Institut für Kriminologie

Im Rahmen der Fallbesprechung Strafrecht I im Sommersemester 2006 von Wolfgang Stegmaier (Lehrstuhl Prof. Dr. Kinzig) fand am 20. Juni eine Exkursion nach München statt. Auf dem Programm standen der Besuch einer Sitzung der 1. Strafkammer des Landgerichtes München I, eine Führung rund um den Justizpalast München und ein Gespräch über die Auflösung des Bayerischen Obersten Landesgerichtes mit Herrn Sprau und Herrn Bodenschatz.

 

Um fünf Uhr morgens, bzw. für manche noch mitten in der Nacht, begaben sich also 7 Erstsemestler und 8 Zweitsemestler, die ebenfalls an der Exkursion teilnehmen durften, mit Wolfgang Stegmaier auf den Weg nach München. Zum Glück fanden alle den Weg zum Strafjustizzentrum in der Nymphenburger Straße in München, wo wir zwar nicht im dortigen Parkhaus, aber immerhin auf dem geschotterten Parkplatz nebenan – gratis – parken konnten.

 

Nach einer kurzen Einführung durch Herrn VorsRiLG Götzl begann die Verhandlung der 1. Strafkammer (Schwurgericht) beim LG München I. Die Anklageschrift lautete auf Diebstahl in 18 Fällen sowie auf versuchten Mord. Zugegen war auch eine Dolmetscherin, da der Angeklagte Pole war und nicht über genügende Deutschkenntnisse verfügte. Die Anklage sei in aller Kürze geschildert: Der Angeklagte reiste aus Polen mehrmals mit einem Omnibus-Reiseunternehmen nach München, um dort nachts in parkende Autos einzubrechen und die Autoradios zu entwenden. Hierbei wurde er von einem der Geschädigten überrascht und stach diesem mit einem Messer, das er vermutlich in allen Fällen bei sich getragen hatte, in die Magengegend. Da der Angeklagte schon mehrmals, sowohl in Polen als auch in Deutschland, wegen Diebstahls zu Freiheitsstrafen verurteilt worden war, hatte das Gericht über eine mögliche, an die Freiheitsstrafe anknüpfende, Sicherungsverwahrung zu entscheiden. Um dieser, wenn möglich, zu entgehen, gestand der Angeklagte so gut wie alles, sogar das Mordmerkmal der Heimtücke – nicht jedoch die Verwirklichung eines weiteren Mordmerkmales, nämlich der Verdeckungsabsicht. Denn sollte diese auch im Urteil festgestellt werden, so wäre die Sicherungsverwahrung kaum mehr abwendbar, erklärte uns der Verteidiger in einer Zwischenpause. Ansonsten konnte oder wollte der Angeklagte jedoch zu seinem bisherigen Lebensverlauf keine genauen Angaben machen.

 

Sein Fazit hinsichtlich der Anklage war, daß er es einsähe, daß Klauen Unrecht sei; deswegen wolle er nun nicht mehr selbst stehlen, sondern die von anderen gestohlene Ware nur noch weiterverkaufen. Ansonsten könne er sich an nichts mehr erinnern. Daß auch das Weiterverkaufen gestohlener Ware unter strafrechtlichen Gesichtspunkten interessant ist, blieb dem Angeklagten wohl verborgen – wie sehr sind dagegen doch die Glücklichen im Vorteil, die eine Fallbesprechung hören dürfen!

 

Das Urteil lautete schließlich auf Freiheitsstrafe von zwölf Jahren; eine Sicherungsverwahrung wurde nicht verhängt.

 

Nach einer Stärkung in der Kantine des Strafjustizzentrums trafen wir uns mit der Kunsthistorikerin Winifred Cichon, die uns dann sicher, stets im Schatten, um der heißen Mittagssonne zu entkommen, bis zum Justizpalast führte. Den Weg von nur einer Straßenbahnstation vom Strafjustizzentrum bis zum Justizpalast bewältigten wir mit der Straßenbahn. Einigen der Exkursionsteilnehmer sei in diesem Zusammenhang allerdings eine vertiefende Lektüre des § 265a StGB empfohlen.

 

Die Führung durch Frau Cichon begann dann auf der Ostseite des Justizpalastes. Der Justizpalast gehört zu den herausragenden Sehenswürdigkeiten Münchens. Er wurde in siebenjähriger Bauzeit von dem Architekten Friedrich von Thiersch (1852–1921) im neubarocken Stil errichtet und am 10. Mai 1897 von Prinzregent Luitpold und dem damaligen Bayerischen Justizminister von Leonrod seiner Bestimmung übergeben. Heute befindet sich im Justizpalast das Bayerische Staatsministerium der Justiz und es finden die Verhandlungen des OLG München in Zivilsachen dort statt. Wir durften sogar das Büro von Ministerialdirektor Hans-Werner Klotz, dem Amtschef des Justizministeriums besichtigen, in dem sich wertvolle alte Deckengemälde befinden.

 

Nach einer kurzen Pause bekamen wir einen exklusiven Vortrag von Herrn Sprau, dem Vizepräsidenten des Bayerischen Obersten Landesgerichts, und Herrn Bodenschatz, dem Geschäftsleiter dieses Gerichts. Das Bayerische Oberste Landesgericht zählte zu den ältesten gerichtlichen Institutionen in Deutschland. Seine Geschichte begann am 17. April 1625 mit der Gründung des Revisoriums durch Kurfürst Maximilian I. Am 16. Mai 1620 hatte Kaiser Ferdinand II. Bayern das „privilegium de non appellando illimitatum“ verliehen. Damit erhielt Bayern für sein gesamtes Territorium die höchste und ausschließliche Rechtsprechungsgewalt. Das Revisorium trat in Bayern an die Stelle des Reichskammergerichts und entschied als letzte gerichtliche Instanz über das neugeschaffene Rechtsmittel des „beneficium revisionis“. Der Bayerische Landtag beschloß am 20. 10. 2004 die Auflösung des Gerichts mit Wirkung zum 1. 7. 2006. Herr Sprau und Herr Bodenschatz berichteten uns in sehr anschaulichen und interessanten Worten über die Arbeit des Gerichts sowie über die Hintergründe seiner Auflösung und den damit verbundenen rechtlichen und organisatorischen Fragen aus eigener Betroffenheit.

 

Da auch die Mitarbeiter des Justizpalastes Fußballfans sind, hatten wir die Möglichkeit, noch fast pünktlich das Spiel Deutschland–Ecuador im ehemaligen Schwurgerichtssaal des Justizpalastes zu verfolgen. Heute eigentlich großer Verhandlungssaal des Bayerischen Staatsgerichtshofes, war die Richterbank ganz in die deutschen Nationalfarben gehüllt, und mittels dem für Videokonferenzen bestimmten digitalen Projektionsapparat wurde eine ansehnliche Großbildstelle geschaffen. Die Kantine stellte zur weiteren Hebung der Stimmung einen Kasten Sprudel bereit.

 

Mit Beginn der Halbzeitpause war der offizielle Teil der Exkursion beendet. Die Fußballbegeisterten unter uns sahen die zweite Halbzeit in einem Restaurant, während andere Münchens Innenstadt erkundeten. Pünktlich nach Ende des erfolgreichen Spiels trafen wir uns wiederum vor dem Justizpalast und bekamen noch spontan eine Stadtführung von Herrn Bodenschatz, die dann schließlich im Englischen Garten endete. Dort stärkten wir uns landestypisch mit Riesenbrezeln und Weizenbier, um danach noch die Begegnung Schweden–England auf einer Großbildleinwand vor dem Chinesischen Turm zu sehen.

 

Gegen 23 Uhr brachen wir zu einem „Münchenmarathon“ in Richtung Parkplatz auf. Um München noch bei Nacht zu erleben, verzichteten wir diesmal auf die Straßenbahn. Belohnt wurden wir unter anderem mit dem sehr repräsentativen Königsplatz und der dortigen Staatlichen Antikensammlung bei Nacht, allerdings leider nur von außen.

 

So gegen 3 Uhr nachts trafen wir nach 22stündiger Exkursion alle wieder in Tübingen ein. Den Tag danach nutzten die meisten, um ihren Muskelkater und die Blasen auszukurieren und eben auch dazu, die gewonnenen Eindrücke zu verarbeiten.

 

Insgesamt war es eine sehr gelungene Exkursion, die nicht nur äußerst informativ war, sondern uns allen auch viel Spaß gemacht hat.

 

Mirjam Lubrich