Institut für Astronomie & Astrophysik

Spektralanalyse von Akkretionsscheiben

Einführung

Akkretionsscheiben treten in ganz unterschiedlichen astronomischen Objekten auf, wie z.B. protoplanetaren Systemen, aktiven galaktischen Kernen, kataklysmischen Variablen oder Röntgendoppelsternen. Oft trägt die Akkretionsscheibe selbst zu einem großen Anteil der Leuchtkraft dieser Systeme bei. Um diese Objekte zu verstehen und die in immer höherer Qualität vorliegenden Beobachtungsdaten interpretieren zu können wird ein realistisches Modell der Akkretionsscheiben benötigt, welches die physikalischen Prozesse in der Scheibe so exakt wie möglich beschreibt. Unser Beitrag zu diesem Arbeitsgebiet ist die Bestimmung von Akkretionsscheiben-Parametern wie Massenakkretionsrate, radiale Ausdehnung, Inklinationswinkel, chemische Zusammensetzung, sowie Radius und Masse des zentralen Objekts mit Mitteln der spektralen Analyse. Benötigt werden dafür Spektren in hoher Qualität sowohl von bodengebundenen als auch von Weltraum-Teleskopen, die das Spektrum vom Röntgenbereich bis in den Infrarotbereich abdecken. Ebenso werden hoch entwickelte Computermodelle benötigt, welche die Wechselwirkung des Strahlungsfeldes mit dem heißen Plasma der Akkretionsscheibe simulieren.

Theorie

Bei Spektralanalysen werden gemessene Spektren von Akkretionsscheiben mit synthetischen Spektren verglichen.Diese Spektren misst man mit bodengebundenen Teleskopen (z.B. dem Very Large Telescope VLT, ESO) oder mit Weltraumteleskopen (z.B. dem Hubble Space Telescope HST, NASA). Synthetische Spektren erhält man durch die Lösung von Strahlungstransport-Gleichungen, welche die Ausbreitung von Licht durch die vertikalen Schichten von Akkretionsscheiben beschreiben. Einerseits setzt deren Lösung die Kenntnis der physikalischen Bedingungen wie Temperatur, Dichte, Massenakkretionsrate, Viskosität und die Besetzungszahlen der Atomzustände des Plasmas voraus, um dessen Opazität und Emissivität zu bestimmen. Andererseits wechselwirkt das Strahlungsfeld mit dem Plasma und ändert dessen physikalische Eigenschaften. Während für Sterne ähnlich unserer Sonne die Besetzungszahlen der Atomzustände mit ausreichender Genauigkeit aus der Annahme eines lokalen thermodynamischen Gleichgewichts (local thermodynamic equilibrium LTE) bestimmt werden können, ist dies für Akkretionsscheiben mit einer Effektivtemperatur im Bereich von mehreren 10.000 K nicht möglich. Die Besetzung der Atomzustände in diesem nicht-LTE-Fall (NLTE) muss durch Berechnung der Balance zwischen anregenden und abregenden Prozessen für jeden Zustand erfolgen (unter Annahme eines stabilen statistischen Gleichgewichts). Dieses Problem besteht daher aus einem nicht-linearen System von Integral- und Differential-Gleichungen, deren Lösung sehr effiziente numerische Iterationsverfahren benötigt - vergleichbar mit denen, die zur Berechnung von Sternatmosphären angewendet werden.

AcDc ist ein Softwarepaket für die Modellierung von vertikalen Strukturen und NLTE-Spektren von Akkretionsscheiben. Es baut auf dem Tübinger NLTE Modell-Atmosphären Paket (TMAP) auf. Für den Fall einer geometrisch dünnen Alpha-Scheibe, bei der die Scheibendicke kleiner als der Scheibendurchmesser ist, können die radialen und vertikalen Strukturgleichungen entkoppelt werden. Unter der Annahme einer Axialsymmetrie und durch Unterteilen der Scheibe in konzentrische Ringe kann man die Bestimmung der Scheibenstruktur auf ein eindimensionales Problem zurückführen. Sowohl die Gleichungen für das Strahlungs- und das hydrostatische Gleichgewicht, als auch die Gleichungen für die Besetzungsraten der Atomzustände werden konsistent gelöst mit den Strahlungstransportgleichungen unter der einschränkenden Annahme der Teilchenzahl- und Ladungserhaltung. Einstrahlung auf die Akkretionsscheibe kann ebenfalls berücksichtigt werden. Das Scheibenspektrum wird für verschiedene Inklinationswinkel berechnet, und Spektrallinien sind Doppler-verbreitert entsprechend der radialen Komponente der Kepler-Rotation.

Arbeitsgruppe

Projekte

AMCVn-Sterne

AMCVn-Sterne sind enge, wechselwirkende Doppelsternsysteme mit sehr kurzen Orbitalperioden von 5-65 Minuten. Ihre Spektren werden von Helium-Linien dominiert. Der Akkretor ist ein Weißer Zwerg (WZ), während die Natur des sein Roche-Volumen ausfüllenden Begleiters mit geringer Masse noch diskutiert wird. Es könnte ein Helium-WZ, ein Heliumstern, oder der heliumreiche Kern eines entwickelten Sekundärsterns sein. Da die Scheibe die chemische Zusammensetzung der Atmosphäre des Donorsterns repräsentiert, kann die Analyse der Scheibe zum Verständnis des Donorsterns und der Entstehung dieser Systeme beitragen.

Wir finden Emissionslinien-Spektren bei geringen und Absorptionslinien-Spektren bei hohen Massenakkretionsraten. Bestrahlung durch den Primärstern hat fast keinen Einfluss auf das Spektrum. Wir haben ein gemessenes Spektrum von CE315 mit unseren Modellen verglichen und finden die qualitativ beste Übereinstimmung bei 0.8 Sonnenmassen für den Primästern und einer Massenakkretionsrate von 10-11 Sonnenmasseen pro Jahr. Die Scheibe zeigt eine starke Silizium-Unterhäufigkeit, was die Hypothese eines Population II Objekts bestätigt (Nagel et al., 2009).

Zwergnova Ausbrüche

Zwergnova-Ausbrüche entstehen durch einen verstärkten Massentransport durch die Akkretionsscheibe eines Kataklysmischen Variablen. Wir untersuchen die Frage, ob diese Ausbrüche durch den verstärkten Massentransfer eines Spättyp-WZ verursacht wird (Massentransferinstabilitätsmodell) oder durch eine thermische Instabilität der Scheibe (Scheibeninstabilitätsmodell, disk instability model DIM). Unsere Spektralmodellsequenzen der Akkretionsscheibe von SS Cygni erlauben eine Unterscheidung von Heizwellen die von innen nach außen oder von außen nach innen laufen, da diese mit symmetrischen bzw. asymmetrischen Ausbruchslichtkurven korreliert sind (Kromer et al., 2007). Unsere Ergebnisse bevorzugen das Scheibeninstabilitätsmodell.

Metall-haltige Gasscheiben um DAZ Weiße Zwerge

Kürzlich wurden in Spektren von DAZ Weißen Zwergen Anzeichen für Gasscheiben entdeckt. Wir konzentieren uns auf einen von diesen, nämlich SDSS 1228+1040. Die Spektren zeigen Calcium-Emissionlinien mit einem Doppelpeak. Wasserstoff- oder Helium-Emission ist nicht zu sehen. Wir schließen daraus, dass die Ca-Linien von einer metallreichen Keplerscheibe um einen einzelnen WZ stammen. Dies lässt sich mit einem geometrisch dünnen, viskosen Gasscheiben-Ring in einem Abstand von 1,2 Sonnenradien vom WZ modellieren, mit einer Effektivtemperatur von 6000 K und einer geringen Massendichte an der Oberfläche von 0.3 g/cm3. Unter der Annahme, dass die Scheibe bis hinunter zum WZ reicht und eine einheitliche Oberflächendichte hat, wäre die Gesamtmasse der Scheibe 7x1021g. Ein Gesteinsasteroid mit dieser Masse hätte einen Durchmesser von ungefähr 160 km (Werner et al., 2009).

Supernova Fallback Disks

Die fehlende Detektion einer Punktquelle in SN1987A bestimmt eine obere Grenze für die optische Leuchtkraft. Damit ist auch die Größe einer möglichen Fallback-Disk begrenzt. Unter der Annahme einer statischen dünnen Scheibe mit Schwarzkörper-Emission und einer Akkretionsrate bei 30% der Eddington-Rate muss der Scheibendurchmesser kleiner als 100 000 km sein.

Wir haben ein realistischeres Spektrum modelliert. Die chemische Zusammensetzung wurde als reines Eisen oder die einer Silizium-brennenden Asche angenommen. Es stellte sich heraus, dass die beobachtungsbedingte Grenze der Scheibenausdehnung noch kleiner wurde, nämlich 70 000 km (Werner et al., 2007).

Ultrakompakte Röntgendoppelsterne

Röntgendoppelsterne geringer Masse (Low-Mass X-ray Binaries LMXB) beinhalten als Akkretor einen Neutronenstern oder ein Schwarzes Loch. Von besonderem Interesse sind ultrakompakte Systeme mit Orbitalperioden unter 80 Minuten, da der Donorstern in diesem Fall wahrscheinlich der Kern eines WZ ist, der seine Hülle abgegeben hat. Dies eröffnet die einzigartige Möglichkeit, durch eine Häufigkeitsanalyse der Scheibe das Innere eines WZ zu untersuchen, da die UV- und optische Leuchtkraft durch die Scheibe dominiert wird.

Unsere Modelle bestätigen das Defizit an H und He für die beiden untersuchten Objekte. Der Mangel an Neon-Linien legt nahe, dass es sich bei den Donor-Sternen um erodierte Kerne von C/O WZ ohne besondere Ne-Überhäufigkeit handelt. Dies widerspricht früheren Berichten über Ne-Anreicherung, gewonnen aus Röntgenbeobachtungen des das Doppelsternsystem umgebenden Materials. Diese Anreicherung wurde durch Kristallisation und Fraktionierung des WZ-Kerns erklärt.

Waccabi

Waccabi ist ein Programm zur Modellierung von Akkretionsscheibenwind, welches eine Kombination aus Monte-Carlo- und Raytracing-Methoden verwendet. Es wird zur Zeit von Dmitri Semionov entwickelt.

Wompat

Wompat ist ein auf der Monte-Carlo-Methode basierendes Programm zur Modellierung von Akkretionsscheibenwind, das von Daniel J. Kusterer entwickelt wurde.

Publikationen

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