Habilitationsvorhaben

„He who vivifies my Sunna has vivified me …“: Reconnection to the Prophet, transmission of Hadith and the destiny of the Muslim community in the Kitāb al-shifāʾ of Qāḍī ʿIyāḍ (1083-1149)

Meine Forschung widmet sich in ihrer Vielfalt und Tiefe der Verknüpfung und dem Zusammenwirken von Offenbarung und Geschichte im islamischen Denken und Leben anhand von Interpretations-Traditionen, deren Autorität und Kontinuität immer wieder neu verhandelt werden müssen. Der hagiographische Diskurs, mit dem ich mich in meiner Dissertation beschäftigt habe, stellt eine Interpretations-Tradition dar, die eine Re-Aktualisierung des prophetischen Ideals in Form von exemplarischen Vitea in Szene setzt. Die Figur des Propheten Muhammad und die prophetische Tradition in ihren vielfältigen Überlieferungs-, Bedeutungs- und Erscheinungsformen hat sich daher schon während meiner Dissertation faktisch als zentraler Bezugspunkt meiner Forschungs- und Lehrtätigkeit herausgebildet. Als „Schnittstelle“ zwischen Gott und Mensch, Religion und Tradition, Offenbarung und Geschichte bildet außerdem die Figur des Propheten einen idealen Themenbereich, um die am Anfang skizzierte Problematik zu untersuchen. Als textuelle Überlieferung der prophetischen Tradition nimmt der Hadith eine wesentliche Stellung in meinem Forschungskonzept ein. Im Sinne einer theologischen Hadithforschung, die den Hadith sowohl als theologisches Zeugnis als auch als historisch-kulturelles Dokument ernst nimmt, gilt es, im Rahmen meines Habilitationsvorhabens nach der Bedeutung des Hadith im Glaubensvollzug zu fragen und damit den Hadith als Ressource für die islamische Theologie in Deutschland und in Europa fruchtbar zu machen.

1. Problematik und Fragestellung

Die Karikaturen-Debatte und die dramatischen Ereignisse in Paris im Januar 2015 zeigen auf eindringliche Weise, dass die Person des Propheten Muhammad, als Gründungsgestalt der islamischen Gemeinde, eine Vielfalt von Problematiken und Fragestellungen kristallisiert, die für den zeitgenössischen Islam, und gerade für den Islam in Europa, von entscheidender Bedeutung sind. In der Tat reflektieren und konstituieren sich muslimische Selbstwahrnehmungen und Identitäten in der Beziehung des Gläubigen zur Person des Propheten, die als religiöse Erinnerungsfigur exemplarisch die Glaubens- und Wertevorstellungen der Muslime verkörpert.

Im zeitgenössischen medialen Diskurs erscheint die Figur des Propheten Muhammad vor allem im Zusammenhang ideologischer Bewegungen, geopolitischer Konflikte und terroristischer Akte. In der Tat gehört die Ideologisierung der Prophetologie zur diskursiven Strategie des globalen Jihadismus, denn nur durch den Bezug zum Propheten lässt sich eine islamische Legitimation konstruieren. Die Vereinnahmung der Muhammad-Gestalt als historisches Vorbild für einen modernen Zivilisationskampf wird gezielt gegen den traditionellen Bezug zum Propheten als soteriologische Figur ausgespielt. Die Fragestellung, die sich durch den Jihadismus auf extreme und ideologische Weise stellt, betrifft jedoch in Wirklichkeit auch die verschiedenen Strömungen des zeitgenössischen Islams. In den modernen prophetologischen Kontroversen, insbesondere bezüglich der Grenzen der prophetischen Autorität und Normativität, geht es letztendlich darum, die Bedeutung der Person des Propheten im Leben der Gläubigen zu bestimmen: Welche theologische Bedeutung kommt der Beziehung des Gläubigen zum Propheten zu und wodurch wird diese Beziehung hergestellt?

Diese Fragestellung wird in der Geschichte der islamischen Literatur als Erstes im al-Shifāʾ bi-taʿrīf ḥuqūq al-Muṣṭafā („Die Heilung durch die Aufklärung über die Rechte des Auserwählten“) des marokkanischen Hadithgelehrten Qāḍī ʿIyāḍ (1083-1149) systematisch unter exegetischen, dogmatischen, ethisch-anthropologischen und mystischen Gesichtspunkten behandelt und zu einem kohärenten und zusammenhängenden Diskurs ausbildet. In einem Kontext der politischen Krise und der Konsolidierung des Sunnismus gegen politisch-religiöse und messianische Erneuerungsbewegungen im Maghreb des 12. Jhdt., erörtert der Autor in diesem Werk und in seinen Schriften zur Hadithwissenschaft gezielt die Frage nach der Präsenz des Propheten in der Glaubenspraxis der muslimischen Gemeinde und stellt dabei die Rolle der Hadithüberlieferung in den Vordergrund.

Um das Shifāʾ in seinem historischen Problemhorizont zu verstehen und es gleichzeitig als Ressource für die zeitgenössische islamische Theologie fruchtbar zu machen, soll der Text nach der folgenden Leitfrage analysiert werden: Welchen Zusammenhang stellt der Autor zwischen dem Zustand der muslimischen Gemeinde, der persönlichen Beziehung des Gläubigen zur Person des Propheten und der Hadithüberlieferung her und wie begründet er diesen Zusammenhang theologisch?

2. Stand der Forschung und Sekundärliteratur

Die Beziehung des Gläubigen zur Muhammad-Gestalt wurde bisher im Rahmen der Forschung über die Verehrung des Propheten untersucht, und zwar zunächst aus der Perspektive der vergleichenden Religionsgeschichte (T. Andrae 1918), der phänomenologischen Analyse literarischer Zeugnisse (A. Schimmel 1981), der Ideengeschichte entsprechender ritueller Praktiken (z.B. F. Meier 1985, H. Katz 2007), der Darstellungsgeschichte (T. Khalidi 2009) und der historisch-kritischen Rekonstruktion (T. Nagel 2008). Das oben erwähnte Shifāʾ wird in diesen Studien zwar erwähnt, jedoch wurde diesem Werk in europäischer Sprache noch keine Monographie gewidmet, was umso erstaunlicher ist, als dieses Werk zu den am meist verbreiteten und verehrten Schriften der islamischen Literaturgeschichte gehört. In arabischer Sprache wurde das Shifāʾ unter dem Gesichtspunkt der Sīra-Literatur (al-ʿAmrī 1988) und der Biographie seines Verfassers als maghrebinischer Autor (Shaqūr 1983) und als Hadithgelehrter (al-Turābi 1997) untersucht.

Die moderne Hadithforschung, die sich bis vor kurzer Zeit noch auf die Authentizitätsproblematik und die Datierung der Hadithe konzentrierte (siehe dazu W. Hallaq 1999 und H. Motzki 2004), widmet sich nun verstärkt dem anthropologischen und diskursanalytischen Ansatz (z.B. bei D. Brown 1996, G. Schoeler 2006). Der Zusammenhang zwischen der Rückbindung zum Propheten bzw. seiner Vergegenwärtigung und dem Hadith wurde jedoch noch nicht in den Mittelpunkt einer historischen oder theologischen Untersuchung gestellt, sondern nur angedeutet, wie hier beispielhaft von J. Burton (1994): "The significance of the [Hadith-]Tradition is thus the sense that it preserves the Prophet alive in the midst of the believers, available still to be consulted on any and every question. ln this light, Muhammad’s death became irrelevant" (vgl. dazu auch W. Graham 1993, E. Dickinson 2002, T. Nagel 2008, J. Brown 2009).

3. Quellen und Methodik

Das Kitāb al-shifāʾ bi-taʿrīf ḥuqūq al-Muṣṭafā thematisiert, anhand des Konzepts der prophetischen Rechte (ḥuqūq al-Nabī), gezielt die soteriologische Notwendigkeit einer persönlichen Beziehung des Gläubigen zur Person des Propheten. Das Werk, das in zahlreichen Editionen und Übersetzungen vorliegt, sowie Gegenstand von vielzähligen Kommentaren (z.B. von al-Khafājī in 6 Bd.) und Erweiterungen ist (z.B. al-Qasṭallānīs Mawāhib al-ladunniyya oder in moderner Zeit Y. al-Nabahānīs al-Anwār al-muḥammadiyya), bildet daher die Hauptquelle der Studie.

Der Hadith nimmt für Qāḍī ʿIyāḍs Wirken als Gelehrter und Autor eine zentrale Stellung ein. Neben dem Shifāʾ, das alleine schon 1830 Hadithe enthält und die Hadithüberlieferung als Akt der Frömmigkeit thematisiert, verfasste Qāḍī ʿIyāḍ mehrere Werke zur Überlieferung (al-riwāya) und zur Analyse (al-dirāya) des Hadith (vgl. al-Turābī 1997, Fierro 2011), so z.B. das al-Ilmāʿ fī maʿrifat uṣūl al-riwāya (Kairo 1970), ein Handbuch der Hadithwissenschaften, das als Vorlage für die späteren orientalischen Standardwerke dieser Disziplin diente. Vor dem Hintergrund der religiösen und politischen Umwälzungen seiner Zeit, setzt Qāḍī ʿIyāḍ die Hadithüberlieferung als Garant gegen die Zergliederung und die politische Instrumentalisierung des Islams in Szene: In Zeiten der religiösen Entfremdung bewahre die Hadithüberlieferung und die damit gewährleistete Rückbindung zum Propheten die muslimische Gemeinde vor der Zergliederung durch Sekten und religiös-politische Bewegungen.

Die Analyse der Redaktionsgeschichte und des historischen Entstehungskontextes des Shifāʾ, das die politischen, sozialen und religiösen Bedingungen sowie den ideengeschichtlichen Hintergrund untersucht, wird als Voraussetzung für einen hermeneutischen Zugang betrachtet, der den Text als prophetologischen Diskurs in seiner Eigenheit zu verstehen versucht. Hier wird gezielt transhistorisch nach dem theologischen Inhalt, der Bedeutung und Tragweite des Textes gefragt: Wie wird der Text als theologische Schrift gelesen, dessen Inhalt zu den Muslimen jenseits seines Entstehungskontextes gesprochen hat und noch immer spricht? Unter diesem Gesichtspunkt soll nach dem theologischen Zusammenhang zwischen der Beziehung des Gläubigen zum Propheten und der Hadithüberlieferung gefragt werden: Welche theologische Bedeutung kommt der persönlichen Beziehung des Gläubigen zum Propheten zu? Welche Konsequenzen ergeben sich daraus für die Glaubenspraxis? Welche Modalitäten der Beziehung zum Propheten (z.B. durch Gebete, den Besuch seines Grabes etc.) werden thematisiert? Welche Rolle kommt dem Hadith für die Beziehung des Gläubigen zum Propheten zu? Wie wirkt sich diese Beziehung auf die Hadithüberlieferung und den Glaubensvollzug der muslimischen Gemeinde aus?

4. Relevanz und Forschungsaussichten

Ideengeschichte des Islams

Theologische Hadithforschung

Islamische Theologie