Hunderte Kilometer voneinander entfernt verabschiedeten zwei Väter im Sommer 1936 ihre Töchter mit ähnlichen Worten in den spanischen Bürgerkrieg: Sie seien zu alt, könnten nicht mehr kämpfen, sollten doch sie sich freiwillig melden. Beide junge Frauen wurden Kriegskrankenpflegerinnen, die eine für die franquistische Armee, die andere für die Volksarmee der Zweiten Republik Spaniens (1931-1939). Erstere verstand sich als Katholikin, Karlistin, konservativ. Sie hoffte auf die Rückkehr der Monarchie und eine Karriere als Ehefrau und Mutter. Zweitere war Sozialistin und träumte vom Medizinstudium. Sie war sicher, dass sie diese Zukunft nur in einer Republik haben könnte. Die politischen Überzeugungen dieser Frauen hätten kaum unterschiedlicher sein können, einzig ihre Entscheidung, Krankenpfleger:innen zu werden, teilten sie. Ihre Biografien spiegeln paradigmatisch die multiplen Krisen, die die spanische Gesellschaft in den 1930er und 1940er Jahren kennzeichneten. Innerhalb dieser Jahrzehnte wurde ehrgeizig eine Republik gegründet, die sich moderner Familien- und Geschlechterpolitik verschrieb, ein Bürgerkrieg gekämpft und schließlich eine ultranationalistische Diktatur aufgebaut, die komplementäre Geschlechterrollen propagierte. Fragen zum Verhältnis von Staat und Gesellschaft wurden so in einer bis dahin ungekannten Intensität aufgeworfen und verhandelt. Die Geschichten dieser beiden Frauen stehen zudem exemplarisch für die größeren Trends der europäischen Zwischenkriegszeit: Die wechselhafte Geschichte demokratischer Projekte, der Aufstieg und Konflikt der sog. großen Ideologien, totaler Krieg und massenhafte Mobilisierung, aber auch Veränderungen wie die Einführung des allgemeinen Wahlrechts, die Ausweitung von gleichberechtigt(erem) Zugang zu Arbeitsmarkt und Bildung für Männer* und Frauen*. Nicht nur Spanien stand am Scheideweg, Europa auch.
Vor diesem Hintergrund bringe ich Politik- und Geschlechtergeschichte in Dialog und denke das spanische Krankenbett als soziale Arena, in der unterschiedliche gesellschaftliche Ordnungsentwürfe (re)produziert, verhandelt und verändert wurden. Gesellschaft muss dafür als kontinuierlich hervorgebracht verstanden werden, als omnipräsente Praxis, die fortwährend heteronormativ gegendert wurde. Diese Praxis verdichtete sich während der 1930er Jahre z. B. auf den Schreibtischen von Spaniens (Gesundheits-)Politiker:innen, während des Bürgerkriegs an den Betten der Lazarette und Militärkrankenhäuser, im Arbeitsalltag humanitärer Organisationen, im Handeln von Verwalter:innen, gleichwie in der Verfolgungspraxis von Ordnungskräften – v. a. nach Ende des Konflikts. Entscheidungen darüber, wer welche medizinischen und pflegerischen Aufgaben ausführen durfte, wer welche Position und Verantwortung zugeschrieben bekam, wer aus dem System der Fürsorge ausgeschlossen, wer darin degradiert wurde oder aufstieg, was als Konflikt gedeutet und wie er gelöst wurde, geben uns Einblick darein, wie Gesellschaft im Alltag von Akteur:innen unterschiedlicher sozialer und politischer Zugehörigkeit im Berufsfeld Medizin und Krankenfürsorge dialektisch und stetig hergestellt wurde. Im Anschluss an Judith Butler, Angelika Wetterer und Alf Lüdtke waren die Akteur:innen meiner Studie Agent:innen eines „doing society and domination while doing gender and doing medicine“.
Die Analyse eines vielfältigen aber z. T. fragmentarischen Quellenkorpus stützte sich daher auf einen Zusammendenken von Ansätzen der Historischen Praxeologie, intersektionaler Geschlechter- sowie Alltagsgeschichte. Dabei lag das Hauptaugenmerk auf heterosexuellen Konstellationen, war doch die als heterosexuell codierte Performanz entscheidendes Kriterium für die Akteur:innen, um überhaupt Zugang zum Feld der Fürsorge und Medizin zu bekommen. Darüber hinaus fielen in den Untersuchungszeitraum auch Spaniens erste ernsthafte Versuche, Wohlfahrt staatlich organisiert zu denken, wofür die Bedürfnisse heterosexuell geordneter Gemeinschaft und deren Kernelement – die Familie – zumeist eine zentrale Rolle spielten.
Ausgehend von individuellen Konstellationen zeige ich, dass die Berufsfelder Medizin und Krankenpflege erst mit deutlicher Verzögerung von den großen Transformationen der spanischen Geschichte betroffen waren. Der Zusammenbruch der bürgerlich-aristokratischer Ordnung erfolgte dort – anders als z. B. in der Politik und Wirtschaft, wo die Reformjahre der 1931/32 Zäsur waren – erst nach Beginn des Bürgerkriegs. Medizin war demnach bis 1937 ein sozialer Rückzugsraum für bürgerliche, aristokratische und der Armee nahestehenden Eliten, die ihre Position bereits im 19. Jahrhundert konsolidiert hatten. Erst als der Bedarf an medizinischem und pflegerischem Personal kriegsbedingt massiv anstieg, tat sich die Gelegenheit für Akteur:innen anderer sozialen Schichten auf, sich zu etablieren. Für das republikanische Spanien bedeutete das, dass kurzfristig versucht wurde, die schwer mit Vorurteilen beladenen medizinischen Berufsgruppen als Proletarier:innen umzudeuten. Grundsätzliche Fragen zwischen Expertentum, sozialistischen und anarchistischen Vorstellungen von Arbeit und Gesellschaft mussten verhandelt werden. Im franquistischen Spanien, hingegen, rangen unterschiedliche reaktionäre, faschistische und katholische Gruppen um die Vormacht in Medizin und Fürsorge. Diese Konflikte löste Franco per Dekret, indem er den jeweiligen Akteur:innen eigene Herrschaftsbereiche zuordnete.
Für beide kriegführenden Seiten galt, dass sie die medizinischen Berufe als Vehikel nutzten, um ideologisierte, binär-heterosexuelle und hierarchisierende Vorstellungen von Männlich- und Weiblichkeit in Verhaltenserwartungen, Arbeitsteilung und Rollenkonzepte zu übersetzen. Dafür musste die republikanische Führung zwischen Gleichberechtigungsdiskursen, beharrlicher Misogynie, Stereotypen und militärischen Logiken vermitteln. Die franquistische Präferenz für komplementäre Geschlechterkonstellationen fand dagegen in segregierten Ausbildungs- und Verwaltungsstrukturen ihren deutlichsten Ausdruck. So entstand ein dem männlichen Sanitätsdienst paralleler sozialer Raum mit eigenen Machtdynamiken. Nach Francos Sieg verschoben sich die Parameter des spanischen „doing society while doing gender and doing medicine.“ Konkreten Akteur:innen halfen zwar medizinische Kenntnisse bei der Suche nach einer Zukunft in oder außerhalb des „neuen“ Spaniens. Dabei bestimmte ihre politische Zugehörigkeit, ob sie im offiziellen Gesundheitswesen Arbeit fanden oder nicht. Der Zugang zum medizinischen und pflegerischen Arbeitsmarkt blieb segregiert und die Frage wer ihn kontrollierte, wurde Gegenstand scharfer Auseinandersetzungen zwischen Franquist:innen. Der Verlauf dieser Konflikte wurde maßgeblich von den internationalen Entwicklungen der 1940er beeinflusst und spiegeln Spaniens Weg von der faschistisierten zur autoritären Diktatur.