Prof. Dr. Eckart Goebel

Arbeitsbereich C: Balance als Daseinsmetapher

Eckart Goebel (Komparatistik)

Hans Blumenberg hat im Anhang zur Studie über Schiffbruch mit Zuschauer (1979) unter dem Titel "Ausblick auf eine Theorie der Unbegrifflichkeit" die Idee der "Daseinsmetapher" eingeführt, die Metaphern terminologisch erfasst, welche den Vollzug menschlichen Lebens insgesamt bebildern, um den Vollzug des latent vom Sinnlosigkeitsverdacht heimgesuchten Lebens "verständlicher" bzw. "sinnvoller" werden zu lassen. Die Rede von der "Lebensreise", die dem Dasein ein "Ziel" und dergestalt "Sinn" zuweist, wäre exemplarisch für eine Daseinsmetapher.

Die Ausgangshypothese im Arbeitsbereich C besteht in der Vermutung, dass es sich bei "Balance" ebenfalls um eine Daseinsmetapher im Sinne Blumenbergs handelt, die nicht nur an der Schnittstelle des literarischen und des philosophischen Diskurses, sondern eben auch, als "Sinn für Gleichgewicht", an der Schnittstelle somatischer Erfahrung und Denkarbeit steht: Taumel, Schwindel, Absturz, Wirbel, Strudel, Mahlstrom – immer wieder werden die Angstphantasien der Philosophie von der Antike bis ins 21. Jahrhundert durch Metaphern für drohenden Kontrollverlust bebildert, die durchweg ins Register eines zumindest zeitweiligen Verlusts des körperlichen Gleichgewichts gehören. Bereits 1895 identifizieren Freud und Breuer in den Studien zur Hysterie daher das "seelische Gleichgewicht" als das Telos einer seinerzeit revolutionären Form der Psychotherapie. – Umgekehrt integriert etwa der Inbegriff von Schönheit (in) der Bewegung, den das 18. Jahrhundert formuliert – Grazie – die theologische Sphäre – Gnade (grace, grâce) von oben –, vollendete körperliche Proportion/Bewegung mit moralischer Perfektion.

Am Beispiel der Grazie lässt sich erläutern, wie die drei Arbeitsbereiche zur Theorie der Balance produktiv miteinander verwoben sind: Die von Winckelmann geprägte Formel des deutschen Klassizismus von der "edlen Einfalt und der stillen Größe" gewinnt ihre (auch empirisch fundierte) aktualisierte Substanz erst vor dem Hintergrund von Studien zur Balance der Kommunikation zwischen Reden und Schweigen, Lärm und Stille, wie auch mit Blick auf Studien zur Objekttheorie, hier konkret zur Position der Skulptur im Raum. Um Balance als Daseinsmetapher beschreiben zu können, ist die ideengeschichtliche bzw. metaphorologische Arbeit auf intensiven Austausch mit der Medien- und Kunstwissenschaft angewiesen.