Laufende Projekte

 

Mechanismen objektbasierter Korrespondenz (DFG HE7543/1-2; Elisabeth Hein)

Das visuelle System ist in der Lage, trotz mehrdeutiger Ausgangsinformationen, die Identität einzelner Elemente im Raum zu erfassen, und über die Zeit und Positionsveränderungen hinweg zu erhalten, und so stabile Repräsentationen der Objekte in unserer Umgebung herzustellen. In der Literatur dominierte lange Zeit die Sichtweise, dass Korrespondenz zwischen einzelnen Elementen, und damit die Basis für stabile Objektrepräsentationen, rein auf räumlich-zeitlichen Informationen basiert. Auf der Basis dieser Informationen wird dann die Bewegungsenergie zwischen den Elementen und damit die Korrespondenz auf einer eher niedrigen Verarbeitungsebene bestimmt. Im Gegensatz zu diesem bewegungsbasierten Korrespondenz-ansatz fanden wir in der ersten Projektphase in einer Reihe von Verhaltensexperimenten klare Evidenz dafür, dass auch andere Faktoren auf einer höheren Verarbeitungsebene einen großen Einfluss auf die Korrespondenz haben können und Korrespondenz damit auch auf einer höheren objektbasierten Ebene gelöst werden kann. So konnten wir zum Beispiel zeigen, dass Aufmerksamkeit eine wichtige Rolle für den Korrespondenzprozess spielt. Darüber hinaus fanden wir, dass wahrgenommene Objekteigenschaften, also Eigenschaften, die von den retinalen Reizeigenschaften abstrahiert und im Kontext interpretiert wurden, Korrespondenz beeinflussen können. Schließlich konnten wir zeigen, dass auch die zeitlich-räumliche Vorgeschichte der Objekte einen Einfluss hat, in der Art, dass identische Objekte mit unterschiedlichen Vorgeschichten zu unterschiedlichen Korrespondenzlösungen führen.
Obwohl unsere Studienreihen damit klare Evidenz für Korrespondenz als einen höheren objektbasierten Prozess lieferten, fanden wir dennoch auch immer wieder Einflüsse bewegungsbasierter Korrespondenz. Ziel der zweiten Projektphase ist es daher neue Erkenntnisse über die Interaktion von objekt- und bewegungsbasierten Korrespondenz-mechanismen zu erhalten und dabei insbesondere die Frage zu klären unter welchen Umständen welcher Prozess bevorzugt aktiviert wird. Einerseits soll dabei untersucht werden, ob die Verlässlichkeit und Komplexität der Ausgangsinformation dazu führt, dass der eine oder der andere Korrespondenzprozess die Korrespondenzlösung dominiert und ob dies erlernt werden kann. In einem entwicklungsperspektivischen Ansatz soll außerdem untersucht werden, wie Kinder Korrespondenz zwischen Objekte herstellen und ob sich die objektbasierte Korrespondenz eventuell erst während der Reifung des visuellen Systems entwickelt. Schließlich soll untersucht werden, ob die Unterscheidung zwischen objekt- und bewegungsbasierter Korrespondenz spezifisch für die visuelle Modalität ist oder auch in anderen Modalitäten gefunden werden kann. Wir erwarten, dass uns diese Experimentserien neue Erkenntnisse über das Zusammenspiel bewegungs- und objektbasierter Korrespondenz liefern und damit unser Verständnis der menschlichen Objektwahrnehmung grundlegend erweitern.

 

 

Wirkmechanismen der zeitlichen Vorbereitung im Kontext der Reizselektion (DFG SE2576/1-1; Verena Seibold)

Selektive Aufmerksamkeit ist ein zentraler Mechanismus des Gehirns, der es erlaubt, aus der Vielzahl an Sinnesreizen nur diejenigen auszuwählen und tiefer zu verarbeiten, die relevant und im Einklang mit den momentanen Zielen und Bedürfnissen eines Organismus sind. Neuere Forschungsarbeiten zeigen, dass die Effizienz dieses Selektionsmechanismus maßgeblich davon abhängt, dass Organismen in der Lage sind, zeitliche Vorhersagen zu machen und damit die kognitive Verarbeitung von Sinnesreizen zeitlich vorzubereiten. Unklar ist jedoch, wie die zeitliche Vorbereitung auf Sinnesreize die Reizselektion begünstigt. Das Ziel dieses Projektes ist es, diese Wissenslücke zu schließen und die Wirkmechanismen, mit denen die zeitliche Vorbereitung die Reizselektion erleichtert, systematisch zu untersuchen.

 

Hirnkorrelate kontextabhängiger Sprachverarbeitung (DFG 2246/3-1; Susanne Dietrich)

Die Interpretation eines Sprachsignals hängt nicht nur von den syntaktischen und semantischen Eigenschaften der Sprache ab, sondern auch von pragmatischen Umständen, etwa dem Kontext, in welchem das Sprachsignal geäußert wird. Im Rahmen der Projektarbeit wollen wir die Verarbeitung kontextabhängiger Sprache innerhalb von Diskursstrukturen untersuchen und die funktionelle Bedeutung der an kontextuellen Verstehensprozessen beteiligten Gehirnstrukturen näher aufklären. Wir wollen das kontextabhängige Sprachverstehen am Beispiel von Präsuppositionen (PSP) untersuchen. PSP sind kontextuelle Informationen, die nicht explizit in einem Satz erwähnt werden, sondern durch bestimmte sprachliche Signale, sogenannte PSP-Auslöser, vermittelt werden. Ein PSP-Auslöser kann zum Beispiel der bestimmte Artikel sein, der einen Bezug zu einem im Kontext erwähnten Protagonisten herstellt. Die PSP-Auslöser vermeiden Redundanzen im Diskurs. Sie weisen den Rezipienten auf Inhalte eines gemeinsam angenommenen "Wissensraumes" hin. Dieser kann einerseits durch unmittelbar vorausgehende, sprachlich geäußerte Satzinhalte gegeben sein oder andererseits in pragmatisch vermittelten Annahmen, wie etwa Annahmen über den Wissenshintergrund eines Rezipienten oder Sprechereigenschaften wie den kulturellen Hintergrund. In den geplanten Experimenten wird eine inadäquate Verwendung des PSP-Auslösers genutzt, um das Diskursverständnis zu stören. Diese Störung des Diskursverständnisses kann sich in verschiedenen kognitiven Prozessen niederschlagen: (1) dem Referenzprozess zur Erstellung des Bezugs zwischen PSP-Auslöser und Kontextinformation, (2) einem Evaluationsprozess zur Überprüfung der Interpretierbarkeit und (3) möglicherweise einem Reparaturprozess. Auf der Basis einer ersten bildgebenden Studie haben wir ein Modell der neuroanatomischen Korrelate dieser verschiedenen Diskursverarbeitungsprozesse vorgeschlagen. Das Anliegen des Projektes besteht in einer Überprüfung des Modells. Insbesondere möchten wir untersuchen, welche Gehirnstrukturen beteiligt sind, wenn semantisches oder pragmatisches Wissen genutzt wird, um einen Diskurs zu interpretieren, wenn Kontextinformation fehlt, pragmatische Verletzungen entdeckt werden oder die Diskursstruktur re-interpretiert wird. In einer ersten Phase des Projektes soll Testmaterial entwickelt und mittels Lesezeitstudien validiert werden. In einer zweiten Phase sollen zwei bildgebende Studien (fMRT) durchgeführt werden, um die kontextrelevanten Sprachareale zu lokalisieren. In einer dritten Phase soll eines der beteiligten Areale mittels transkranieller Magnetstimulation (TMS) auf seine funktionelle Relevanz bzgl. möglicher Reparaturprozesse hin überprüft werden.