Sommersemester 2013
Spurensuche – Bild und Gebrauch
lautete das Thema eines kooperativen Seminars mit der Graphischen Sammlung des Instituts für Kunstgeschichte der Universität Trier, das im Sommersemester 2012 in der Graphischen Sammlung am Kunsthistorischen Institut der Universität Tübingen stattfand.
Hier werden Vorder- und Rückseite einer Graphik vorgestellt: einerseits ein Druck, andererseits eine Zeichnung.
Der Kupferstich
Auf der einen Seite präsentiert das Blatt einen Kupferstich, den Jan Sadeler d. Ä. (1550-1600) nach den Entwürfen von Dirck Barendsz (1534-1592) gestochen hat. Es zeigt die Personifikation von „Africa“ aus einer Folge von vier Erdteildarstellungen. Die Namen von Inventor und Stecher sind am linken unteren Bildrand vermerkt. Sadeler besaß zudem das Privileg Rudolfs II., auch den Druck auszuführen. Das Datum 1581 ist auf zwei Blättern der Stichfolge („Asia“ und „America“) abzulesen. Sadelers Kupferstiche gelten als „die älteste und zugleich bedeutendste Serie von Erdteildarstellungen aus den nördlichen Niederlanden“. [1]
Gebrauch des Blattes: Spuren auf der Vorderseite
Die fleckige Randverschmutzung des brauntonigen Papiers verweist auf den Gebrauch, ebenso die beiden nadelfeinen Durchstiche, die sich am linken Rand aller vier Erdteildarstellungen finden und die vermutlich von einer Fadenbindung herrühren.
Stempel und handschriftlicher Vermerk „PM“ samt Inventarnummer kennzeichnen den Druck als Vorlagenblatt der 1858 durch Herzog Carl Eugen von Württemberg gegründeten Ludwigsburger Porzellanmanufaktur.
Recycling auf der Rückseite: Architekturzeichnung
Der Kupferstich wurde ganzflächig mit einer Zeichnung kaschiert.
Diese mit brauner Tinte auf Papier angelegte Federzeichnung ist paßgenau an vier Seiten beschnitten. Sie zeigt ebenfalls Gebrauchspuren mit rotfleckiger Verschmutzung und Resten von Klebestreifen, sowie zwei Nadeldurchstiche in der Mitte des oberen Bildrandes. Zwei Sammlungsstempel nennen die folgenden Besitzer des Blattes: das Königliche Kupferstichkabinett Stuttgart und die Tübinger Graphische Sammlung. Als die Porzellanmanufaktur wegen mangelnder Rentabilität 1824 geschlossen wurde, ging die Vorlagensammlung an das Königliche Kupferstichkabinett nach Stuttgart. Aus diesem Konvolut erwarb die 1897 gegründete Graphische Sammlung der Tübinger Universität Blätter des 16.-18. Jahrhunderts für den kunsthistorischen Unterricht.
Die Federzeichnung und ihr Kontext
In der zweiten Hälfte des 16. Jahrhunderts wurden Musterbücher, die zunächst für Architekten geschaffen worden waren, gleichermaßen verbindlich für das Holz verarbeitende Handwerk. Ein im Renaissancestil gebauter Schrank „ wurde mit seiner Fassade zur hölzernen Kleinarchitektur im Raum“. [2]
Bei der vorliegenden Architekturzeichnung handelt es sich um eine mit Feder ausgeführte Reinzeichnung, die den Entwurf für ein Kastenmöbel „am Ende seiner Planung maßstäblich konstruiert und sauber gezeichnet, zur Begutachtung vorstellt“. [3]
Im 16. Jahrhundert war es gängige Praxis, mehrere, oft nur zur Hälfte ausgeführte Objektentwürfe und Detailvarianten auf einem Blatt zu vereinen, um so eine bessere Vergleichbarkeit herzustellen.
Eine Besonderheit dieses Entwurfes ist die Integration einer technischen Werkzeichnung, die mehrere Möglichkeiten zur Konstruktion der hölzernen Eckverbindungen aufzeigt.
Das Blatt ist weder datiert, noch signiert. Erst im 18. Jahrhundert findet man häufiger eine Signatur auf Architekturzeichnungen. [4]
Die Ornamente
Der vorliegende Entwurf für ein außergewöhnlich hohes, mehrgeschossiges, architektonisch gegliedertes Repräsentationsmöbel bietet ein breites Spektrum ornamentalen Schmucks, das sowohl antike, als auch neuzeitliche Motive enthält. Es gibt kein Leitornament, das einem bestimmten Inventor zugeordnet werden könnte.
Einige Schmuckdetails weisen jedoch auf niederländischen Einfluss hin. Das Rollwerk, der von Vredeman de Vries (1527- ca.1607) propagierte Ziergiebel und die von ihm als eigenständiges Motiv eingeführte Terme, sowie die auf den Manierismus der Spätrenaissance hinweisende fragmentarische Ädikula sprechen für eine nach 1550 entstandene Entwurfszeichnung.
Dichte und Vielfalt des Objektschmucks deuten auf das Ende des Jahrhunderts. Dies zumal um 1600 die Anbringung von moderner Bauzier auf Fassaden in Nordeuropa eine „bis zur Übersteigerung getriebene Ausprägung“ erreichte. [5] Das Zurücktreten oberer Schrankteile ist ebenfalls gegen Ende des 16. Jahrhunderts zu beobachten und geht auf niederländischen Einfluss zurück.
Die technische Zeichnung des linken Entwurfes sieht seitlich und frontal konkav geschwungene Flächen vor. Mit der diagonal eingestellten Figur der Chimäre wird die strenge Frontalität des Fassadenschrankes aufgehoben. Darin deuten sich bereits Elemente barocker Möbelgestaltung an.
Niederländische Schränke waren vor allem im Norden bis zur Mitte Deutschlands sehr beliebt. Sie wurden in großer Zahl importiert und nachgebaut.
Datierung
Die vorliegende Architekturzeichnung für ein Kastenmöbel könnte sowohl aus den Niederlanden stammen, als auch nach niederländischem Vorbild in Deutschland entstanden sein. Die Zeichnung muß Ende des 16. Jahrhunderts bis Mitte des 17. Jahrhunderts entstanden sein. Bis zu dieser Zeit blieb der Stil des architektonisch gegliederten Renaissance-Möbels parallel zu dem sich neu entwickelnden Barockstil erhalten.
Magrita Barrenberg
[1] Sabine Poeschel :“ Studien zur Ikonografie der Erdteile in der Kunst des 16.-18. Jhs., München, 1985, S. 80.
[2] Heinrich Kreisel:“ Die Kunst des deutschen Möbels“, Bd. 1., 3. bearbeitete Auflage 1981, S. 155.
[3] Elisabeth Kieven: “Von Bernini bis Piranesi, Römische Architekturzeichnungen im Barock“, Staatsgalerie Stuttgart 1955, S. 12.
[4] Vgl.: Elisabeth Kieven: “Von Bernini bis Piranesi, Römische Architekturzeichnungen im Barock“, Staatsgalerie Stuttgart, 1995, S. 12.
[5] Heinrich Kreisel:“Die Kunst des deutschen Möbels“, 1. Band., 3. bearbeitete Auflage 1981, S. 150.