Am 27./28.09.19 fand die Fachtagung „Sexualität, Gender und Religion in gegenwärtigen Diskursen – Theologie, Gesellschaft und Bildung“ an der Eberhard Karls Universität Tübingen statt. Elf Wissenschaftler*innen aus verschiedenen Disziplinen setzten sich mit der Thematik aus ihren jeweiligen Fachperspektiven auseinander. Die interdisziplinäre Ausrichtung hat bei den rund 80 Teilnehmer*innen ein äußerst positives Echo hervorgerufen.
Dipl.-Soz.päd. Meral Renz gab einen Einblick in die sexualpädagogische Arbeit mit muslimischen Jugendlichen, zeigte kritische Problemfelder auf und erklärte, wie derartige Situationen mit einer adäquaten Haltung begegnet werden können.
Dr. Alexandra Wörn befasste sich mit dem Thema Frauen und Macht im Protestantismus und ging der Frage nach, welche Gründe es für männlich kodierte Machstrukturen in der Kirche gab und gibt, wie beispielsweise nicht-theologische Faktoren.
Jun.-Prof. Dr. Fahimah Ulfat stellte aktuelle empirische Studien zu den Einstellungen von muslimischen Jugendlichen und jungen Erwachsenen vor, arbeitete auf dieser Grundlage die Herausforderungen für die Islamische Religionspädagogik heraus und formulierte schließlich Anregungen für die religionspädagogische Arbeit.
Leyla Jagiella lenkte den Blick auf historische und gegenwärtige Beispiele für den Umgang mit nicht binären Geschlechtsidentitäten in muslimischen Kontexten und zeigte auf, wie u.a. durch den Kolonialismus Zweigeschlechtlichkeit Einzug in das muslimische Denken erhielt. Zudem ging sie auf unterschiedliche Herausforderungen für Muslim*innen in Iran, Pakistan und Deutschland ein.
Odette Yilmaz und Frederike Güler stellten die Arbeit und die Haltung des Liberal-Islamischen Bundes e.V. insbesondere in Bezug auf Homosexualität vor, machten auf bestehende Problematiken in der muslimischen Community deutlich und verwiesen auf zahlreiche Initiativen, die sich aus einer muslimischen Perspektive für die Rechte von LGBTQI* einsetzen.
Saboura Naqshband lenkte den Fokus auf Diskriminierungs- und Rassismuserfahrungen für queere Musliminnen oder für Musliminnen of Colour, die sie aus der intersektionalen Perspektive beleuchtete. Sie gab Einblicke in ihre Arbeit als Empowerment-Trainerin.
Jun.-Prof. Dr. Ursula Offenberger befasste sich aus einer soziologische Perspektive mit der Zweigeschlechtlichkeit als Institution, die durch Religion naturalisiert wurde. Sie zeigte auf, mit wie forschungsmethodisch das biographische Wissen über Geschlecht in religiösen Vergemeinschaftungen in religiös formatierten Gelegenheiten untersucht werden kann.
Dr. Ali Ghandour verdeutlichte wie ausgeprägt sexuelle und erotische Motive etwa in der muslimischen Dichtung waren und machte so deutlich, dass Sexualität historisch betrachtet in muslimischen Kontexten kein Tabuthema waren, wie heutzutage oft angenommen wird. In seinem Vortrag ging es auch um die Transformationen, die in den letzten Jahrhunderten in den muslimisch geprägten Gesellschaften stattfanden.
Prof. Dr. Michael Schüssler erläuterte eindrücklich das katholische Sexualitätsdispositiv, das sich in einer theologischen Sexualmoral niederschlägt, die heute an der Lebenswirklichkeit der Menschen scheitert.
Dr. Mithu M. Sanyal behandelte zum Schluss dann nochmal die Folgen des Kolonialismus und ihre Auswirkung auf konkrete Sexualitätsvorstellungen. Insbesondere ging sie auf Prozesse und Vorstellungen in Indien und im Hinduismus ein.
Die Tagung stieß auf großes Interesse bei den ca. 80 Teilnehmer*innen. Die Wichtigkeit des Themas zeigte sich auch in der Vielfalt unter den Gästen. Lehrer*innen, Professor*innen, Sozialpädagog*innen und zahlreiche Studierende aus den verschiedenen Fächern besuchten die Tagung und bereicherten sie mit ihren Fragen und Diskussionen.
Wir danken den Referent*innen, die uns mit ihren Beiträgen zu der Fachtagung bereichert haben. Wir danken den Teilnehmer*innen, die uns mit ihren Impulsen und Fragen neue Denkanstöße gegeben haben. Wir danken unserem Team, Erkan Binici, Dunja Mdakka und Yahya Lange, ohne deren exzellente Organisation die Planung und Durchführung der Tagungen nicht möglich gewesen wäre. Und wir danken der Fritz-Thyssen-Stiftung, der Tübingen School of Education und dem Universitätsbund, die die Tagung gefördert haben. Ein Tagungsband mit den Beiträgen der Referet*innen ist in Vorbereitung und soll voraussichtlich 2020 erscheinen.
Organisiert wurde die Fachtagung von Jun.-Prof. Dr. Fahimah Ulfat, Universität Tübingen, und Dr. Ali Ghandour, Universität Münster.
Den Flyer zur Tagung finden Sie hier und die Videoaufzeichnung hier.