Ökonometrische Modellierung von Marktprozessen in Handelssystemen mit offenem Orderbuch: Methodenentwicklung und vergleichende Marktanalysen (Fortsetzung)
Weltweit ist eine wachsende Zahl von Handelsplätzen für Finanzanlagen, Rohstoffe und Energie in der Marktform ,,Offenes Orderbuch'' organisiert. In diesen Märkten werden Angebot und Nachfrage ohne Kursmakler zusammengeführt. Das Liquiditätsangebot wird vielmehr von geduldigen Marktteilnehmern bereit gestellt, die preislimitierte und nicht sofort ausführbare Kauf- und Verkaufsaufträge (Limit-Order) aufgeben. Das Handelssystem ordnet diese nach Bester-Preis- und Zeitpriorität-Regeln in das Limit-Orderbuch ein, das den Marktteilnehmern in Echtzeit offengelegt wird.
Marktteilnehmer, die Sofortigkeit wünschen, können ihre Aufträge gegen das Limit-Orderbuch ausführen. Der Wunsch, das Zusammenspiel von Liquiditätsnachfrage und -angebot in einer solchen Marktstruktur zu verstehen, hat eine umfangreiche internationale Forschungstätigkeit angeregt.
Allerdings sind viele methodische Probleme noch ungelöst und interessante empirische Fragestellungen unbearbeitet. So erlauben die entwickelten ökonometrischen Methoden eine Quantifizierung der Markteffizienz eines Offenen Orderbuchmarktes und die Messung von asymmetrischen Informationseffekten. Ein Vergleich wichtiger (internationaler) Handelsplätze unter diesem Kriterium wurde jedoch noch nicht vorgenommen. Konfrontiert man die Theorie mit den Daten, gibt es zwar Evidenz für die Erklärungskraft von Theorien Offener Orderbuchmärkte, es werden allerdings auch stilisierte Fakten beobachtet, die mit der Theorie nicht vereinbar sind. Eine verbesserte Berücksichtigung von Eigenschaften realer Oderbuchmärkte bei der Modellierung ist daher angezeigt. So erlaubt fast jedes Handelssystem das Verstecken von Liquidität (hidden oder dark liquidity). Dies wurde in der theoretischen Modellierung bislang überhaupt nicht, in der ökonometrischen Modellierung nur ansatzweise berücksichtigt. Eine neue Fragestellung ist auch die Evaluation der Wertschöpfung von so genannten designierten Sponsoren, die in einigen Märkten zusätzliche Liquidität zur Verfügung stellen. Auch ist die Diskussion über die geeignete ökonometrische Modellierung von Prozessen auf Offenen Orderbuchmärkten in vollem Gange.
In der zweiten Projektphase sollen weitere methodische und inhaltliche Beiträge zur Analyse von Marktprozessen auf offenen Orderbuchmärkten geliefert werden. Ein Projektmodul hat die Analyse des Zusammenspiels von Liquiditätsangebot im offenen Orderbuch und dedizierten Liquiditätsanbietern zum Inhalt.
Die Effizienz des hybriden Handelssystems der New York Stock Exchange soll mit einen reinen Orderbuch-System (Xetra) verglichen werden. Weiterhin soll die Bedeutung versteckter Liquidität untersucht werden. Die in der ersten Projektphase erstellte Datenbasis und das erarbeitete Know-How eröffnen hier neue Analysemöglichkeiten. Die Projektergebnisse sollen zum besseren Verständnis von Handelsprozessen auf Offenen Orderbuchmärkten und, daraus folgend, wissenschaftlich begründetem, verbessertem Marktdesign beitragen.