Uni-Tübingen

A 01: Ressourcen und die Herausbildung von Ungleichheit. Rohstoffe und Kommunikationssysteme im prähistorischen Südosteuropa

Projektleitung: Prof. Dr. Ernst Pernicka, PD Dr. Raiko Krauß

Mitarbeiter/innen: Petru Ciocani, Dr. René Kunze
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Zusammenfassung

Die wichtigste Verbindungsroute von Vorderasien und der Ägäis nach Mitteleuropa führte über das südöstliche Europa. Darüber hinaus gibt es auch Fernkontakte zwischen den Gemeinschaften in den nordpontischen Steppenlandschaften und Mitteleuropa. Deren Lage am Schnittpunkt verschiedener Großregionen und Kulturräume könnte ein Grund für Entwicklungen sein, die in die Herausbildung von komplexen Gesellschaften mit strukturierten Siedlungen und reichen Bestattungen bereits während der Kupferzeit (5. Jt. v. Chr.) besonders entlang der Schwarzmeerküste mündeten. Das Teilprojekt hat zum Ziel, den Umgang mit Ressourcen in diesem Großraum über lange Zeiträume zu verfolgen. Dafür sollen diachron die sozio-kulturellen Dynamiken prähistorischer Gesellschaften in zwei Beispielregionen vergleichend untersucht werden. Ausgewählt wurden dafür Regionen, deren Rohstoffangebot sehr unterschiedlich ist. Es ist zum einen die mit mineralischen und biogenen Rohstoffen (z. B. Metalle, Feuerstein, Salz und Molluskenschalen) sehr reich ausgestattete Region des Ostbalkanraumes (Fallstudie 1) und zum anderen die über keine nennenswerten Rohstoffe, dafür aber sehr fruchtbare Böden verfügende Steppenlandschaft des Banat im Karpatenbecken (Ausführliche Informationen zur Fallstudie 2 finden Sie hier). Der chronologische Rahmen spannt sich vom Beginn der Sesshaftigkeit um 6000 v. Chr. bis zum ersten vorchristlichen Jahrtausend. In der ersten Förderphase werden innerhalb dieser Zeitspanne Entwicklungen des Umgangs mit Ressourcen während des ältesten Abschnitts bis zum Beginn der Frühbronzezeit an der Wende vom 4. zum 3. Jt. v. Chr. in den Blick genommen.

Wissenschaftliche Ziele

Das Ressourcenkonzept des SFBs soll auf folgende, eng miteinander verbundene Fragestellungen angewandt und anhand des Befundbildes in den Arbeitsgebieten reflektiert werden:

Es soll untersucht werden, ob sich die Ressourcennutzung menschlicher Gemeinschaften im Laufe der Zeit verändert hat und wenn ja, welche Mechanismen dafür verantwortlich sind. Im Fokus stehen dabei zunächst klassische Umbruchsphasen wie der Übergang von der aneignenden zur produzierenden Lebensweise um 6000 v. Chr. und das Ende der prosperierenden Gemeinschaften der Kupferzeit im Balkanraum um 4000 v. Chr. und im Karpatenbecken um 3000 v. Chr.

Das Teilprojekt möchte weiterhin hinterfragen, inwieweit über große Distanzen nachweisbarer Güteraustausch, ein damit im Zusammenhang stehender Transfer technologischer, wirtschaftlicher und kultureller Innovationen sowie eine verstärkte Nutzung von Rohstoffen wie etwa Kupfer, Gold und Salz im Sinne eines ,Ressourcenkomplexes‘ ursächlich für die Herausbildung von sozialer Ungleichheit sind. Es soll untersucht werden, ob die genannten natürlichen Voraussetzungen als Ressourcen genutzt wurden und inwiefern dadurch die für lange Zeit nur in dieser Region Europas nachweisbare soziale und kulturelle Differenzierung zu erklären ist.

Die diachrone Perspektive richtet sich schließlich auch auf die Veränderungen am Ende des 5. Jt. v. Chr., mit denen eine zuvor greifbare soziale Hierarchisierung wieder verschwand. Im Vergleich zu der etwas jüngeren Entwicklung im Vorderen Orient (Teilprojekte A 02–05) versprechen wir uns Antworten auf die Frage, warum die kulturelle Entwicklung im Südosteuropa des 5. Jt. v. Chr. gerade nicht zur Entstehung eines Staates führte. Als Staat verstehen wir dabei eine Institution, welche Kontrolle über ein Territorium und die darin lebende Bevölkerung über spezialisierte Machtinstrumente ausübt (Maisels 2001, 220–231). Diese können militärischer, verwaltungstechnischer, jurisdiktiver oder ideologischer Natur sein (vgl. auch Engels 1884; Breuer 1990).

Es fällt auf, dass die an mineralischen Rohstoffen arme Region des Banats über lange Zeiträume eine kontinuierlichere Entwicklung aufweist als diejenige in den rohstoffreicheren Gebieten. Damit stellt sich auch die Frage, ob und wie der beschränkte Zugang menschlicher Gemeinschaften zu Rohstoffen sich auf deren Entwicklungsdynamiken auswirkt. Berührt wird damit der im SFB ebenfalls zu untersuchende Aspekt des ,Fluchs der Ressourcen‘ (curse of resources), der nach Erklärungen sucht, warum sich Regionen mit reichen Vorkommen an Rohstoffen oft schlechter entwickeln als solche mit beschränktem Zugang zu Ressourcen.

Langfristige Planung

Die in der ersten Förderphase gesetzte Grenze zu Beginn des 3. Jt. v. Chr. begründet sich durch eine historische Zäsur am Beginn der Frühbronzezeit, nach der die Region in die Rolle eines reinen Abnehmers von Rohstoffen aus der Ägäis gerät. Dieses Verhältnis zwischen dem Balkanraum und den südlich angrenzenden Gebieten wird vor allem in historischer Zeit greifbar durch die Wechselbeziehungen der Griechen mit den nördlich lebenden Gesellschaften. In Förderphase 2 und 3 soll schließlich die weitere Entwicklung, vom Ende der kupferzeitlichen Kulturen bis zum Beginn der griechischen Kolonisation im Schwarzmeerraum im 1. Jt. v. Chr. in den Blick genommen werden. Wir versprechen uns von den Untersuchungen allgemeine Erkenntnisse zum Verhältnis von Ressourcennutzung, soziokultureller Entwicklung und verkehrsgeographischer Lage und damit auch zum Verständnis von Praktiken der Kontrolle von Landschaft, Verkehrswegen sowie Austauschnetzwerken und deren Rolle als Ressourcen in technologischen, ökonomischen und soziokulturellen Wandlungsprozessen prähistorischer Gemeinschaften. Die hier behandelten Fallstudien und Phänomene können somit zur Modellbildung im SFB beitragen und helfen, das gemeinsame Ressourcenkonzept weiterzuentwickeln und um historische Facetten zu ergänzen. Herausragendes Merkmal dieses Teilprojektes ist die große zeitliche Tiefe der Untersuchung, die in der ersten Förderphase einen Zeitraum von insgesamt etwa 3000 Jahren und insgesamt fast 7000 Jahre in den Blick nimmt. Die besondere Bedeutung der ausgewählten Beispielregionen liegt in ihren jeweils sehr unterschiedlichen naturräumlichen Voraussetzungen.

Während im Ostbalkanraum Rohstoffe in reichem Maße vorhanden sind verfügt das Banat über so gut wie keine. Die geographische Nähe beider Landschaften zueinander und die Fokussierung auf den gleichen Zeitabschnitt ermöglicht eine Vergleichbarkeit, sodass die Ergebnisse im Idealfall auch für weitere Regionen Südosteuropas relevant sein können. In der Kontrastierung zeigen die zwei Fallstudien die verschiedenen Entwicklungsmöglichkeiten von Siedlungssystemen auf.


Die Rechte der auf dieser Seite verwendeten Bilder liegen beim SFB 1070, Teilprojekt A 01.

Film über das letzte A 01-Projekt

Ein kurzer Film berichtet über das letzte A 01-Projekt rund um das Team von Dr. Raiko Krauß. Das Projekt "Ressourcen und die Herausbildung von Ungleichheit" beschäftigt sich mit der Frage, wann sich die bäuerliche Lebensweise mit Ackerbau und Viehzucht in Europa durchgesetzt hat.