Geschichte des Lehrstuhls
Das Fach „Liturgiewissenschaft“ wurde durch das II. Vatikanische Konzil zu einem der Hauptfächer der Theologie erhoben (Vgl. Liturgiekonstitution Sacrosanctum Concilium Art. 16). Diese Vorgabe wurde an der Katholisch-theologischen Fakultät der Eberhard Karls Universität Tübingen im Jahre 1992 durch die Errichtung eines eigenen Lehrstuhls für Liturgiewissenschaft umgesetzt.
Mit der Berufung von Frau Professor Dr. phil. Gabriele Winkler, Lehrstuhlinhaberin von 1992-2005, erhielt der Lehrstuhl eine spezifische Ausrichtung im Sinne einer Vergleichenden Liturgiewissenschaft. Es ging dabei um eine philologisch fundierte Erschließung liturgischer Quellen östlicher und westlicher Tradition mit Schwerpunkt auf einer fächerübergreifenden Erforschung orientalischer Liturgien. Die vielfältigen religiösen Anschauungen, die sich in den Riten des Ostens und Westens manifestieren, wurden vergleichend gegenübergestellt und in zahlreichen Publikationen erschlossen.
Mit der Berufung von Professor Dr. theol. Andreas Odenthal im Jahre 2006 hatte sich die Ausrichtung des Lehrstuhls geändert. Die Liturgiewissenschaft wurde nun als praktisch-theologische Disziplin verstanden, die (in einem inklusiven Sinne) die Methodenvielfalt, die in der Theologie üblich ist, nutzt. Unter der Frage nach den Bedingungen und Möglichkeiten des Gottesdienstes der Kirche heute wurden unter Andreas Odenthal humanwissenschaftliche, historische, systematisch-theologische sowie exegetische Forschungen einbezogen.
Seit dem Sommersemester 2020 ist Prof. Dr. theol. Stephan Winter M. A. (phil.) Lehrstuhlinhaber. Liturgiewissenschaft, wie sie am Lehrstuhl betrieben wird, versteht sich als methodenorientierte Reflexion auf die rituell-gottesdienstliche Praxis in Geschichte und Gegenwart. Der Fokus liegt – unter Berücksichtigung der historischen, systematischen und praktisch-kritischen Dimension des Faches – darauf, diese Praxis in ihrer ganzen Vielfalt als Ort menschlicher Identitätsbildung zu rekonstruieren und zu erschließen, wobei die jeweiligen sozio-kulturellen Kontexte einbezogen werden.
Solche Liturgiewissenschaft ist ökumenisch und am Dialog mit anderen Religionen wie deren Theologien ausgerichtet. Sie arbeitet möglichst intensiv in interdisziplinärer Vernetzung: v. a. mit den theologischen Fachdisziplinen, mit der Philosophie als Orientierungswissenschaft und mit Geschichts-, und Kultur- und Sozialwissenschaften, wobei die fächerübergreifenden „Ritual studies“ einen wichtigen gemeinsamen Arbeitsrahmen darstellen.