Institut für Soziologie

Compliance mit und Belastung durch Infektionsschutzmaßnahmen

Weitere Befunde aus dem BMAS-FIS-Projekt ‘Corona-Krise und berufliche Anerkennung’

Halten sich die Menschen während der Pandemie an verordnete Infektionsschutzmaßnahmen und wie lässt sich die Compliance zu diesen noch weiter erhöhen? Diese Fragen waren und sind zur Bekämpfung des SARS-COV-2-Virus von großem Interesse. Ging es in den bisherigen drei Newsletter-Ausgaben darum, ob Erwerbstätige aus bestimmten Berufsgruppen sich anerkannt fühlen und eine Veränderung ihrer beruflichen Anerkennung wahrnehmen, so ist in dieser vierten Edition vorrangig von Interesse, in welchem Ausmaß sich Beschäftigte an Infektionsschutzmaßnahmen am Arbeitsplatz halten und ob ein Zusammenhang mit der erfahrenen beruflichen Anerkennung festzustellen ist.

Die Untersuchung dieser Fragen bildet einen Kernbestandteil des BMAS-FIS-Forschungsprojekts “Corona-Krise und berufliche Anerkennung”. Erste Ergebnisse auf Basis eines von uns im Februar und März 2021 durchgeführten Onlinesurveys dazu präsentierten wir bereits hier. Im Folgenden stellen wir weiterführende Ergebnisse dar. Die Stichprobe umfasst 3,102 Erwerbstätige und ist repräsentativ für die Erwerbsbevölkerung in Deutschland.

Dazu haben wir die TeilnehmerInnen der Umfrage zunächst direkt danach gefragt, mit welcher Stringenz sie sich an die geltenden Vorschriften zum Schutz vor einer Ansteckung am eigenen Arbeitsplatz halten. Hierzu konnten die Befragten auf einer siebenstufigen Antwortskala ankreuzen, mit welcher Häufigkeit sie sich an verordnete Maßnahmen halten. Wie in Abbildung 1a zu erkennen ist, berichtet nur ein geringer Anteil der TeilnehmerInnen sich nie, selten oder manchmal an die Regeln zu halten. Aufsummiert entfallen 6,5 Prozent der Befragten auf diese drei Kategorien, wohingegen sich mehr als zwei Drittel entweder fast immer oder ohne Ausnahme/immer an die Vorgaben halten.

Unterschiede zwischen den acht verschiedenen Berufsgruppen - die bereits in den vorangegangenden Ausgaben des Newsletters verwendet wurden - fallen nicht deutlich aus. Auffällig ist lediglich, dass insbesondere BasisarbeiterInnen einen sehr geringen Anteil von Personen aufweisen, die sich nie, selten oder manchmal an die Maßnahmen halten (Abbildung 1b).

Einschränkend ist anzumerken, dass das einen hohen Grad an Regelkonformität zum Ausdruck bringende Antwortverhalten auch durch soziale Erwünschtheit mitbedingt sein kann. Das bedeutet, dass den Befragten sehr bewusst ist, dass ein hohes Maß an Compliance zu Infektionsschutzmaßnahmen von den meisten ihrer Mitmenschen als notwendig angesehen wird, während Regelverstöße weithin als illegitim gelten. Der Einfluss dieser gesellschaftlichen Erwartungshaltung spiegelt sich wiederum im Antwortverhalten wider, und das tatsächliche Verhalten im Arbeitsalltag muss nicht immer damit übereinstimmen, wobei auch hinsichtlich dieses Verhaltens gesellschaftliche Konformitätserwartungen zu mehr Achtung der Regelungen führen kann.

Davon ausgehend betrachten wir in einem zweiten Schritt Indikatoren, die weniger stark durch soziale Erwünschtheit beeinflusst sein dürften. Dazu wurde erfasst, ob den Befragten die Schutzmaßnahmen an ihrem Arbeitsplatz in ihrem Umfang angemessen erscheinen oder aber mehr bzw. weniger Veränderungen am Arbeitsplatz gewünscht werden. Abbildung 2 stellt die Antworten aufgeschlüsselt nach den Berufsgruppen dar. Hier zeigt sich zunächst, dass die überwiegende Mehrheit der Befragten die zum Erhebungszeitpunkt geltenden Maßnahmen für angemessen hält. Zweitens zeigt sich, dass bei bestehendem Wunsch nach Veränderung dieser eher in einer Ausweitung als in einer Reduktion gesehen wird.

Auch aus der Betrachtung dieser Variablen lässt sich schließen, dass die Akzeptanz der geltenden Regeln am Arbeitsplatz weit verbreitet ist und im Hinblick darauf keine großen Unterschiede zwischen den Berufsgruppen bestehen.

Ein für die Einhaltung der Infektionsschutzmaßnahmen am Arbeitsplatz wichtiger Einflussfaktor könnte die wahrgenommene Belastung am Arbeitsplatz durch die geltenden Maßnahmen darstellen. Werden die Verordnungen am Arbeitsplatz als zu große Belastung wahrgenommen, könnte das die Tendenz erhöhen, sich nicht stringent an die Regeln zu halten. Hier zeigt sich nun erstmals kein einheitliches Bild unter den Befragten und eine breitere Streuung im Antwortverhalten (Abbildung 3).

Zunächst lässt sich festhalten, dass für die wahrgenommene Belastung durch Maßnahmen die Systemrelevanz einer Tätigkeit bedeutsam ist. Bei gleichem Qualifikationsniveau des Berufs berichten Personen in nicht-systemrelevanten Tätigkeiten zu einem höheren Anteil, dass sie sich entweder überhaupt nicht oder nur etwas belastet durch die Maßnahmen fühlen. Personen in den systemrelevanten Tätigkeiten berichten hingegen zu höheren Anteilen im Vergleich zu Personen mit Berufen auf gleichem Qualifikationsniveau, dass sie die Maßnahmen ziemlich oder sogar stark belastend empfinden.

Des Weiteren lässt sich auch entlang der Qualifikationsniveaus der Berufe ein Muster erkennen: Diejenigen Befragten, die in Tätigkeiten mit geringem beruflichen Qualifikationsniveau arbeiten, berichten tendenziell zu höheren Anteilen eine belastende Beeinträchtigung durch die Maßnahmen, wohingegen besonders Personen in hochqualifizierten Berufsniveaus eher überhaupt keine oder nur eine schwache Belastung verspüren. Unter den BasisarbeiterInnen berichten fast 40 Prozent von einer einschränkenden Belastung durch die Maßnahmen.

Reduziert wahrgenommene Anerkennung das Ausmaß an empfundener Belastung?

Von diesen Unterschieden zwischen Berufsgruppen ausgehend analysieren wir darauf aufbauend, inwiefern sich eine höher empfundene Belastung möglicherweise mit einer geringeren beruflichen Anerkennung in Verbindung bringen lässt. Davon ausgehend könnte berufliche Anerkennung dazu beitragen, ein compliantes Verhalten gegenüber den Infektionsschutzmaßnahmen am Arbeitsplatz zu fördern.

Die berufliche Anerkennung messen wir in unseren Daten anhand zweier unterschiedlicher Dimensionen. Zum einen geht es um die gesellschaftliche Anerkennung, die der allgemeinen Berufsgruppe, der die befragte Person angehört, entgegengebracht wird. Diese Form stand in den letzten Ausgaben des Newsletters im Fokus. In der zweiten Variante beziehen wir uns auf die konkrete Anerkennung der Leistung, die eine erwerbstätige Person im unmittelbaren Arbeitsumfeld seitens Arbeitgeber, KundInnen und/oder KollegInnen erfährt.

Während die These im Allgemeinen lautet, dass beide Formen der Anerkennung kompensatorische Auswirkungen auf die Belastung und damit auf die Bereitschaft zur Einhaltung von Infektionsschutzmaßnahmen haben, spezifizieren wir unsere Hypothese dahingehend, dass wir die direkt erfahrene Anerkennung im konkreten Arbeitsumfeld für maßgeblich halten. Werden Angestellte von ihren Vorgesetzten und KollegInnen wertschätzend behandelt, scheint es plausibel anzunehmen, dass auch die Bereitschaft zur Einhaltung von Infektionsschutzmaßnahmen höher ausfällt, um sich und seine MitarbeiterInnen zu schützen.

Zunächst schauen wir uns den Status Quo an (Abbildung 4a). Abgebildet sind die Boxplots der Faktorscores - also eines metrischen Indikators. Dieser Faktor beinhaltet vier Fragen zu der erfahrenen Anerkennung im direkten Arbeitsumfeld. Differenziert wird dieser Faktorscore nach den fünf Antwortkategorien der Frage, inwiefern die Infektionsschutzmaßnahmen als belastend empfunden werden. Hierbei zeigt sich, dass tatsächlich ein Zusammenhang zwischen dieser Form der Anerkennung und dem Belastungsniveau vorliegt. Personen, die sich überhaupt nicht belastet fühlen, verzeichnen tendenziell ein höheres Niveau an empfundener Anerkennung im Vergleich zu Personen, die sich für eine der anderen vier Antwortkategorien entschieden haben. Ebenso deutlich erkennbar ist, dass Personen, die sich sehr stark belastet fühlen auch weniger Anerkennung ihrer konkreten Leistung am Arbeitsplatz wahrnehmen.

Hinsichtlich der Veränderung der Anerkennung im Arbeitsumfeld (Abbildung 4b) lässt sich konstatieren, dass diejenigen, die sich stark belastet fühlen, tendenziell eher keine Verbesserung der wahrgenommenen Anerkennung empfinden bzw. sogar eine Verschlechterung berichten. Die Unterschiede zwischen den vier weiteren Belastungsniveaus fallen hingegen nicht so deutlich aus.

Als letzte Dimension der konkreten Anerkennung im direkten Arbeitsumfeld betrachten wir, inwiefern Erwerbstätige das Gefühl haben, dass sie im Rahmen ihrer Tätigkeit für ihre erbrachten Leistungen adäquat - materiell oder auch in anderer Form - belohnt werden (Abbildung 4c). Auch hier zeigt sich in erster Linie der bereits aus den anderen Graphiken bekannte, besonders starke Effekt für diejenigen, die sich stark belastet fühlen. Dabei handelt es sich überwiegend um Personen, die sich verglichen mit den Personen anderer Belastungsniveaus eher nicht anerkannt fühlen. Je höher die Anerkennung ausfällt, desto eher sinkt auch die Belastung mit Blick auf die weiteren vier Antwortkategorien.

Somit bestätigt sich zunächst die allgemeine Vermutung, wonach ein höheres Maß an Anerkennung dazu beiträgt, die empfundene Belastung zu reduzieren. Doch wie sieht es nun aus bei der gesellschaftlichen Anerkennung? Lassen sich hier ähnliche Tendenzen feststellen - und falls ja: welche Form der Anerkennung hat den größeren Einfluss? Die konkrete Anerkennung im direkten Arbeitsumfeld - so wie angenommen - oder aber die gesellschaftliche Anerkennung für die Berufsgruppe insgesamt?

Um auch diese beiden Fragen zu erörtern, betrachten wir erneut die Zusammenhänge zwischen der empfundenen Belastung durch die Infektionsschutzmaßnahmen und der gesellschaftlichen Anerkennung, die wiederum in drei Dimensionen unterteilt ist: den derzeitigen Stand der Anerkennung, die Veränderung der wahrgenommenen gesellschaftlichen Anerkennung während der Corona-Pandemie und die empfundene Anerkennung durch politische Maßnahmen.

Bei der gesellschaftlichen Anerkennung des Berufs zum Befragungszeitpunkt (Abbildung 5a) stellt sich heraus, dass ein deutlich schärferer Kontrast zwischen den beiden Kategorien stärkerer Belastung und den restlichen drei Kategorien hinsichtlich der empfundenen Anerkennung vorliegt - verglichen mit der Anerkennung im direkten Arbeitsumfeld. Besonders die Gruppe der stark belasteten Erwerbstätigen berichtet tendenziell, sich als Teil der eigenen Berufsgruppe nicht von der Gesellschaft anerkannt zu fühlen.

Hinsichtlich der Veränderung der gesellschaftlichen Anerkennung (Abbildung 5b) sticht erneut die Kategorie der stark Belasteten heraus. Diese berichten tendenziell eine Verschlechterung oder keine spürbare Verbesserung der gesellschaftlichen Anerkennung. Zwischen den anderen Gruppen lassen sich weniger eindeutige Unterschiede ausmachen. Erneut zeigt sich im Vergleich zur Anerkennung im direkten Arbeitsumfeld ein noch stärkerer Zusammenhang zwischen dem Anerkennungs- und Belastungsniveau.

Ein ähnliches Bild wie schon in den Graphiken zuvor ergibt sich auch bei der Betrachtung der empfundenen Anerkennung durch politische Maßnahmen (Abbildung 5c). Stark Belastete weisen ein deutlich geringes Maß an wahrgenommener Anerkennung auf.

Fazit

Das Ziel dieser Newsletter-Ausgabe war es, sich den Zusammenhang zwischen beruflicher Anerkennung und der Belastung durch Infektionsschutzmaßnahmen am Arbeitsplatz anzusehen, da dieser Zusammenhang potentiell wichtig ist, um die Compliance mit Infektionsschutzmaßnahmen am Arbeitsplatz zu unterstützen. Aus unseren Ergebnissen lassen sich einige wesentliche Erkenntnisse destillieren.

Erstens gibt der überwiegende Teil der Befragten an, sich fast immer oder immer an die geltenden Verordnungen am Arbeitsplatz zu halten. Dies ist bedingt durch die hohe Zustimmung zu solchen Maßnahmen in der Bevölkerung und unter anderem auch aufgrund der sozialen Erwünschtheit dieser Frage ein erwartbares Ergebnis. Auch beim Umfang der Maßnahmen berichten zwei Drittel der Befragten, dass sie den Umfang dieser Maßnahmen für ideal halten. Bei Abweichungen besteht tendenziell der Wunsch nach mehr Maßnahmen. Nur bei der Belastung durch die Maßnahmen zeigt sich eine breitere Streuung unter den Befragten.

Zweitens ergibt sich aus den dargestellten Ergebnissen, dass berufliche Anerkennung tatsächlich in einem negativem Zusammenhang mit der empfundenen Belastung durch die Maßnahmen steht. Mit anderen Worten: Je mehr sich Erwerbstätige anerkannt fühlen, desto geringer empfinden sie das Ausmaß der Belastung durch Infektionsschutzmaßnahmen, was für die Einhaltung dieser wiederum förderlich sein sollte.

Drittens zeigt sich, dass nicht etwa die direkt erfahrene Anerkennung im unmittelbaren Arbeitsumfeld den stärksten Effekt auf das Belastungsniveau hat. Stattdessen überwiegt im Vergleich tatsächlich der Einfluss der gesellschaftlichen Anerkennung der Berufsgruppe.

Dies deutet viertens darauf hin, dass der Umgang mit der Corona-Krise auf gesellschaftlicher oder politischer Ebene eine sehr starke Signalwirkung entfacht, die viel wichtiger für das Handeln der Menschen ist als die unmittelbar am Arbeitsplatz erfahrene Behandlung.

Ausblick- In der kommenden Ausgabe des Newsletter soll der Fokus der Analyse nochmals erweitert werden. Lag die Betrachtung in dieser Ausgabe auf den Maßnahmen am Arbeitsplatz, soll in der folgenden Edition das Einverständnis, die Akzeptanz und die Legitimation politischer Maßnahmen in den Vordergrund rücken. Auch hier interessiert die Frage, inwieweit berufliche Anerkennung dazu beitragen kann, dass die Akzeptanz beschlossener Infektionsschutzmaßnahmen steigt.