Blickwinkel für die Erforschung Sibhudhus geschaffen, indem neue und moderne Methoden wie die 3D-Einmessung von Fundstücken eingeführt wurden. Auf lange Sicht soll dabei eine detaillierte Chronologie für das MSA im gesamten KwaZulu-Natal erstellt und die Evolution dieses Kulturareals nachvollzogen werden. Um dieses Ziel zu erreichen, untersucht das internationale und interdisziplinäre Forschungsteam diachrone Trends und Veränderungen in Technologie und Verhaltensweisen für sowohl spezifische Technokomplexe als auch im Gesamtbild.
Dafür werden Materialien von allen freigelegten Schichten untersucht, wobei der Fokus jedoch auf vorher eher vernachlässigten Perioden wie denen, die die hauptsächlichen Technokomplexe Howiesons Poort und Still Bay zeitlich einrahmen, liegt. Das hat u.a. dafür gesorgt, dass die auf ca. 58 ka BP datierte und auf das Howiesons Poort folgende Periode (bis dato als post-HP bezeichnet) durch  systematische Untersuchungen von über Zehntausend Steinwerkzeugen aus 23 Schichten als eigenständiger Technokomplex mit dem Namen „Sibhudhan“ neu kategorisiert wurde.

Stratigraphie

Generell wird für das MSA in Sibhudhu momentan zwischen sechs Hauptphasen unterschieden, die alle jeweils unterschiedlich intensive Nutzungen des Felsüberhanges repräsentieren (Abb. 5).

Die nach jetzigem Stand ältesten Funde datieren auf vor über 80 ka zurück und werden auch als pre-Still Bay bezeichnet. Neue Lumineszenz-Datierungen werden demnächst veröffentlicht. Da das anstehende Gestein noch nicht erreicht wurde, kann sich dieser Stand zudem in naher Zukunft ändern.  Die pre-Still Bay Schichten zeigen eine sehr hohe Funddichte an Knochenwerkzeugen und vor allem Steinwerkzeugen mit besonders charakteristischen gezahnten Spitzen, die durch Druckretusche hergestellt wurden. Mit diesem Fund verschiebt sich die früheste Nutzung dieser Methode um 30.000 Jahre in Afrika nach hinten.
Auf das pre-Still Bay folgt das Still Bay, welches auf zwischen 77 und 69 ka datiert wird. Dieser Technokomplex ist charakterisiert durch fein retuschierte und möglicherweise gehaftete bifazielle Spitzen und dazu auf natürlich perforierte Perlen aus Muschelschalen, die über den Nachweis von Gebrauchsspuren als an einer Schnur getragene Schmuckperlen identifiziert werden konnten.
In der anschließenden Periode des Howiesons Poort (69-65 ka BP) manifestieren sich neue Technologien, wie kleine rückengestumpfte Stücke, die womöglich als Pfeilspitzen verwendet wurden (Abb. 6).

Während dieser Zeit wurden primäre kleine Tiere wie der Blaubock in einer recht bewaldeten Umgebung gejagt. Aus dieser Zeit stammen auch Nachweise von Ritzungen auf Knochen, organischen Bettungen, Naturharz, Knochenwerkzeugen und organischen Rückständen auf Steinwerkzeugen, wie bspw. Knochen, Fett und möglicherweise Blut. Drei menschliche Zähne verschiedener Individuen (zwei Kinder) wurden schließlich auch in den Howiesons Poort Schichten gefunden.
In der neu getauften folgenden Phase des Sibhudhan, beginnend um ca. 58 ka, sind eine besonders dichte Besiedlung sowie signifikante technologische Veränderungen zu erkennen. Die Diversität an Steinwerkzeugen ist hier auffällig hoch – während die rückengestumpften Stücke verschwinden, erscheinen verschiedenste Formen an unifaziellen Spitzen (Abb. 7), die wahrscheinlich als Teil von Jagdwaffen genutzt wurden, um größere Tierarten in einer nun offeneren Graslandschaft zu erlegen. Darüber hinaus lassen sich Mahlsteine mit Spuren pflanzlichen Materials, tierischen Fetts und von Knochenrückständen nachweisen. Auch für diesen Technokomplex finden sich die organischen Betten, die abwechselnd gebaut und, womöglich aus hygienischen Gründen, wieder verbrannt wurden.

Die Abfolge an Besiedlungsphasen endet schließlich mit dem späten und finalen MSA (datiert auf ca. 47 bzw. 35 ka). Auch hier finden sich intensive Bewohnungsspuren, der Fokus der Steinwerkzeugherstellung liegt weiterhin auf unifaziellen Spitzen. Charakteristisch für das finale MSA sind Spitzen mit eingezogener Basis, die so nur zu dieser Zeit in KwaZulu-Natal vorkommen. Die Schichten dieser Perioden wurden ausschließlich von Wadley freigelegt.

Aktuelles und Kontakt

Die Universität Tübingen startet in Sibhudu nach wie vor jährlich Grabungskampagnen im Frühling, geleitet von Nicholas Conard, um die tieferen Schichten der Fundstelle freizulegen. Bereits geborgene Materialien, gelagert im KwaZulu-Natal Museum in Pietermaritzburg, werden weiterhin interdisziplinär untersucht. Das Projekt wird durch die DFG gefördert (CO 226/34-1/WI 4978/1-1; Prof. Nicholas Conard, Dr. Manuel Will). Bis heute haben Bachelor- und Masterstudenten aus über 20 Ländern an den Grabungen teilgenommen. Für Interessierte an einer Teilnahme kann Manuel Will (manuel.will@uni-tuebingen.de) kontaktiert werden. Darüber hinaus bieten die Befunde Sibhudus viele Möglichkeiten für mögliche Bachelor-, Master- oder PhD-Projekte.
Sibhudu hat bereits den Status eines nationalen kulturellen Erbes in Südafrika erreicht. Die Universität Tübingen unterstützt zudem die lokale und nationale Regierung in dem Bestreben, die Nominierung zu einem UNESCO Weltkulturerbe zusammen mit anderen südafrikanischen MSA-Fundstellen zentraler Bedeutung (Diepkloof, Klasies River, Blombos, Pinnacle Point) zu erreichen.

Literatur

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