Studierende unterwegs
Im Land der Pharaonen
Von Samet Er
Endlich war es soweit. Nach wochenlangem Stress hatte ich mein Ticket nach Ägypten gebucht. Von Neugier erfüllt, hatte ich mich kurz vor meiner Abreise über die dortigen Lebensumstände informiert. Mir war klar, ich dürfte nicht allzu große Erwartungen haben. Ich war vorbereitet auf tägliche Stromausfälle, auf den täglichen Fleischverzehr und auf den Verkehr.
Trotz der Nachrichten von Chaos, Aufruhr und hunderten von Toten wollte ich mich vom Aufenthalt in Ägypten nicht abbringen lassen.
Ich hatte Bilder von verletzten Menschen, umherirrenden Kindern, bewaffneten Polizisten und betenden Menschen im Kopf und war deshalb etwas verunsichert. Bei der Ankunft am Flughafen Kairo wurde mir die Angst aber schnell genommen: Am Flughafen herrschte eine routinierte Hektik, wie sie an jedem Flughafen zu erwarten ist. Außerhalb des Gebäudes sah ich Taxifahrer, Busse, Menschen mit Gepäck. Die Straßen von Kairo: Nicht mehr und nicht weniger Ausnahmezustand als in jeder anderen Großstadt.
Angekommen am Flughafen freute ich mich auf die erste Begegnung mit einem Ägypter. Ich hatte mir schon im Flugzeug die Zeit genommen und einige Sätze auswendig gelernt, um sie nach dem Flug direkt anzuwenden.
Die Sprachhürden am Flughafen nahm ich mit links. Kaum war ich draußen, kam schon eine Horde von Taxifahrern auf mich zugelaufen und jeder zeigte auf sein Taxi. Sie sprachen eine Sprache, die mir sehr fremd war. Ich dachte nicht viel darüber nach und hielt mit einem Handzeichen ein Taxi an und bat den Taxifahrer, ebenfalls mit einem Handzeichen, das Gepäck in den Kofferraum zu stellen.
Mit einem dicken Kloß im Hals fragte ich den Taxifahrer den im Flugzeug einstudierten Satz: „Uridū en ezhebe ilā hazihi aš-šāriʿ“ (zu Deutsch: Ich möchte zu dieser Straße/Adresse) und zeigte auf das Blatt mit meiner Zieladresse. Der Taxifahrer sah mich mit einem merkwürdigen Gesichtsausdruck an. Ich gab nicht auf und versuchte es noch einmal. Dieses Mal mit dem Infinitiv: „Uridū zehāb ilā hazihi aš-šāriʿ ´?“ Er verstand wieder nichts. Beim 3. Mal kam ein „hunā hunā yallah“ (hier hin, hier hin, los!) von mir und er verstand. Wir fuhren los.
Angekommen im Wohnheim begrüßten mich Studenten aus Indonesien und Afrika mit einem Arabisch, das ich sogar verstand. Na also!
Die Umgangssprache in Ägypten unterscheidet sich deutlich von dem Hocharabischen, das wir im Zentrum lernen. Ich bin fest davon überzeugt, dass es keine ägyptische Umgangssprache ist. Es ist eher eine eigene Sprache. Die Wörter werden nicht nur anders ausgesprochen, wie zum Beispiel im Schwäbischen: „Mach dass du wegkommsch“, sondern sie werden durch andere, im Hocharabischen nicht vorhandene, ersetzt: Ein Beispiel: „Kayfa Hāluk“ (Wie geht es dir?) heißt in der ägyptischen Sprache „Zayyak“.
Aufgrund der Tatsache, dass ich aus demselben Land wie Mesut Özil kam, fand ich schnell Anschluss. Ich freundete mich mit einem Indonesier und zwei Chinesen an, denen ich am Anfang nur zuhörte und später immer wieder ein zwei Sätze dazwischen redete, worauf ich dann sehr stolz war.
Der Tag in Ägypten beginnt bereits um sechs Uhr morgens. Ich war sehr erstaunt darüber, dass die Ägypter entgegen der Vorurteile in Europa so früh wach sind. Nach dem Morgengebet in der Moschee begeben sich die Straßenverkäufer auf die Straße und werben für ihre Waren mit einem mir unvertrauten aber entspannenden melodischen Ton.
Bei mir geht es jeden Morgen um sieben Uhr mit dem Arabisch-Kurs los. Für eine Strecke von 20 bis 30 Minuten steige ich täglich in einen den deutschen Kleinbussen ähnlichen überfüllten Bus ein, wo ich als Mann und zugleich als junger Erwachsener oft ganz hinten sitzen muss, eingequetscht wie in einer Sardinenbüchse. Die Kosten für die Hin-und Rückfahrt zaubern mir trotz dieser Strapazen ein Lächeln ins Gesicht, denn ich zahle umgerechnet täglich nur 22 Cent. Das türkische Sprichwort: „Billiger als Wasser“ trifft hier wohl ziemlich gut zu.
Wochenende heißt für mich Besichtigung. Ich halte es einfach nicht aus, an einem freien Tag zuhause zu bleiben. Ich möchte mir die Zeit von Anfang bis Ende entweder mit dem Arabisch Lernen, Reden bzw. Hören vertreiben oder zusätzlich die Sehenswürdigkeiten ansehen.
Die Sehenswürdigkeiten Ägyptens überwältigen einen Touristen, egal wie belesen dieser über das Land sein mag. Das Reiten auf einem Kamel oder Esel, die Besichtigung der Pyramiden oder der Anblick des Bergs Sinai, wo Moses mit Gott sprach. Alles war für mich so beeindruckend und prägend, dass ich eine enge Bindung zu diesem Land aufbaute.
Als ich in Sinai ankam, war ich sehr erstaunt und gleichzeitig glücklich. Aufgrund der Unruhen in Ägypten, dachte ich, dass das Land für einige Zeit nicht besucht werden wird. Doch bei der Ankunft sah ich Touristen am Meer mit Taucheranzügen, die sich bereit machten Korallenriffe zu erkunden, oder aber kleine Kinder, die sich auf Deutsch über gefundene Müschelchen freuten.
Die Pyramiden, die Tempel und die Wandmalereien, die ich als Laie nicht entziffern konnte, weckten mein Interesse für die altägyptische Kunst und Architektur.
Die Tourismusbranche ist vor allem auf der Halbinsel Sinai gut ausgebaut. Reiche und bekannte europäische und amerikanische Unternehmen haben die Arbeitslast von den einheimischen Beduinen übernommen um den Touristen vor Ort einiges anzubieten.
Das Zusammentreffen mit dem ersten Beduinen in einer Oase war für mich ein besonderer Moment. Ich hatte oft genug aus den Büchern von Paulo Coelho oder anderen von ihnen gelesen und gehört, doch nun persönlich einen zu treffen, gehörte ganz gewiss zu den besten Momenten meines Ägyptenaufenthalts. Das Highlight war jedoch der Besuch des Canyon in Sinai und das Kamelreiten. Ein widersprüchliches Gefühl von Angst und Freude überkam mich, als ich auf das Kamel stieg, wobei ich ständig Angst hatte, runterzufallen.
An einem weiteren freien Tag, an dem ich Ägypten erkunden konnte, gingen mein indonesischer Freund und Fremdenführer und ich auf den Tahrir-Platz, dem Symbol der „Freiheit“ für Ägypten. Nach ein paar Minuten Fußweg gelangten wir an den Nil. Auch der Besuch des Nils hatte für mich eine besondere Bedeutung. Der längste Fluss der Welt (mit 6852 Kilometern Länge), der in den Bergen Ruandas und Burundis entspringt, über Tansania und den Sudan fließt und schließlich von Ägypten in das Mittelmeer mündet. Das gemütliche Beisammensein und Teetrinken mit den Einheimischen am Nil und die orientalische Musik im Hintergrund. Ein schönes Gefühl, wofür es sich – wie für alle beschriebenen wunderbaren Erlebnisse – lohnt, nach Ägypten zu kommen.