Religion und Menschenrechte
Die Weltethos-Konferenz in Tübingen
Von Magdalena Ebertz (Baden-Württemberg Stiftung)
Am 18. und 19. Februar 2015 kamen hochrangige Vertreter aus Politik, Religion und Wissenschaft im Weltethos Institut in Tübingen zusammen, um über das heikle Zusammenspiel von Religionen und Menschenrechten zu diskutieren. Der Genfer Think Tank „Universal Rights Group“, der von unserem Direktor, Herrn Erdal Toprakyaran, seit 2013 beraten wird, hatte gemeinsam mit dem Zentrum für Islamische Theologie der Universität Tübingen zu einem geschlossenen Politikforum eingeladen. Unter den gut 30 Teilnehmern waren auch sieben internationale Stipendiaten und Alumni der Baden-Württemberg Stiftung, welche die einmalige Chance nutzten, mit anerkannten Menschenrechtsexperten ins Gespräch zu kommen.
Die Debatte um die religiöse Beschneidung bei Jungen in der deutschen Öffentlichkeit 2012 ist nur eines der Negativbeispiele, die den Eindruck vermitteln, Religionen mit ihren Regeln, Praktiken und extremen bis hin zu extremistischen Haltungen stünden der Umsetzung der Menschenrechte im Weg. Gewaltverherrlichende ‚Auswüchse‘ von Religion, wie sie beispielsweise vom sogenannten "Islamischen Staat" in Irak und Syrien oder auch islamistischen Terroristen in Europa derzeit wieder ausgehen, ist ein anderes Beispiel, das einen denken lässt: Religionen und ihre (stark) religiösen Anhänger haben ein Problem mit Menschenrechten wie Recht auf Bildung, Gleichberechtigung von Mann und Frau und Religionsfreiheit.
Dass Religionen vielfach von Menschen, besonders von Regierungen, instrumentalisiert werden, um die Rechte ganzer Bevölkerungen oder Bevölkerungsgruppen wie beispielsweise Frauen zu beschneiden, wurde auch von den Podiumsgästen an zahlreichen Beispielen offen gelegt. Die Rabbinerin und politische Aktivistin Nava Hefetz („Rabbis for Human Rights“) berichtete davon, wie sie sich in ihrem Heimatland Israel für ein gesellschaftliches und politisches Umdenken einsetzt, was unter anderem die Besetzung palästinensischer Gebiete und die Rechte der Frauen in ultra-orthodoxen Gegenden und Familien betrifft. Mit Kampagnen macht sie vor Ort deutlich, dass alltägliche Menschenrechtsverletzungen wie, dass Frauen beispielsweise verwehrt ist, als Gruppe frei und laut an der Klagemauer in Jerusalem zu beten oder in manchen Kreisen als glaubwürdige Zeugin vorgeladen zu werden, mit dem jüdischen Glauben nicht übereinstimmen.
Ebenso zeigte der Religionswissenschaftler Prof. Dr. Peter Antes von der Leibniz Universität Hannover auf, welch widersprüchliches Verhältnis die Römisch-Katholische Kirche gegenüber den Menschenrechten vertritt: Einerseits erkennt die Kirche seit dem Zweiten Vatikanischen Konzil (1962-65) die Menschenrechte an, andererseits hat der Vatikan als Staat bis heute noch nicht die Allgemeine Erklärung der Menschenrechte unterschrieben. Und auch Vertreter, die über Hinduismus (Dr. Stephan Schlensog) und Islam (Prof. Mouez Khalfaoui) sprachen, räumten mit Blick auf hinduistische und islamische Mehrheitsgesellschaften ein, dass bezüglich der Menschenrechte innergesellschaftlich noch viel thematisiert, debattiert und reformiert werden müsse. Zentrale Stichworte sind hier beispielsweise das hinduistisch begründete Kastensystem und die Rolle der Frau im heutigen Indien sowie muslimischerseits die Scharia, das religiöse Gesetz des Islam, das aber keinesfalls als starrer und unveränderlicher Codex gesehen werden solle, wie Khalfaoui betonte.
Trotz all dieser Vorbehalte geriet das Ziel der Konferenz nicht aus dem Blick, aufzuzeigen und zu diskutieren, welche Möglichkeiten es gibt, Religionen und Menschenrechte als sich gegenseitig förderlich zusammenzudenken und erlebbar zu machen. Ein sehr engagiertes Plädoyer dafür hielt Prof. Dr. Heiner Bielefeldt, der an der Universität Erlangen-Nürnberg Menschenrechte und Menschenrechtspolitik lehrt und seit 2010 als Sonderberichterstatter über Religions- und Weltanschauungsfreiheit für die Vereinigten Nationen tätig ist.
Auch Dr. Nazila Ghanea von der Universität Oxford machte deutlich, dass es zahlreiche Fälle gäbe, in denen sich Vertreter der Religionen und religiös-motivierte Gruppen für die Einhaltung der Menschenrechte einsetzen, sei es lokal, auf Länderebene oder sogar über Landesgrenzen hinweg.
Auch das internationale Zusammentreffen am vergangenen Mittwoch war als solches und an sich schon ein Positivbeispiel, das gezeigt hat, dass der Konsens unter Vertretern unterschiedlicher Religionen, Wissenschaften und Politikfeldern über die Notwendigkeit der Menschenrechte möglich, gewollt und präsent sein kann und ist. Der Nachgeschmack bleibt dennoch: Religionen sind anfällig dafür, von Menschen für deren Zwecke missbraucht zu werden. Vertreter und Anhänger von Religionen müssen sich daher auch weiterhin für den Schutz ihrer Religion und der Menschenrechte stark machen und Gruppierungen und Machthaber delegitimieren, die mit vermeintlich religiösen Inhalten universal geltende Menschenrechte verletzen und deformieren.