Was bedeutet „Forschen in gesellschaftlicher Verantwortung“?
Wenn von Ethik in den Wissenschaften die Rede ist, kommt oftmals von Wissenschaftler*innen die Aussage, dass das ja selbstverständlich sei, dass ihre Forschungsanträge zumeist von einer Ethikkommission beurteilt würden und entsprechend Ethik immer mitgedacht werde. Das LeNaShape-Projekt versteht allerdings unter „Forschen in gesellschaftlicher Verantwortung“ mehr als die Beachtung der internen Regeln guter wissenschaftlicher Praxis (u.a. methodisch angemessenes Arbeiten, Transparenz, Verantwortung für die Kolleg*innen, Datenschutz, Respekt des Tierwohls…). Vielmehr wird ein breites Verständnis Nachhaltiger Entwicklung zugrunde gelegt, das Fragen der sozialen Gerechtigkeit, des Nord-Süd-Verhältnisses oder der planetaren Grenzen mitdenkt und wissenschaftliches Arbeiten zu allen Zeitpunkten anspricht: von der Idee bis zur Evaluierung des Impacts.
Es stellt sich nicht nur die Frage: Wie formuliere ich meinen Forschungsantrag angesichts der bestehenden formellen Regeln? Sondern: Wie können Wissenschaftler*innen befähigt werden dieses Verständnis gesellschaftlicher Verantwortung mit Blick auf Nachhaltige Entwicklung im Forschungsprozess zu berücksichtigen?
In einem ersten Verbundprojekt „Leitfaden Nachhaltigkeitsmanagement“ haben die bundesweiten Forschungsorganisationen Fraunhofer, Leibniz und Helmholtz zwischen 2013 und 2016 einen Reflexionsrahmen mit acht Kriterien entwickelt, der bei diesem Prozess unterstützen soll. Im Anschluss daran wurden nun im Folgeprojekt LeNa Shape zwischen 2020 und 2024 zwei Module bearbeitet. Das Eine beschäftigte sich mit Know-How-Transfer und Kompetenzvermittlung, das andere setzte sich mit Grundlagen und Kriterien verantwortungsbewusster Exzellenz sowie der Wirkungsabschätzung solcher Forschung auseinander. Das Projektteam wurde um universitäre Institutionen erweitert und das Ethikzentrum (IZEW) war dabei in einem Tandem mit dem Lehrstuhl für Sozialethik in der Theologie an der LMU München mit den ethischen Grundlagen exzellenter Forschung in gesellschaftlicher Verantwortung befasst.
Augenfällig war wie der Exzellenzbegriffes in der Forschung verwendet wird: Er folgt keiner klaren Definition und legt in der Hauptsache quantitative Kriterien (Publikationszahlen, Mitteleinwerbung, Internationalisierung) zugrunde. Nachhaltige Entwicklung wird nicht berücksichtigt. Dieses Denken ist jedoch insbesondere im Kontext von Forschung unzureichend, da wissenschaftliche Freiheit mit gesellschaftlicher Verantwortung in einem dialektischen Bedingungsverhältnis miteinander einhergeht. Dies muss auch in einem Exzellenzbegriff mitgedacht werden, weshalb sich das LeNaShape-Projekt für eine „verantwortungsbewusste Exzellenz“ stark macht.
Diese erweiterte Verantwortung ist bislang nicht automatisch Teil des Planungsprozesses von wissenschaftlichen Vorhaben. Entsprechend war es unser Anliegen, Wissenschaftler*innen aller Disziplinen zu befähigen, ethische Reflexion als eine Basis von Exzellenz vornehmen zu können. Aus diesem Grund haben wir in Anlehnung an die ethische Matrix von Ben Mepham[1] (2000) eine dreidimensionale Matrix erstellt, die die Gruppen der Betroffenen, die möglichen Bewertungsmaßstäbe und die Forschungsphasen in Bezug zueinander stellt. Forscher*innen können dann in vier Schritten die ethischen Aspekte ihrer Forschung prüfen, indem sie zuerst wahrnehmen und beschreiben, welche Gruppen von welcher Forschungsphase betroffen sind und dann anhand von ethischen Maßstäben, wie z.B. Fairness, Wohlergehen oder Autonomie, bewerten. Auf dieser Grundlage können sie ethisch informierte Entscheidungen treffen und handeln.
Die Abschlusskonferenz des Projektes – der LeNa Summit – vereinte am 27.2.2024 etwa 80 Menschen aus Wissenschaft, Forschung und Forschungsförderung im Fraunhofer Forum in Berlin. Dabei wurden nicht nur Berichte aus den Teilmodulen präsentiert, sondern auch die Projektergebnisse offiziell dem Träger BMBF überreicht. Grußworte von Leitungspersonen aus den Organisationen – Cora Kristof (Helmholtz/KIT), Barbara Sturm (Leibniz), Holger Hanselka (Fraunhofer), Ulrich Rüdiger (RWTH Aachen) und Mario Brandenburg (Parlamentarischer Staatssekretär des BMBF) – unterstrichen die Wichtigkeit der Ergebnisse.
[1] Mepham, B. (2000). A Framework for the Ethical Analysis of Novel Foods: The Ethical Matrix. Journal of Agricultural and Environmental Ethics, 12, 165–176.
Verfasst von: Vanessa Weihgold