Ludwig-Uhland-Institut für Empirische Kulturwissenschaft

Die Kunstkammer der Herzöge von Württemberg als ästhetische Reflexionsfigur. Wertzuschreibungen und Kanonisierungsprozesse

Gefördert von Deutsche Forschungsgemeinschaft (DFG), SFB 1391 Andere Ästhetik, Teilprojekt A07
in Kooperation mit Landesmuseum Württemberg
Teilprojektleiter Prof. Dr. Thomas Thiemeyer
Wissenschaftliche Mitarbeiterin

Luisa Vögele, M.A.

Projektlaufzeit

07/2023-06/2027

Das empirisch-kulturwissenschaftliche Teilprojekt A07 widmet sich der Kunstkammer der württembergischen Herzöge und ihrer Geschichte seit der Frühen Neuzeit. Kammern wie diese legten v.a. Adelige seit dem 16. Jahrhundert an, um mithilfe von Kunst und Naturobjekten, Ethnographica und anderen seltenen Objekten aller Art ihren Status darzustellen. Teile der württembergischen Kammer haben sich u.a. in den Beständen des Landesmuseums Württemberg in Stuttgart (LMW) erhalten. Von ihnen ausgehend will TP A07 zeigen, wie sich wandelnde Repräsentationsansprüche, institutionelle Settings und Kunstvorstellungen auf einen Objektbestand auswirkten, der im späten 16. Jahrhundert als repräsentativ für aristokratische und später (vom 19. Jahrhundert an) für bürgerliche Kultur fungierte. Konkret fragt es danach, welche Wertzuschreibungen und – darauf aufbauend – welche Kanonisierungsprozesse von Kunst und Kulturgut hier erkennbar werden.

Besonders deutlich wird das für die Zeit um 1817 – die Zeit, als der König die Kunstkammer an den Staat übergab. Vor allem diese Periode steht im Zentrum der Forschungen in TP A07, da die Kammer von diesem Zeitpunkt an deutlich anders genutzt wurde. Um diesen Übergang zu fassen, ergeben sich für die Zeit davor und danach folgende Forschungsfragen: Was wurde wann gesammelt? Auf welchen Wegen kamen Objekte in die Sammlung (als Geschenke, Souvenirs, Ankäufe etc.)? Welche Objekte erschienen zu welchen Zeiten als besonders erwähnenswert und damit wertvoll (erkennbar in den Inventaren)? Was wurde wieder aussortiert bzw. welche Bestände wurden räumlich und epistemisch abgetrennt? Wie schlagen sich darin die institutionellen Veränderungen nieder? Für welche Zwecke wurden diese genutzt? Und welche Akteur:innen (Herzöge, Herzoginnen, Höflinge, Kunsthändler, Archivare, Antiquare, andere Adelige, bürgerliche Kulturhüter) wirkten an diesen Selektions- und (Um-)Ordnungsprozessen mit?
Die Perspektivierung auf konkrete Praktiken, Akteur:innen, Funktionen, institutionelle Gefüge und Alltagszwänge sollen die übergreifende Leitfrage beantworten helfen: Welche Kunstvorstellungen und Ästhetikpragmatiken liegen einem Bestand zugrunde, der als adelige Sammlung begonnen wurde und dann im 19. und 20. Jahrhundert den Grundstock mehrerer bürgerlicher Kulturinstitutionen (Museen, Bibliothek, staatl. Schlösser und Gärten) bildete und so bis heute prägt, was uns als identitätsstiftendes Kulturerbe gilt? Als Arbeitshypothese geht dieses TP davon aus, dass sich an der Schwelle zum 19. Jahrhundert grundlegende Verschiebungen hin zu stärker autonomieästhetischen Praktiken (des Sammelns, Ausstellens etc.) beobachten lassen.
Folgerichtig versteht das Teilprojekt die Kunstkammer als ästhetische Reflexionsfigur, deren autologische Dimension (künstlerische Traditionen und Kunstvorstellungen, zeitbedingte Moden) es mit drei heterologischen Dimensionen in Beziehung setzt: einer politischen (die Kunstkammer als Mittel zur Repräsentation), einer epistemologischen (die Kunstkammer als Wissensspeicher und Lehrmittel) und einer pragmatischen (institutionelle Rahmen, Wertschätzung der Objekte bzw. ihre Abgabe, Integration von Schenkungen, Zerstörungen). Diese Dimensionen waren zu verschiedenen Zeiten und je nach den Interessen der Eigentümer/Verwalter unterschiedlich dominant. In jedem Fall durchwirken sie sich stets. Mit Rekurs auf die vier heuristischen Dimensionen kann – so das Ziel – eine ‚Poetik des Bestandes‘ als übergeordnete Struktur sichtbar gemacht werden, die immer aufs Engste mit sozialen Funktionen, Diskursen oder pragmatischen Motiven zusammenhängt.
An der Kunstkammer der württembergischen Herzöge lässt sich analysieren, wie der Umschlag von einer aristokratischen (Repräsentations-)Ästhetik in die Ästhetik des 19. Jahrhunderts ganz konkret vonstatten ging, wie er sich in Ausschlüssen und neuen Zuflüssen äußerte und wie später Institutionen wie das Museum daran maßgeblich mitwirkten. Letztlich geht es dabei immer auch um Wert- und Bedeutungszuschreibungen an Dinge, die sich in Kanonisierungen und Kassationen äußern.