Warum wir keinen Krieg gegen das Corona-Virus führen
(und auch nicht damit anfangen sollten)
von Marcel Vondermaßen
02.04.2020 · Politiker*innen, Journalist*innen, und auch Wissenschaftler*innen greifen dieser Tage gerne auf die Kriegsmetapher zurück, wenn es darum geht die Anstrengungen zu beschreiben, die jetzt gegen das neuartige Corona-Virus nötig sein werden: „Sars-CoV-2 ist unser gemeinsamer Feind. Wir müssen diesem Virus den Krieg erklären. Das bedeutet, dass die Länder die Verantwortung haben, mehr zu tun, sich zu rüsten und sich zu verstärken.“ (António Guterres in einem Gastbeitrag für die Süddeutsche Zeitung, 15.03.2020) Auf den ersten Blick scheint diese drastische Wortwahl sinnvoll, betrachtet man die Einschränkungen und Umstellungen, die uns diese Pandemie aufzwingt. Die meisten, die diese Aussagen tätigen, tun dies in guter Absicht: Es soll der Ernst der Lage beschworen und die Notwendigkeit betont werden, gegen eine Bedrohung von außen zusammenzustehen. Doch ein Fokus auf Kriegsmetaphern verhindert, dass wir den gesellschaftlichen Blick auf jene Werte legen, die zur Bewältigung der Krise unverzichtbar sind: Eigenverantwortung, Fürsorge, Empathie.
Auf den ersten Blick scheinen jene problematischen Nebeneffekte vergangener „Kriegserklärungen“ in dieser Krise auch nicht zuzutreffen. So haben diverse Kriege gegen das organisierte Verbrechen, zum Beispiel in Mexiko oder Brasilien, vor allem zu hohen Opferzahlen in der Bevölkerung und nicht zu einer Befriedung des jeweiligen Konfliktes geführt. Der „Krieg gegen Terror“ hat nicht nur zehntausenden Zivilist*innen das Leben gekostet, sondern auch Grundsätze der Rechtsstaatlichkeit ausgesetzt oder geschwächt. Guantanamo ist hierbei nur das sichtbarste Fanal. Im „Krieg gegen Drogen“ wird, insbesondere in den USA, massiv auf Repression und Inhaftierung gesetzt. Lange wurde die Tatsache ignoriert, dass die erklärten „Feinde“, Dealer*innen und Konsument*innen, häufig selbst Suchtkranke sind. Heute setzt sich nach und nach die Erkenntnis durch, dass solche Phänomene, wie die Opium-Krise, nicht polizeilich und schon gar nicht militärisch, sondern nur medizinisch und sozial gelöst werden können.
Doch im aktuellen Fall, so könnte eingewandt werden, sind die Feinde doch keine Menschen, sondern Viren. Und die „Waffen“, die wir einzusetzen gedenken, würden keine Kollateralschäden verursachen. Ist die Wortwahl in diesem Fall also unproblematisch?
„Kriegserklärungen“ haben jedoch noch einen weiteren Effekt (und zwar) auf die sich im Krieg befindliche Gruppe an Menschen. Militärische Sprache bringt Erwartungen mit sich: Gehorsam, Homogenität, Hierarchie, unhinterfragtes Vertrauen in die Autoritäten. Punkte, die für Militäreinsätze sinnvoll und überlebenswichtig sind. Abweichungen und Ungehorsam können Leben gefährden und werden streng geahndet.
Militärische Logiken kommen jedoch schnell an ihre Grenzen. Nicht ohne Grund werden Soldat*innen (in der Regel) nicht für polizeiliche Tätigkeiten eingesetzt. Die Sprache des Krieges und die Logik militärischer Strukturen sind nicht kompatibel mit komplexen und pluralistischen Gesellschaftsstrukturen: Individuelle Bedürfnisse, Nachsicht, soziale Wärme, kreative Lösungen, selbständig in Verantwortung gehen und so weiter. Viele Stärken und Verhaltensweisen, die zur Bewältigung der aktuellen Krise und für eine auch zukünftig solidarische Gemeinschaft notwendig sind, finden keinen Platz in Kriegs-Metaphern.
Die Corona-Pandemie ist eine Krise, die zwar klare Vorgaben und Vorschriften braucht. Sie ist aber auch eine Krankheitswelle, die eine Sprache der Fürsorge benötigt. Supermärkte und Krankenhäuser sollten keine „Fronten“ gegen das Virus bilden. Polizist*innen und eventuell auch Soldat*innen, die bald an unterschiedlichen Orten Ausgangssperren durchsetzen sollen, also konkrete besorgte oder verängstigte Menschen auf der Straße anhalten, sollten sich nicht wie Soldat*innen im Krieg wähnen. Wir sollten eine Sprache der Sorge etablieren, in der sich die Sicherheitskräfte eher als verlängerter Arm von Pfleger*innen und der Ärzt*innen sehen. Streng, aber auch fürsorglich, unnachgiebig in der Durchsetzung notwendiger Maßnahmen, aber empathisch für die Ängste der Mitmenschen. Die Krise sollte nicht militarisiert, sondern „zivilisiert“ werden.
Kurz-Link zum Teilen: https://uni-tuebingen.de/de/174903