Forschungsgebiete und Projekte
Forschungsgebiete
Gender und Religion im gegenwärtigen Japan
Religionen tragen durch ihre Mythen, durch Praktiken der Inklusion und Exklusion, durch ihre doktrinäre Überlieferung u.a.m. dazu bei, Gender-Zuschreibungen zu produzieren, zu legitimieren und zu verbreiten. Auch in den Religionsgemeinschaften Japans werden nicht selten konservative Rollenbilder tradiert, und Frauen sind insbesondere in Buddhismus und Shintō von bestimmten Ämtern und Praktiken ausgeschlossen. Gleichzeitig reicht die Geschichte des japanischen Feminismus mindestens bis zum Beginn des 19. Jahrhunderts zurück, und spätestens mit dem "Third Basic Plan for Gender Equality" (2010) ist die Gleichstellung der Geschlechter zum offiziellen politischen Ziel geworden. Wie schlägt sich dieser Wertewandel in den Religionen nieder? Verändern sich genderdiskriminierende institutionelle Strukturen und doktrinäre Diskurse? Inwieweit ist das Selbst- und Religionsverständnis religiöser Expertinnen und Experten durch Genderkonzeptionen geprägt, und wie sehen diese aus? Diese Fragen werden mit einem Schwerpunkt im gegenwärtigen Buddhismus untersucht, insbesondere am Beispiel ordinierter buddhistischer Frauen.
Medizin und Religion im gegenwärtigen Japan
In modernen, ausdifferenzierten Gesellschaften gelten Religion und Medizin als zwei Teilsysteme mit je eigener Semantik und unterschiedlichen Funktionen: religiöse Akteure zielen auf "Heil", medizinische auf "Heilung". De facto sind diese Grenzen im gegenwärtigen Japan alles andere als eindeutig: Während sich einige Religionsgemeinschaften mit eigenen Krankenhäusern im Feld der Medizin etablieren, versprechen andere Genesung im schulmedizinischen Sinn infolge religiöser Praxis oder bieten eigene Diagnose- und Therapieformen im Rahmen ihrer spezifischen Weltanschauung an. Vor diesem Hintergrund werden hier vor allem buddhistische und neureligiöse therapeutische Aktivitäten in den Blick genommen, die religiöse und medizinische Sprache, sowie den Anspruch auf Heil und Heilung miteinander verknüpfen.
Neureligionen
Die Vermittlung und individuelle Aneignung moralischer Normen sind zentrale Elemente in fast allen japanischen Neureligionen. Häufig ähnelt sich der in verschiedenen Neureligionen vermittelte Tugendkatalog, den Fujii Takeshi als "Alltags-Ethik" (seikatsu rinri) bezeichnet. Anknüpfend an die sogenannte "volkstümliche Moral" (tsūzoku dōtoku, Yasumaru Yoshio) der späten Edo-Zeit (1600-1868) vertritt diese Ethik Werte wie Selbstdisziplin, Genügsamkeit, Bescheidenheit und Fleiss. Die Besonderheit der moralischen Unterweisung in vielen Neureligionen besteht in deren individualisierter Vermittlung. Daher liegt ein Forschungsschwerpunkt in der Rekonstruktion der kommunikativen Strategien, die auf die individuelle Aneignung allgemeiner moralischer Normen zielen.
Forschungsprojekte
Geistheilung und Geistiges Heilen in Japan und der Schweiz
Projektleitung
Prof. Dr. Dorothea Lüddeckens, Universität Zürich
Prof. Dr. Monika Schrimpf, Universität Tübingen
Projektmitarbeitende
Eri Itō, Hokkaidō Universität in Sapporo, Japan
Yurina Hayashi, Hokkaidō Universität in Sapporo, Japan
Tomooko Schlüter, Hokkaidō Universität in Sapporo, Japan
Selina Bloch, Universität Zürich, Schweiz
Anne-Christine Halter, Universität Zürich, Schweiz
Projektbeschreibung
Geistiges Heilen, in der Schweiz als «Geistheilung» oder «spirituelles Heilen», in Japan z.B. als «seishin no iyashi» 精霊の癒し oder auch «supirichuaru hīringu» スピリチュアル・ヒーリング bezeichnet, zählt zu den Heilverfahren der sogenannten «Alternativen Medizin». Sowohl das Angebot als auch die Nachfrage scheint in den vergangenen 20 Jahren zugenommen zu haben.
Die Bandbreite der Konzepte von Gesundheit, Krankheit und Heilung, die von Geistheiler:innen vertreten werden, ist gross. Sie arbeiten mit «geistigen Kräften», sehen und erleben ihre Fähigkeiten in ihrer besonderen Beziehung zur Geistigen Welt, zu Energien und/oder dem Universum. Dabei handelt es sich um Fähigkeiten und Erkenntnisse, die das naturwissenschaftliche Weltbild ergänzen oder auch eine Alternative dazu darstellen.
Geistiges Heilen wird in Japan und der Schweiz besonders häufig von Frauen praktiziert. In beiden Ländern findet dies in aller Regel ausserhalb der staatlichen Gesundheitssysteme statt und ist von neueren religiösen und weltanschaulichen Bewegungen und Einflüssen geprägt.
Ziel des Projektes ist es die Perspektiven, Deutungen und Erfahrungen von Heilerinnen im Hinblick auf die gesellschaftliche und medizinische Covid-19 bedingte Situation besser zu verstehen. Ein zweiter Fokus liegt auf gender-spezifischen Aspekten. Hierfür wurden 2021-2022 in beiden Ländern 20 Leitfaden-interviews mit Heilerinnen durchgeführt, transkribiert und analysiert.
Erste Zwischenergebnisse zeigen bereits sowohl die Diversität innerhalb der Länder und kontextspezifische Differenzen zwischen Japan und der Schweiz als auch überschneidende Narrative, Deutungsmuster und Erfahrungsberichte. Ein kontextbedingter Unterschied liegt z.B. in der sehr unterschiedlichen Diffusion des Gender-Diskurses in der Schweizer und der japanischen Gesellschaft.
In den Gesprächen in beiden Ländern waren Semantik und Narrative stark von einem populärwissenschaftlichen psychotherapeutischen Diskurs geprägt. Das «Fühlen», «Gefühle» und «Intuition» spielen für die Heilerinnen eine entscheidende Rolle. Ganz ähnlich ist auch, dass fast alle sich viele verschiedene Heilverfahren angeeignet haben und meist auch praktizieren. Aus Sicht der Heilerinnen kommt es allerdings nicht in erster Linie auf eine bestimmte «Technik» an, sondern auf sie selbst, als Person mit Ihren persönlichen Fähigkeiten und der jeweils besonderen, individuellen Beziehung und ihrem spezifischen Zugang zu ihren Klientinnen. Grosser Wert wird darauf gelegt zu betonen, wie wichtig es ist, dass die Klientinnen selbst für ihre Heilung und innere Entwicklung Verantwortung mit übernehmen.
Sehr auffällig bei den Schweizer Gesprächen war, dass fast alle Heilerinnen über «Angst» und «Ängste» ihrer Klientinnen gesprochen haben. Bei den japanischen Gesprächen fiel auf, dass die Frauen betont haben, dass sie, wenn sie selbst Klientinnen sind, unterschiedlich mit Männern und Frauen sprechen können, und zwar mit Männern viel unverblümter und direkter als mit Frauen.
Als Gemeinsamkeit zeichnet sich ab, dass in beiden Ländern Vertreterinnen der Szene nicht nur im Hinblick auf ihre Konzepte und Praktiken sehr divers sind, sondern auch im Hinblick auf Ihre Einstellungen gegenüber Covid-19. Während die einen im Rahmen ihres alternativmedizinischen Weltbildes z.B. der Impfung mit Skepsis begegnen, wird sie von anderen befürwortet. Im Schweizer Kontext wird dabei besonders häufig auf das Recht der individuellen Entscheidung verwiesen, in beiden Ländern vertrauen diejenigen Heilerinnen, welche sich nicht impfen lassen möchten, vor allem auch auf ihre eigene Resilienz.