Muslimische Fachkräfte in evangelischen Kindergärten (EvKitaM)
Bei diesem Projekt geht es um die Erprobung der Anstellung muslimischer Fachkräfte in evangelischen Kindergärten.
Begründung und Problemhorizont
Aus religionspädagogischer Sicht ist das Vorhaben aus vier Gründen als vordringlich anzusehen.
Auch in evangelischen Einrichtungen finden sich seit vielen Jahren zahlreiche muslimische Kinder (der letzten repräsentativen Erhebung zufolge, die inzwischen mehr als zehn Jahre zurückliegt, waren es schon damals im Durchschnitt ca. 15 %, teilweise aber auch 40-50 % – die Anteile dürften inzwischen stark gewachsen sein). Eine religionspädagogische Begleitung auch dieser Kinder ist ein wichtiges Anliegen. Es gibt zwar mitunter muslimische Eltern, die bewusst eine evangelische Begleitung ihrer Kinder wünschen, aber zumeist wird doch ein Aufwachsen mit dem muslimischen Glauben gewünscht. Eine im muslimischen Sinne kompetente Begleitung dieser Kinder setzt muslimische Fachkräfte voraus, insbesondere wenn an dem in evangelischer Sicht entscheidenden Prinzip festgehalten werden soll, dass eine solche Kompetenz nicht ohne eine entsprechende Glaubensüberzeugung von Fachkräften gewährleistet sein kann.
Allen Kindern stellt sich heute die Aufgabe, in einer zunehmend religiös-weltanschaulich pluralen Gesellschaft zu leben. Diese Aufgabe beginnt bereits im Kindergarten, im Zuge der Erschließung der heutigen Welt für Kinder sowie der in allen Einrichtungen gegenwärtigen Erfahrung, dass andere Kinder eine andere (oder auch keine) Religionszugehörigkeit haben. Evangelische Einrichtungen für Kinder wollen und sollen daher auch in religionspädagogischer Sicht zur Ausbildung von Pluralitätsfähigkeit beitragen, im Sinne der Fähigkeit, religiöse Unterschiede zu verstehen und auch mit religiösen Gegensätzen konstruktiv umgehen zu können. Evangelische Einrichtungen bieten hier muslimischen Kindern und ihren Eltern die Möglichkeit, den evangelischen Glauben aus erster Hand kennenzulernen. Umgekehrt ist es auch für evangelische Kinder wünschenswert, Einblick in den Islam bzw. das muslimische Leben in Deutschland zu gewinnen.
Pädagogisch ausgedrückt geht es um die Einübung von Haltungen der interkulturellen und interreligiösen Offenheit, der Toleranz und des gegenseitigen Respekts. Hier kann ein wichtiger Beitrag zum Zusammenleben in Frieden geleistet werden, in einem gesellschaftlichen und zunehmend in einem globalen Horizont. Von ihrem theologisch-religionspädagogischen Selbstverständnis her sehen sich evangelische Einrichtungen dieser Aufgabe verpflichtet, die für sie keineswegs nur gesellschaftlich, sondern aus dem Glauben begründet ist. Dies führt theologisch-religionspädagogisch zu der Überzeugung, dass dialogische Beziehungen zwischen den Religionen verstärkt unterstützt werden müssen.
In vielen Einrichtungen ist der Personalmangel inzwischen so ausgeprägt, dass selbst an die Kündigung von Kita-Plätzen gedacht wird. Weithin arbeiten die Einrichtungen mit einem reduzierten Programm und Angebot an Plätzen. Neue Gruppen, für die bereits räumliche Voraussetzungen zur Verfügung stehen, können nicht eröffnet werden, obwohl der Bedarf an Plätzen für Kinder vor Ort dringlich ist. Eltern finden es kaum nachvollziehbar, wenn Fachkräfte aufgrund ihrer Religionszugehörigkeit nicht eingestellt werden und wenn sie als Eltern, wie es dann wahrgenommen wird, die Folgen tragen sollen. Darunter leidet auch das Verhältnis zur Kirche sowie die Wahrnehmung der Kirche als einer Einrichtung, die sich nicht nur für eigene Interessen einsetzt.
Religionspädagogisch-konzeptionelle Überlegungen
Im kommunalen bzw. staatlichen Bereich wird auf die religiös-weltanschauliche Vielfalt häufig mit einer Strategie der religiös-weltanschaulichen Neutralität auch des pädagogischen Angebots reagiert. Je mehr Religionen und Weltanschauungen in der Bevölkerung präsent sind, desto mehr sollen Angebote wie Kindergärten neutral sein. Diese Position ist jedoch ebenso pädagogisch wie theologisch zu problematisieren. Sie widerspricht auch der rechtlichen Tradition in Deutschland, die die negative Religionsfreiheit nicht verabsolutiert, sondern ebenso auf positive Religionsfreiheit eingestellt ist. Deshalb sollte auch bei einer Öffnung evangelischer Kindergärten nicht Vorstellungen gefolgt werden, die bestenfalls eine religionskundlich-neutrale Befassung mit Glaubensfragen zulassen.
Angemessen erscheint hingegen ein anderes Modell, das sich auf Erfahrungen beim konfessionell-kooperativen Religionsunterricht stützt. Das gilt insbesondere für die dabei entwickelte Zielformel „Gemeinsamkeiten stärken – Unterschieden gerecht werden“. Demnach sollen konfessionelle und religiöse Profile keineswegs verschwinden, sondern im Gegenteil in jeweils deutlich erkennbarer Form, aber auch in dialogischer Bezogenheit aufeinander eingebracht werden. Diese Zielsetzung ist auch für Tageseinrichtungen für Kinder angemessen, auch wenn eine unmittelbare Übertragung von Modellen aus dem Schulbereich nicht möglich ist. In Kindertagesstätten gibt es keine Fächer für verschiedene Inhaltsdomänen, sondern wird prinzipiell thematisch integriert gearbeitet, sodass religiöse Themen und Fragen den Alltag in solchen Einrichtungen durchziehen. Anders als bei der Kooperation zwischen dem evangelischen und dem katholischen Religionsunterricht gibt es bei einer christlich-muslimischen Zusammenarbeit auch kein institutionell und rechtlich als Religionsgemeinschaft verfasstes Gegenüber, woraus für Kindertageseinrichtungen ebenso wie für die Schule zahlreiche bislang ungelöste Fragen erwachsen. In dieser Hinsicht müssen in dem Projekt Wege für die inhaltliche Ausrichtung der religionspädagogischen Begleitung der Kinder gefunden werden, beispielsweise in Gestalt von klaren Vereinbarungen mit den Eltern. Ob dies tatsächlich erreicht werden kann, gehört zu den zentralen Fragen, die im Projekt geklärt werden müssen.
Bislang vorliegende Erfahrungen aus Einrichtungen, die einen Schwerpunkt bei einer interkulturell-und interreligiös-sensiblen Bildung und Begleitung der Kinder legen, machen auch in anderen Hinsichten deutlich, dass im Blick auf die konkrete Ausgestaltung der Arbeit in den Einrichtungen zahlreiche Fragen weiter geklärt werden müssen. Das betrifft beispielsweise das gemeinsame oder nicht gemeinsame Beten in den Einrichtungen, die von der Einrichtung wahrgenommenen religiösen Feste, die Ausgestaltung von Morgenkreisen oder ähnlichen Gestaltungselementen, aber auch beispielsweise die Zusammenarbeit mit den Eltern sowie die Zusammenarbeit im Team der Fachkräfte. Hier fehlt es allerdings weithin noch an einem ausreichend breiten Maß an Erfahrungen. In der gegenwärtigen Situation erscheint es deshalb vordringlich, weitere Erfahrungen zu gewinnen und diese sorgfältig auszuwerten, etwa in der Gestalt einer wissenschaftlichen Begleitung, so wie es bei dem vorliegenden Projekt ermöglicht werden soll.
Eine eigene Frage betrifft die Gewinnung geeigneter muslimischer Fachkräfte. Pilotartige Befragungen, die in den letzten Jahren im Rahmen einer Projektbegleitung im Auftrag der Stiftung Kinderland/Baden-Württemberg Stiftung durchgeführt wurden, lassen erkennen, dass bislang in kommunalen Einrichtungen tätige muslimische Fachkräfte keineswegs in allen Fällen den Wunsch hegen, religionspädagogisch tätig zu werden, oder über die erforderlichen religionspädagogischen Qualifikationen verfügen, die für ein Projekt der hier geplanten Art erforderlich sind. Hier könnte sich nahelegen, Fachkräfte, die an Evangelischen Fachschulen ausgebildet worden sind, für die Mitarbeit zu gewinnen. Aus der Arbeitsweise der Evangelischen Fachschulen lässt sich auch ein weiteres mögliches Auswahlkriterium ableiten: Diese Ausbildungseinrichtungen stehen allen Schüler:innen offen. Sie setzen bei den Bewerber:innen keine Kirchenmitgliedschaft voraus, sondern allein die Zustimmung zum evangelischen Profil dieser Schulen.
Ziele und Durchführung der wissenschaftlichen Begleitung
Das wichtigste Ziel der wissenschaftlichen Begleitung liegt in der Frage, ob und wie sich das evangelische Profil von Einrichtungen auch bei einer Anstellung muslimischer Fachkräfte aufrechterhalten lässt und ob bzw. wie es sich ggf. verändert. Darüber hinaus soll geklärt werden, welche Formen der Arbeit in einer Einrichtung sich im Blick auf dieses Ziel besser eignen als andere.
Da bei einem Kindergarten letztlich immer entscheidend ist, was eine Einrichtung bei den Kindern erreicht (wobei Kinder in diesem Alter nur in bestimmten Hinsichten von ihren Eltern getrennt betrachtet werden können), ist eine Erhebung dazu, wie Kinder die Einrichtung erleben, unerlässlich (teilnehmende Beobachtung, Interviewgespräche mit den Kindern, Auswertung von Artefakten/Bildern, die von Kindern gefertigt werden, usw.). Auch die Eltern müssen eigens befragt werden. In beiden Fällen spielen die interreligiöse Orientierungsfähigkeit und Offenheit eine wichtige Rolle. Diese Bezüge stehen einem evangelischen Profil recht verstanden nicht entgegen. Vielmehr bedingt das evangelische Profil eine solche Orientierungsfähigkeit und Offenheit.
Wenn die wissenschaftliche Begleitung sich nicht darin erschöpfen soll, am Ende zu einem Urteil zu kommen, sondern wenn auch die erforderlichen Entwicklungsprozesse in den Einrichtungen begleitet und unterstützt werden sollen, sind regelmäßige Besuche in den Teams der Einrichtungen erforderlich. Darüber hinaus können, je nach Situation, auch Interviews mit pädagogischen Fachkräften geführt werden.
Weitere Erkundungsaufgaben beziehen sich auf das Umfeld der Einrichtung und damit auf die Voraussetzungen von deren Arbeit, speziell auch in religiöser Hinsicht. Dazu müssen ebenfalls Gespräche geführt werden (etwa mit Pfarrer:innen, aber auch anderen Personen vor Ort). Bei anderen Fragen sind eigene Recherchen erforderlich. Dazu gehört auch die Wahrnehmung der Einrichtung in der lokalen Öffentlichkeit, sowohl bei Kirchengemeinden als auch im kommunalen oder städtischen Umfeld sowie in der lokalen Presse.
Die auf diese Weise aus verschiedenen Quellen erhobenen Daten müssen jeweils zum Teil zunächst transkribiert, danach nach den Regeln sozialwissenschaftlicher Forschung systematisiert und ausgewertet werden.
Damit eine zumindest gewisse Erfahrungsbreite realisiert und zugleich die Kosten in Grenzen gehalten werden können, wird der Einbezug von ca. sechs bis maximal acht Einrichtungen vorgesehen.
Laufzeit
Bei der Laufzeit ist die Überlegung maßgeblich, dass der Projektzeitraum ausreichend lange sein sollte, um die gewünschten Entwicklungen nicht nur punktuell wahrnehmen und einschätzen zu können. Zugleich sollte er überschaubar bleiben, damit entsprechende Entscheidungen in absehbarer Zeit vorbereitet werden können. Daher ist eine Laufzeit von 3 Jahren vorgesehen.
Leitung und Mitarbeitende
Prof. Dr. Dr. h.c. em. Friedrich Schweitzer, Evangelisch-Theologische Fakultät der Universität Tübingen
Diakonin MA Carolin Gähler
Pfarrerin Annett Bräunlich-Comtesse
Studentische Mitarbeiter:innen (Clara Fritsch, Friederike Hinderer, Lea Trugenberger)
Die wissenschaftliche Begleitung ist als selbstständiges Vorhaben dem Evangelischen Institut für Berufsorientierte Religionspädagogik (EIBOR), Universität Tübingen assoziiert.
Stellenausschreibungen
An verschiedenen Standorten sind noch Stellen zu besetzen, vorzugsweise durch muslimische Fachkräfte. Bei Interesse kontaktieren Sie bitte Frau Pfarrerin Annett Bräunlich-Comtesse (Annett.Braeunlich-Comtessespam prevention@uni-tuebingen.de).