Internationales Zentrum für Ethik in den Wissenschaften (IZEW)

Der interaktive Blick: Zu Status und Ethik von Überwachungsbildern in digitalen Spielen

Digitale Spiele repräsentieren und verarbeiten Kontroll- und Überwachungsdispositive. Sie nehmen mitunter kritische Positionen zu Überwachung und ihrer konventionellen Darstellung ein, reproduzieren und verhärten jedoch auch die Überwachungsbildern eingeschriebenen Machtgefälle. Ziel des Projektes ist es, den Status quo von Überwachungsbildern in digitalen Spielen anhand einer qualitativen und quantitativen Analyse zu bestimmen. Zudem wird das Projekt ein ethisches Framework vorschlagen, das für Spieldesigner*innen, -entwickler*innen sowie weitere Interessengruppen zur Generierung neuer visueller Darstellungsweisen für Überwachungsdiskurse nutzbar gemacht werden kann.

Laufzeit

Laufzeit: 01.04.2023 bis 31.03.2026

Lokale Einrichtung

Internationales Zentrum für Ethik in den Wissenschaften (IZEW), Universität Tübingen

Geldgeber

Deutsche Forschungsgemeinschaft (DFG)

Projektbeschreibung

Ziel des Projekts ist es, anhand einer qualitativen und quantitativen Analyse von Überwachungsbildern in Video- und Computerspielen eine Grundlage für die ethische Bewertung von digitalen Überwachungsbildern zu entwickeln. Durch die aktive Beteiligung der Spielenden kommt Überwachungsbildern in digitalen Spielen eine entscheidende Rolle bei der Herausbildung von Überwachungsmentalitäten zu; sie sind ein integraler Bestandteil der kulturellen und gesellschaftlichen Bedeutungsvermittlung und Ideologiebildung zu Überwachung. Das Projekt wird diese Mechanismen mit konzeptionellen Werkzeugen und Methoden aus der Ästhetik, der visuellen Semiotik, der Kulturanalytik und den digitalen Geisteswissenschaften analysieren. Die zentralen Ziele des Projekts sind 1) eine systematische Analyse des aktuellen Status von Überwachungsbildern in digitalen Spielen, 2) die ethische Reflexion problematischer Aspekte und 3) die Diskussion der Projektergebnisse mit der wissenschaftlichen Gemeinschaft und einer breiteren Öffentlichkeit, um sie für den Bereich der politischen Bildung nutzbar zu machen. Dies bietet schließlich eine Grundlage für ein ethisches Framework, das für Spieldesigner*innen, -entwickler*innen sowie weitere Interessengruppen zur Entwicklung neuer visueller Darstellungsweisen für Überwachungsdiskurse nutzbar gemacht werden kann.

Forschungsperspektiven

Das oben benannte ethische Framework wird auf Basis dreier Forschungsperspektiven entwickelt, die eine kritische Reflexion der Beziehung zwischen digitalen Spielen und Überwachung ermöglichen. Die erste Perspektive beschäftigt sich mit den Überschneidungen traditioneller und ludisch-digitaler Überwachungsbilder. Dies betrifft sowohl die interaktiven als auch die narrativen Elemente und Modi des digitalen Spielens bzw. digitaler Spiele, die, so die These, mit der Produktion und Rezeption von sowie Praktiken mit und durch Überwachungsbilder verknüpft sind und konsequenterweise auch mit der Verarbeitung und Repräsentation vertikaler und horizontaler Machtstrukturen. Dies wird die Analyse der Semantiken, Funktionen und Visualisierungen digitaler Datenräume und Datenüberwachung ermöglichen.

Die zweite Perspektive betriff die visuelle Semiotik von Überwachungsbildern. Dies umfasst die Beschreibung und Analyse von Typen oder Stereotypen im Kontext von Überwachung und digitalen Spielen. Ausgehend von diesen Analysen/Typologisierungen wird das Projekt digital-ludische Überwachungsbilder mit jenen aus anderen Medienkontexten, -formaten oder -produkten vergleichen, wie etwa Spielfilmen, Visual Novels oder Literatur. Auf dieser Basis wird schließlich zu fragen sein, ob Überwachungsbilder Mediatoren einer spezifischen Weltanschauung darstellen, die klassische Machtstrukturen und Rollenbeziehungen perpetuiert.

Die dritte Perspektive fokussiert die Beziehung zwischen Überwachung bzw. Überwachungspraktiken in digitalen Spielen und gegenwärtigen (realsozialen) Überwachungspraktiken (die nicht notwendigerweise mit digitalen Spielen in Beziehung stehen müssen). Unsere These ist hierbei, dass es eine entscheidende Diskrepanz zwischen Realität und Fiktion gibt, vor allem hinsichtlich vertikaler und horizontaler Überwachung, dem Ermächtigungspotential sowie der Interaktion und dem Handlungsfeld im Bereich realer Überwachungspraktiken. Letztendlich werden wir fragen, ob Überwachungsästhetiken in digitalen Spielen Naturalisierungseffekte generieren und Überwachungsideologien reproduzieren und ob Überwachungsbilder in digitalen Spielen existieren bzw. vorstellbar sind, die eine Invertierung bzw. Subversion dieser Tendenzen ermöglichen können.

Projektbezogene Publikationen

Hennig, Martin (im Erscheinen): Ethik des Computerspiel(en)s. In: Grimm, Petra (Hg.): Praxisfelder der digitalen Ethik. Baden-Baden: Nomos

Hennig, Martin/Krah, Hans (2020): Typologie, Kategorien, Entwicklung von Überwachungsnarrativen: zur Einführung. In: Hauptmann, Kilian/Hennig, Martin/Krah Hans (Hg.): Narrative der Überwachung. Berlin: Peter Lang, S. 11-48.

Hennig, Martin/Schellong, Marcel (Hg.) (2020): Überwachung und Kontrolle im Computerspiel. Glückstadt: Verlag Werner Hülsbusch.

Hennig, Martin (2020): Demokratisierte Überwachung? Transformationen gesellschaftlicher Modelle im Überwachungsfilm der digitalen Gesellschaft. In: Grimm, Petra/Neef, Karla Hg.): Digitalisierung und Demokratie. Stuttgart: Franz Steiner Verlag, S. 143-159

Hennig, Martin (2019): Überwachung in der Kultur – Kultur der Überwachung. In: Schüller, Liane/Jung, Werner (Hg.): Orwells Enkel. Überwachungsnarrative. Bielefeld: AISTHESIS, S 101-122.

Hennig, Martin/Piegsa, Miriam (2018): The Representation of Dataveillance in Visual Media: Subjectification and Spatialization of Digital Surveillance Practices. In: On_Culture: The Open Journal for the Study of Culture. No. 6 (2018). DOI: http://geb.uni-giessen.de/geb/volltexte/2018/13895/.

Hennig, Martin/Edeler, Lukas/Piegsa, Miriam (2018): Culture of Surveillance. In: Arrigo, Bruce A. (Hg.): The SAGE Encyclopedia of Surveillance, Security, and Privacy. Thousand Oaks.

Hennig, Martin (2017): Spielräume als Weltentwürfe. Kultursemiotik des Videospiels. Marburg: Schüren.

Hennig, Martin (2016): Big Brother is watching you: hoffentlich. Diachrone Transformationen in der filmischen Verhandlung von Überwachung in amerikanischer Kultur. In: Beyvers, Eva et al. (Hg.): Räume und Kulturen des Privaten. Wiesbaden: Springer VS, S. 213-246.

Krampe, Theresa (2022): Von Kontrollräumen und panoptischen Sichtverhältnissen. Das Panopticon als wiederkehrendes Motiv im zeitgenössischen Computerspiel. In: Lukman, Christopher (Hg.): Kontrollmaschinen: Zur Dispositivtheorie der Computerspiele. Münster: Lit Verlag, S. 123-147.

Loh, Wulf (2022): Social Pathologies of Informational Privacy. In: Journal of Social Philosophy, Online.

Loh, Wulf (2022) with Hauke Behrendt: Informed Consent and Algorithmic Discrimination – Is giving away your data the new vulnerable? In: Review of Social Economy 80/1, S. 58-84.

Loh, Wulf (2022): Geralt von Riva – Ein Diskriminierungsopfer? Zur Ethik des Fantasy-Franchise ‚The Witcher‘ In: Meisch/ Brand/ Müller (Hg.): Ethik in Serie – Staffel 2, Tuebingen Library Publishing, S. 85-102.

Loh, Wulf (2019): The Gamification of Political Participation. In: Moral Philosophy and Politics 6/2, S. 261-280.

Loh, Wulf (2018): Politik. In: Feige/ Ostritsch/ Rautzenberg (Hg.): Philosophie des Computerspiels, Metzler, S. 149-173.

Loh, Wulf (2018): A Practice-Theoretical Account of Privacy. In: Ethics & Information Technology 20/4, S. 233-247.

Spöhrer, Markus (im Erscheinen): Surveillance-Kameras und Agency: Zu Blick- und Interaktionskonstellationen in Bloodshore und The Devil in Me. In: Augenblick: Konstanzer Hefte zur Medienwissenschaft.