Institut für Soziologie

Erzeuger, Spender, Vater werden – Varianten männlicher Elternschaft in Fortpflanzungskonstellationen

Alltagsweltlich gehen wir oft selbstverständlich davon aus, dass beim Kinderkriegen aus ‚Paaren‘ ‚Eltern‘ und ‚Familien‘ werden. Das mag der empirisch häufigste und kulturell dominante Fall sein, die gelebte Realität des Kinderkriegens bildet es längst nicht mehr vollständig ab. Die sozialen Arrangements, in denen Menschen Kinder kriegen, haben sich längst vervielfältigt und reichen von der Singlemutterschaft mit Samenspende, über gleichgeschlechtliche Konstellationen unter Beteiligung Dritter, bis hin zu postromantischen Co-Parenting-Projekten mit zwei oder mehr Gründungsmitgliedern. In solchen Konstellationen ist Elternschaft oft ein deutungsoffenes Konzept, das mehr oder weniger Teilnehmer als die Paardyade einschließen kann und unterschiedliche Formen der Beziehung zum (werdenden) Kind umfasst, die sich mit der einfachen alltagsweltlichen Unterscheidung von Eltern/Nicht-Eltern nicht gut fassen lassen. Man denke nur an den „Sponkel“ – wie ein Samenspender mit ‚Onkelfunktion‘ in queeren Konstellationen manchmal genannt wird (Dionisius, 2021), – oder an den im Kontext von Singleschwangerschaften und den Diskursen um das „Recht auf das Wissen über die eigene Abstammung“ auftauchende (Sehnsuchts-)Figur des „Spendervaters“. In meiner Dissertation nehme ich die Hervorbringung von Varianten männlicher Elternschaft als kontingente Herstellungsleistung am Fall von (werdenden) Vätern in Heteropaarbeziehungen, Co-Elternschaftsarrangements sowie von privaten Mehrfachsamenspendern in den Blick. Denn angesichts der „Feminisierung „ (Müller & Zillien, 2016) bzw. Gynisierung (Hirschauer, 2019) des Kinderkriegens werden auch im Fall paardyadischer Schwangerschaften zum Teil randständige Vaterschaftspositionen hervorgebracht bzw. ist kulturell eine größere Bandbreite an möglichen Väterfiguren denkbar. Umgekehrt begünstigt womöglich gerade auch die losere Bindung von Männern an ‚ihre‘ Kinder und Elternschaft, die Entstehung und identitäre Besetzung solcher Figuren, wie die des „Spendervaters“. Anhand von Paar- und Einzelinterviews, die ich mit den Teilnehmenden im Verlauf ihres Kinderkriegens geführt habe, sowie anhand von ethnografischen Protokollen, zeichne ich aus einer interaktionistisch-praxeologischen Perspektive nach, wie im Prozess des Kinderkriegens unterschiedliche Formen von Zugehörigkeit – zum Kind und zu den anderen Teilnehmern der Fortpflanzungskonstellationen – hervorgebracht und im Beziehungsgefügen der Fortpflanzungskonstellation sozial signifikant gemacht werden und so unterschiedliche Modi der Vaterschaft hergestellt werden.
 

Literatur:
Dionisius, S. C. (2021). Queere Praktiken der Reproduktion: Wie lesbische und queere Paare Familie, Verwandtschaft und Geschlecht gestalten. Transcript.
Hirschauer, S. (2019). Mein Bauch gehört uns. Gynisierung und Symmetrisierung der Elternschaft bei schwangeren Paaren. Zeitschrift für Soziologie, 48(1), 6–22.
Müller, M., & Zillien, N. (2016). Das Rätsel der Retraditionalisierung – Zur Verweiblichung von Elternschaft in Geburtsvorbereitungskursen. Kölner Zeitschrift für Soziologie und Sozialpsychologie, 68(3), 409–433.
 

Literatur

Heitzmann, D., 2017: Fortpflanzung und Geschlecht: zur Konstruktion und Kategorisierung der generativen Praxis. Bielefeld: Transcript.
Hirschauer, S., 2019: Mein Bauch gehört uns. Gynisierung und Symmetrisierung der Elternschaft bei schwangeren Paaren. Zeitschrift für Soziologie 48: 6 – 22.
Hirschauer, S., B. Heimerl, A. Hoffman & P. Hofmann, 2014: Soziologie der Schwangerschaft: Explorationen pränataler Sozialität. Stuttgart: Lucius & Lucius.
Müller, M. & N. Zillien, 2016: Das Rätsel der Retraditionalisierung – Zur Verweiblichung von Elternschaft in Geburtsvorbereitungskursen / The feminization of parenthood: about the traditionalizing effects of prenatal classes. Kölner Zeitschrift für Soziologie und Sozialpsychologie 68: 409–433.
Rose, L., 2017: Väter bei der Geburt – ein Witz? S. 115–128 in: S. Heimgartner & S. Sauer-Kretschmer (Hrsg.), Erfüllte Körper. Inszenierungen von Schwangerschaft. Paderborn: Fink.
Schadler, C., 2013: Vater, Mutter, Kind werden: Eine posthumanistische Ethnographie der Schwangerschaft. Bielefeld: Transcript.
Seehaus, R. & L. Rose, 2015: Formierung von Vaterschaft-ethnografische Befunde aus Institutionen der Natalität. Gender: Zeitschrift für Geschlecht, Kultur und Gesellschaft 7: 93–108.

Weitere Infos und Kontakt

Laura Völkle, M.A. Soziologie

Eberhard Karls Universität Tübingen
Zentrum für Gender- und Diversitätsforschung
Brunnenstr. 30
72074 Tübingen

E-Mail: laura.voelklespam prevention@uni-tuebingen.de

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