Institut für Erziehungswissenschaft

DFG-Projekt Multiprofessionelle Kooperation im Aushandlungsprozess

 

Laufzeit: 2013-2016

Finanzierung: Dieses Projekt wurde gefördert von der Deutschen Forschungsgemeinschaft (DFG)

Projektleitung: Prof. Dr. Petra Bauer

Projektmitarbeiterinnen: Patricia Keitsch, M. A. / Dipl. Päd. Katharina Harter


Projektbeschreibung:

Die Zusammenarbeit verschiedener Professionen bildet in vielen psychosozialen, medizinischen und pädagogischen Feldern inzwischen einen unhintergehbaren Standard. Mit der Forderung nach multiprofessioneller Kooperation wird versucht, der umfassenden Ausdifferenzierung von Berufsrollen, Professionen und personenbezogenen Dienstleistungsorganisationen und den komplexen Anforderungen von Problemkonstellationen in diesen Feldern eine koordinierte Bearbeitungsstrategie entgegenzusetzen.
Vor diesem Hintergrund wurde im Projekt danach gefragt, wie die einzelnen Professionsangehörigen ihre Sicht in fallbezogenen Aushandlungsprozessen zur Geltung bringen. Dabei interessierte, welche Rolle Wissensformen, Wertvorstellungen, Statuszuschreibungen dabei spielen.
Auf der Grundlage professions- und differenzierungstheoretischer Überlegungen wurde davon ausgegangen, dass sich Aushandlungsprozesse in multiprofessionellen Settings in einem doppelten Spannungsfeld entfalten:
Multiprofessionelle Zusammenarbeit konstituiert sich erstens in der Spannung zwischen der Aufrechterhaltung einer professionsspezifischen Differenz einerseits und der Notwendigkeit der Integration von Perspektiven und Bearbeitungsstrategien andererseits. In einer professionstheoretisch begründeten Sicht lässt sich multiprofessionelle Zusammenarbeit zweitens in der Spannung zwischen notwendiger Autonomie der einzelnen professionellen Akteure einerseits und wechselseitiger Abhängigkeit der Professionellen voneinander andererseits verorten.
Für das Projektvorhaben bildeten diese theoretisch begründbaren Spannungsfelder den Hintergrund, vor dem sich multiprofessionelle Zusammenarbeit als Aushandlungs-, Zuschreibungs- und Grenzziehungsprozesse entfalten.
Einen zentralen Bezugspunkt des Projekts stellte der systematische Vergleich von unterschiedlichen Sozialformen (Teams, Netzwerke) dar, die wiederum spezifische Settings der multiprofessionellen Aushandlung generieren. Diese wurden im Blick auf verschiedene, sozialpädagogisch relevante Feldern (Erziehungsberatung, Kinderschutz, Kinder- und Jugendpsychiatrie) betrachtet. Gemeinsam ist diesen Feldern, dass dort Problemstellungen von Kindern, Jugendlichen und ihren Familien bearbeitet werden.
Einen zentralen institutionellen Ort, an dem sich multiprofessionelle Zusammenarbeit in der psychosozialen, medizinischen und pädagogischen Praxis realisiert, bilden in allen organisatorischen Sozialformen formalisierte und institutionalisierte Fallbesprechungen, in denen Problemstellungen der jeweiligen AdressatInnen verhandelt werden.
Mikroanalytische Untersuchungen von Fallbesprechungen im Vergleich unterschiedlicher multiprofessioneller Settings standen daher im Zentrum des geplanten Projektes. Mit dem Begriff des Settings wurde darauf abgehoben, dass es nicht darum geht, die Zusammenarbeit in den jeweiligen Teams und Netzwerken als Ganzes zu untersuchen, sondern die hier sichtbaren fallbezogenen Aushandlungsstrategien zu fokussieren.

Leitende Fragestellungen waren:

Wie werden Differenzen in der Fallwahrnehmung im multiprofessionellen Aushandlungsprozess hergestellt und legitimiert? Wie konturieren die Akteure im Vergleich unterschiedlicher Settings eine als ‚sozialpädagogisch‘ kategorisierte Sichtweise auf den Fall? Welche interaktiven Dynamiken entwickeln sich in diesen Aushandlungsprozessen hinsichtlich wechselseitiger Zuschreibungen und Grenzziehungen?
Was bildet sich als übergreifende gemeinsame Fallperspektive in den jeweiligen Settings heraus? Welche interaktiven Muster der multiprofessionellen Zusammenarbeit lassen sich im Vergleich der Settings herausarbeiten?



Forschungsmethoden:

In allen untersuchten Teams und Netzwerken wurden mehrere Fallbesprechungen aufgezeichnet und mit Hilfe eines fokussierten ethnografischen Zugangs begleitet. Ergänzend wurden (Expert_innen)interviews mit Professionellen der jeweiligen Teams geführt. Die erhobenen Daten wurden mit sequenzanalytischen Verfahren im Sinne der Dokumentarischen Methode ausgewertet.


Projektbezogene Publikationen:

Bauer, Petra (2017, i.E.): Multiprofessionalität. Zusammenarbeit mit anderen Professionen. In: Graßhoff, Gunther/Renker, Anna/Schröer, Wolfgang (Hrsg.): Soziale Arbeit. Eine elementare Einführung. Wiesbaden; München: Springer; VS.


Bauer, Petra (i.E.): Fallbesprechungen in multiprofessionellen Teams in der Erziehungsberatung. In: Bohnsack, R./Kubisch, S./Streblow, C. (Hrsg.): Forschung in der Sozialen Arbeit und Dokumentarische Methode. Methodologische Aspekte und gegenstandsbezogene Erkenntnisse. Opladen: Barbara Budrich.


Bauer, P./Harter, K./Henn, S./Keitsch, P./Wiezorek, C. (i.E.): Thematisierungsweisen und Bearbeitung von Gefühlen in Fallbesprechungen. In: Kommission Sozialpädagogik (Hrsg.): Wa(h)re Gefühle. Sozialpädagogische Emotionsarbeit im wohlfahrtsstaatlichen Kontext. Weinheim, München: Beltz.


Bauer, P. (2014): Kooperation als Herausforderung in multiprofessionellen Handlungsfeldern. In: Faas, S./Zipperle, M. (Hrsg.): Sozialer Wandel. Herausforderungen für Kulturelle Bildung und Soziale Arbeit. Wiesbaden: Springer, VS, S. 273-284.


Bauer, P. (2013): Multiprofessionelle Kooperation und institutionelle Vernetzung in der (Ganztags-)Schule. In: Bohl, T./Meissner, S. (Hrsg.): Expertise Gemeinschaftsschule: Weinheim: Beltz, S. 161-176.