Tübinger Forum für Wissenschaftskulturen

Studienkolleg 2006/2007: Auftaktakademie

Dr. Daniel Haun, Dr. Juliane Kaminski
8.10. – 13.10.06

Vorlesung 1: Die Evolution sozialer Kognition

Menschliche Kognition in der Vielzahl ihrer Facetten ist tierischer Kognition überlegen. In vielen Situationen wissen Menschen etwas darüber (oder können sich zumindest eine Vorstellung davon machen), was andere wissen und glauben, und sie können auf der Basis dieses Wissens bestimmte Voraussagen über das Handeln anderer Individuen in ihrem sozialen Umfeld machen. Diese besonderen Fähigkeiten des Menschen werden unter dem Begriff der sozialen Kognition zusammengefasst. Eine Frage, die in den letzten Jahren zunehmend an Bedeutung gewonnen hat, ist die nach der Evolution von sozialer Kognition. Da viele Tiere in einem relativ komplexen sozialen Umfeld leben, wäre es auch in der Evolution dieser Lebewesen von Vorteil gewesen, sozial kognitive Fähigkeiten zu entwickeln. Diese Überlegung lässt wiederum Rückschlüsse auf die Evolution menschlicher Kognition zu und kann Aufschluss darüber geben, inwieweit bestimmte kognitive Fähigkeiten ausschließlich menschlicher Natur sind.

Vorlesung 2: Sprache und Denken

Eine herausragende Fähigkeit des Menschen gegenüber anderen Tieren ist die menschliche Sprache. Menschen zeigen eine überragende Fähigkeit, die Welt mit Hilfe strukturierter Symbolkombinationen flexibel und effizient zu repräsentieren. Dass ein solches Talent die sozialen Interaktionen zwischen Individuen entscheidend verändert, ist offensichtlich. Die kognitiven Wissenschaften stellen sich zusätzlich die Frage, ob Sprache auch das Denken des einzelnen entscheidend umstrukturiert Denken dreijährige Kinder anders als einjährige, weil sie schon im Stillen „mit sich selbst reden“ können? Unterscheidet sich die Kognition von Sprechern verschiedener Sprachen voneinander?

Vorlesung 3: Kultur und Kognition

Menschen haben sich in ihrer Entwicklungsgeschichte über den ganzen Globus ausgebreitet. Von Eiswüsten bis zu tropischen Dschungeln gibt es keine Umgebung, an die sich der Mensch nicht angepasst oder die er umgekehrt nicht seinen Bedürfnissen entsprechend umgeformt hätte. Diese Anpassungsfähigkeit ist aber nicht auf eine besonders hohe Mutationsrate zurückzuführen, die es ermöglicht hätte, dass den Menschen in kurzer Zeit ein Fell, Reißzähne, Schwimmhäute oder Flügel wachsen. Die Evolution des Menschen hat eine Abkürzung genommen: die Kultur. Generationsübergreifende Tricks und Gebräuche liefern Kleidung, Messer, Boote und Flugzeuge. Eine spannende Frage ist nun, ob Menschen, die sich in ihrem Wissen und ihren Gebräuchen unterscheiden, auch Unterschiede in ihrer Kognition aufweisen? Stellen verschiedene kulturelle Hintergründe verschiedene Ansprüche an ihre Mitglieder und schlagen sich diese dann über die Zeit hinweg in kognitiven Unterschieden nieder? Was, wenn meine Sprache nur zwei Farben unterscheidet? Sehe ich dann am Ende auch nur noch zwei Farben? Haben Aborigines wirklich ein besseres Raumgedächtnis oder kennen sie einfach nur ihr Land besser als wir unseres? Oder verläuft Kognition am Ende doch bei in allen Menschen gleich?