Ökonometrische Modellierung von Marktprozessen in Handelssystemen mit offenem Orderbuch: Methodenentwicklung und vergleichende Marktanalysen
Zehn Jahre nachdem Glosten im Titel seines 1994 im Journal of Finance erschienenen Artikels fragte ,,Is the electronic order book inevitable?'' ist die Antwort, zumindest, wenn man den Blick auf die wichtigsten kontinentaleuropäischen Handelssysteme für Finanzanlagen richtet, eindeutig. Die Marktprozesse auf virtuellen Handelsplätzen wie Euronext oder Xetra sind im Wesentlichen so organisiert, wie es Glostens theoretisches Modell beschreibt. Die Frage nach der Fragilität oder Widerstandsfähigkeit solcher Handelssysteme, deren wesentliches Merkmal der Verzicht auf dedizierte Liquiditätsanbieter ist, ist für Finanzmarkt-Regulatoren, für die Betreiber der Handelssysteme und vor allem für private und institutionelle Investoren von entscheidender Bedeutung. Das Lebenselixier eines Finanzmarktes, ein gutes Liquiditätsangebot, fließt in dieser Marktstruktur nur aufgrund freiwilliger Entscheidungen von Marktteilnehmern und versiegt, wenn es für die Liquiditätsanbieter rational ist, dem Markt fern zu bleiben. Bliebe dieses freiwillige Liquiditätsangebot aus, so würde der Markt zusammenbrechen. Das Debakel des LTCM Hedge-Fonds, das vor einigen Jahren das internationale Finanzsystem erschütterte, hat die gesamtwirtschaftliche Bedeutung eines liquiden Handelsplatzes für Finanzanlagen deutlich gemacht. Es verwundert daher nicht, daß in der letzten Dekade viele theoretische und empirische Studien veröffentlicht wurden, die sich mit der Analyse und der Modellierung von Marktprozessen auf automatisierten Handelssystemen mit offenem Orderbuch beschäftigen.
Dieses Projekt hat die Weiterentwicklung ökonometrischer Ansätze zur Modellierung der in diesen Handelssystemen stattfindenden Marktprozesse zum Ziel. Auf dieser methodischen Basis werden international vergleichende Analysen der Markteffizienz und –qualität durchgeführt. Es sollen sowohl akademisch originäre Beiträge geliefert als auch praktische Fragestellungen der Gestaltung und Regulierung von Marktprozessen untersucht werden. Das Arbeitsprogramm gliedert sich in vier inhaltliche Projektmodule mit methodischen und anwendungsorientierten Inhalten. Ein weiteres Modul hat die Erstellung der Projektdatenbank zum Inhalt. Im ersten Projektmodul steht die Weiterentwicklung von theoriebasierten ökonometrischen Ansätzen zur Modellierung von Preisprozessen in offenen Orderbuchmärkten im Mittelpunkt. Im zweiten Projektmodul sollen geeignete statische Ansätze zur Modellierung der Daten generierenden Prozesse in Märkten mit offenem Orderbuch entwickelt und beurteilt werden, wobei sich die Theorienähe zu Gunsten einer flexibleren Modellierung der datengenerierenden Prozesse verschiebt. Im anwendungsorientierten Projektmodul drei verwenden wir die entwickelten methodischen Ansätze und analysieren Marktqualität und adverse Selektionseffekte auf dem Handelssystem Xetra. Projektmodul vier hat einen Vergleich der Marktqualität und Markteffizienz zwischen dem für kontinentaleuropäischen Handelsplätze typischen offenen Orderbuchsystem Xetra mit dem traditionellen hybriden Handelssystem der New York Stock Exchange zum Ziel.
Viele Punkte des Arbeitsprogramms haben praktische Implikationen für Marktdesign und Marktregulation. Diese sollen im Rahmen des Wissens- und Erkenntnistransfers an die Betreiber von Handelssystemen und Wertpapieraufsicht (wie Deutsche Börse AG und BaFin) kommuniziert werden. Mit der Deutschen Börse AG besteht bereits eine produktive Kooperationsvereinbarung bezüglich der Bereitstellung von Daten und Erkenntnistransfer.