Uni-Tübingen

C 03: Ressourcen und die Formierung von Gesellschaften, Siedlungsräumen und kulturellen Identitäten der italischen Halbinsel im ersten vorchristlichen Jahrtausend

Projektleitung: Prof. Dr. Thomas Schäfer
Wissenschaftlicher Mitarbeiter: Dr. Beat Schweizer
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Zusammenfassung

Üblicherweise gelten die Erzvorkommen Mittelitaliens, aber auch Sardiniens sowie das fruchtbare Ackerland des ‚Magna Graecia‛ genannten Süditalien als zentrale Faktoren großräumiger Migrationen, so genannter ‚Kolonisationen’ oder ‚Dekolonisationen‘ des 1. Jt. v. Chr. Sozio-kulturelle Dynamiken um Besiedlungsprozesse werden dabei relativ unvermittelt auf Rohstoffe sowie Boden zurückgeführt, der gesellschaftliche und kulturelle Wandel der Frühgeschichte Italiens meist eindimensional erklärt: als ‚Orientalisierung’ oder ‚Hellenisierung’, im Sinne der Gegenbewegungen von Seiten etwa der Kampaner und Lukaner oder aber einer ‚Romanisierung‘.

 

Das Teilprojekt zielt auf ein alternatives, auf dem weiten Ressourcenbegriff des SFB basierendes Bild der Zusammenhänge von Besiedlungsprozessen und der Formierung von Gesellschaften und kulturellen Identitäten auf der italischen Halbinsel und damit auf einen innovativen Zugriff auf Phänomene der Besiedlung, des Kulturkontakts und des sozialen und kulturellen Wandels. Exemplarisch herangezogen und vergleichend betrachtet werden sollen dafür einerseits der Raum an dem von etruskischen Städten dominierten Tyrrhenischen Meer und andererseits die ‚Magna Graecia‘, also der Raum der griechischen Ansiedlungen im Süden der Halbinsel inklusive des jeweiligen Hinterlandes. Dabei soll zunächst die Zeit zwischen dem 8. und der 1. Hälfte des 5. Jh. v. Chr. im Vordergrund stehen, in späteren Förderphasen die Zeiträume grundlegender Neuformationen der sozio-politischen Landkarte vom 4. zum 3. Jh. v. Chr. sowie dann der hellenistischen Zeit als der Zeit der Eingliederung der italischen Halbinsel in den Machtbereich Roms.

Wissenschaftliche Ziele

Basis und Ansatzpunkt für die vergleichenden Untersuchungen zu diesen Regionen, aber auch innerhalb der genannten Regionen, bildet der für das Konzept des SFB zentrale Aspekt der Ressource als gesellschaftliches und kulturelles Konstrukt. Rohstoffe, Tiere und Pflanzen sowie Umwelten mit ihren jeweiligen materiellen Gegebenheiten, aber auch Dinge, monumentale Räume und Landschaften werden erst im Rahmen spezifischer kultureller Bewertungen und Handlungsfelder zu Ressourcen.


Hervorzuheben sind für die Ziele des Teilprojekts in der ersten Förderphase zwei Aspekte des Ressourcenbegriffs des SFB:


Ressourcen werden im SFB als Grundlage oder Mittel der Bildung, Aufrechterhaltung und Veränderung von sozialen Gruppen und Gesellschaften im Rahmen menschlicher Interaktion verstanden. Zentrales Ziel der ersten Förderphase ist es, auf der Basis archäologischer, aber auch historischer Quellen ein differenziertes Bild der Siedlungsräume als Interaktionsräume zu erstellen, das den Unterschieden der komplexen kulturellen und ethnischen Situation der 1. Hälfte des 1. Jt. v. Chr., aber auch den überregionalen, auch mediterranen Gemeinsamkeiten gerecht werden soll. Im Fokus stehen die Siedlungen und Siedlungsräume zweier historisch bedeutender Regionen der italischen Halbinsel als Ziele oder Sammelbecken fremder Personen und Personengruppen und als Orte und Räume kultureller Interaktion und Konstruktion kultureller Identität. Zu erschließen sind in vergleichender Perspektive die Veränderungen des relationalen Geflechts dieser Interaktionsräume über eine diachrone Analyse der Struktur der Besiedlungsräume: Siedlungszentren, Heiligtümer und Nekropolen sind die zentralen öffentlichen Räume, in denen Bewertungen von Ressourcen ausgehandelt wurden, die daher auch selbst zu Ressourcen werden konnten.

Im Teilprojekt wird – darin der Forschung folgend – vorausgesetzt, dass Erze und Metalle sowie landwirtschaftlich nutzbarer Boden für die Akteure grundlegende Bedeutung als Ressourcen, als Mittel der Konstruktion zentraler sozialer Praktiken und Ordnungssysteme hatten. Eine Analyse dieser für den SFB zentralen Dimension der Ressource kann aus archäologischer Sicht über Ressourcenkomplexe erfolgen. Diese reichen von den Rohstoffen und Umwelten inklusive des Wissens und der Techniken ihrer Erschließung über gestaltete Objekte und monumentale Strukturen bis hin zu den über Zirkulation und im Rahmen von Konsum und Riten geschaffenen Ordnungen und Repräsentationen. Ressourcenkomplexe im Sinne des SFB eröffnen so auch über archäologische Kontexte die Möglichkeit der Analyse sozio-kultureller Dynamiken um symbolische Ordnungen, Repräsentationen und Bewertungen von Ressourcen. Das Teilprojekt ist auf Ressourcenkomplexe um Metalle sowie um die Landwirtschaft konzentriert, in der ersten Förderphase jedoch auf das den Rohstoffen und Umwelten entgegengesetzte Ende des Spektrums in Ressourcenkomplexen ausgerichtet. Aus archäologischer Sicht können die unter den zentralen Quellengruppen – Siedlung, Heiligtum, Grab – erfassten Befunde, z. B. Cerveteri oder Metapont, die Heiligtümer von Gravisca oder Lokroi Epizephyrioi und die ‚Fürstengräber‘ von Vetulonia oder Pontecagnano, als Dokumente entsprechender Bedeutungszuschreibungen gelten. Kontextuelle Archäologie wird als Methode angewandt, um Siedlungsräume, Nekropolen und Heiligtümer als Räume intentionaler Niederlegungen oder als räumliche Ordnungen von Dingen und Bildern in diachroner und vergleichender Perspektive zu untersuchen.

Langfristige Planung

Dieser auf Artefakte, Monumente und gestaltete Räume, also auf ‚intentionale Daten’ bezogene Ansatz soll in der ersten Förderphase anhand publizierten Materials exemplarisch für die Zeit zwischen vor allem dem 8. und dem frühen 5. Jh. v. Chr. bearbeitet, später für die genannten klassischen und hellenistischen Zeiträume weiter verfolgt werden. In späteren Förderphasen sollen daneben für das Erz Mittelitaliens bzw. den Boden Süditaliens über die Heranziehung archäometallurgischer und archäobotanischer bzw. pedologischer Untersuchungen aber auch die Rohstoffe und Umwelten in den Blick kommen, um den Reflexionen und kulturellen Konstruktionen die anhand von Überresten rekonstruierten Lebensbedingungen gegenüberzustellen.

Bedeutung des Teilprojekts für den SFB

Eingebracht werden zentrale historische und archäologische Forschungsfelder der Frühgeschichte der italischen Halbinsel, in denen Metalle und Boden als Ressourcen im traditionellen Sinn der Rohstoffe eine wichtige erklärende Rolle spielen. Innerhalb des SFB können Ergebnisse des archäologischen Projekts als Bausteine des Vergleichs von Prozessen um Ressourcen dienen, dem Projektbereich entsprechend vor allem in Bezug auf Ressourcen als symbolisches Kapital sozialer Gruppen und damit auch auf die Materialität und Medialität der Konstruktion der Ordnungen, Repräsentationen und Bewertungen von Ressourcen.


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