Werner Reichardt Centrum für Integrative Neurowissenschaften (CIN)

Eine Diskussion über Tierversuche am CIN

Bericht über die CIN-Podiumsdiskussion “Tiernutzung in der biomedizinischen Forschung: Eine verdrängte Notwendigkeit?”

In Kooperation mit der Universität Tübingen organisierte das CIN am Montag, 24. Juni 2013 im Hörsaal der CRONA-Klinik eine Podiumsdiskussion zum Thema "Tiernutzung in der biomedizinischen Forschung: eine verdrängte Notwendigkeit?". Das Ziel der Veranstaltung war, verschiedene Aspekte von Tierversuchen in der neurowissenschaftlichen und biomedizinischen Forschung zur Sprache zu bringen. Diese Initiative war Teil der Bemühungen des CIN, die Öffentlichkeit anzusprechen und eine informierte Debatte anzustoßen, in welcher verschiedene Meinungen in ihrer gesamten Breite repräsentiert sein sollte. Ein besonderer Schwerpunkt dieser Veranstaltung lag darauf, zwei Gruppen eine Stimme zu geben, deren Blickwinkel auf diese schwierigen Themen oft übersehen oder falsch dargestellt wird.

Die zehn Diskutant*innen repräsentierten ein sehr breites Spektrum von Gruppen, die zu Tierversuchen und angrenzenden Themen Interesse und Erfahrung einzubringen vermögen. Jeder Sprecher – vorgestellt vom Moderator, Hans-Dieter Assmann von der Universität Tübingen – hatte einige Minuten Gelegenheit, in einigen einführenden Bemerkungen ihre oder seine Position darzustellen. Stefan Treue, Direktor des Deutschen Primatenzentrums in Göttingen, stellte dabei auf den wissenschaftlichen Kontext ab, indem er hervorhob, warum in der Forschung Bedarf an der Verwendung nicht-humaner Primaten besteht. Die rechtliche Situation stellte Wolfgang Löwer von der Universität Bonn vor, insbesondere in Hinblick auf die verfassungsmäßig garantierte Freiheit von Forschung und Lehre. Er erläuterte unter anderem, wie die Schwellen für zumutbare Belastungen von Versuchstieren definiert werden – ein Thema, das die Landestierschutzbeauftragte Cornelie Jäger aufbrachte, die sich kritisch mit der geltenden Rechtslage auseinandersetzte. Sie argumentierte für größere Transparenz und die Notwendigkeit, Eingaben aus der Öffentlichkeit aufzunehmen.

Jörg Luft von Covance Laboratories stellte die Perspektive der biomedizinischen Industrie dar und lieferte präzise Zahlen, wie viele Tiere in pharmazeutischen Testreihen verwendet werden. Er erklärte, wie bedeutsam Sicherheitsprüfungen an Tieren bei Medikamenten und anderen Medizinprodukten sind. Andreas Nieder vertrat die Perspektive der Hochschullehrer*innen, die Tiere in der Lehre einsetzen. Er führte nicht nur die Vorteile aus Sicht der Lehre aus, sondern verwies auch auf die im derzeitigen Stand noch unzureichenden Ersatzmittel wie Computermodelle. Karin Blumer von Novartis erörterte ethische Aspekte aus der Sicht einer Wissenschaftlerin und Philosophin. Sie betonte die Notwendigkeit, jeden Fall individuell zu beurteilen und stellte klar, dass der Verzicht auf Tierversuche nicht nur für klinische Studien in der Medizin, sondern auch in der Grundlagenforschung verheerende Folgen haben könnte.

Eines der Hauptziele der Veranstaltung war, auch der Perspektive der Patient*innen Gehör zu verschaffen. Die Behandlung von Leiden wie Blindheit und degenerativen Hirnerkrankungen wurden erst durch wissenschaftliche Forschung möglich, in der Tiere zum Einsatz kamen. Zwei CIN-Wissenschaftler*innen brachten das deutlich zum Ausdruck und stellten exemplarisch Patient*innen vor, mit denen sie selbst gearbeitet hatten. Eberhart Zrenner, dessen Prothesen helfen, Patient*innen mit Retina-Degeneration ein Maß an Sehkraft wiederzugeben, stellte dar, dass die Sicherheit und Haltbarkeit des Implantats, das er entwickelt hatte, nur im Tierversuch erprobt und demonstriert werden konnte. Sharam Bagheri, ein Teilnehmer an klinischen Tests dieses Implantats, beschrieb daraufhin, wie er von dem Gerät profitiert hatte. Marina Stüber leidet an einer neurodegenerativen Erkrankung namens “Friedreichs Ataxie”. Sie ist im Vorstand der Deutschen Heredo-Ataxie-Gesellschaft aktiv, einer gemeinnützigen Organisation, die sich für Patient*innen und ihre Familien einsetzt. Sie sprach über ihre Erkrankung und deren Fortschreiten sowie über die professionelle Hilfe, die sie erhalten hat und durch die sich ihre Lebensqualität spürbar gesteigert hat. Peter Thier, der als Neurologe mit dieser Erkrankung gut vertraut ist, war in der Lage, einige Hintergründe zu liefern. Er erklärte, dass diese Patientin als eine von vielen in Deutschland unter einer sehr seltenen Krankheit leidet und dass sich in ihrem Fall die einzige Hoffnung auf erfolgreiche Behandlung der Forschung an Mäusen verdankt.

Nach einem kurzen Austausch unter den Sprecher*innen öffnete der Moderator die Diskussion für das Publikum. Im Hörsaal waren viele Tierversuchsgegner*innen anwesend und erhielten die Gelegenheit, ihren Standpunkt darzustellen. Allerdings gab es Kritik dahingehend, dass die Sprecher*innenliste vorrangig mit Befürworter*innen von Tierversuchen besetzt worden sei. Mehrere Tierrechtsaktivist*innen meldeten sich sehr ausführlich zu Wort. Ermutigend waren die zahlreichen Anzeichen, dass einige derjenigen, die sich aktiv für das Tierwohl einsetzen und auf eine Verbesserung des Tierschutzes hinarbeiten, eine moderate Haltung in Bezug auf auf verantwortungsvoll durchgeführte Tierversuche einnehmen.

Insgesamt gesehen konnte die Veranstaltung Hoffnungen schüren. Peter Thier als Sprecher des CIN zeigte sich sehr erfreut, dass Wissenschaftler*innen und Patient*innen endlich begonnen haben, ihre Sache an die Öffentlichkeit heranzutragen und über Tierversuche in der Medizin, der Forschung und der Industrie zu sprechen. “Es ist ein kleiner Schritt vorwärts”, sagte er. “Zwar hat die Podiumsdiskussion auch deutlich gemacht, wie schwer es ist, unsere Haltung zu erklären, aber wir sind entschlossener als je zuvor, unsere Sache zu vertreten.”

Das offizielle Programm finden Sie hier; einen deutschsprachigen Video-Bericht hier.