Internationales Zentrum für Ethik in den Wissenschaften (IZEW)

Verleihung der Nachhaltigkeitspreise 2020 und Sustainability Lecture

In der aktuellen Corona-Pandemie zeigen sich die Sollbruchstellen einer überhitzten nichtnachhaltigen Globalisierung nochmals in verstärktem Maße. Die Präsidentin von Brot für die Welt, Prof. Dr. h. c. Cornelia Füllkrug-Weitzel, sprach in der diesjährigen Sustainability Lecture über die (un)gerechte Gestaltung der Globalisierung in Zeiten von Corona.

Am 26. November 2020 wurden an der Universität Tübingen zum zehnten Mal die Nachhaltigkeitspreise für Abschlussarbeiten verliehen – aufgrund der Pandemie-Situation in diesem Jahr erstmals digital. Rund 140 Gäste waren an ihrem Bildschirm dabei, als Kanzler Dr. Andreas Rothfuß die Preisverleihung mit einigen Worten zu aktuellen Aktivitäten der Universität in Sachen Nachhaltiger Entwicklung eröffnete und danach die sechs Preisträgerinnen (jeweils drei Bachelor- und Masterarbeiten) ausgezeichnet wurden. Diese stellten in kurzen Präsentationen ihre prämierten Arbeiten aus den Bereichen Biologie, Ethnologie, Geoökologie, Medienwissenschaft und Wirtschaftswissenschaft vor. „Wir vergeben diesen Preis jetzt seit zehn Jahren. Das Interesse daran ist enorm und es freut uns besonders, dass das Fächerspektrum, aus dem wir Bewerbungen erhalten, immer breiter wird. Nachhaltige Entwicklung ist ein Thema, das junge Menschen bewegt und für das sie sich engagiert einsetzen. Dass Studierende an unserer Universität die Möglichkeit haben und nutzen, auf höchstem wissenschaftlichem Niveau für eine Nachhaltige Entwicklung zu forschen, ist großartig“, so Professor Thomas Potthast, Vorsitzender des Beirats für Nachhaltige Entwicklung und Moderator der Preisverleihung.

Die diesjährige Festrede hielt die Präsidentin von Brot für die Welt und der Diakonie Katastrophenhilfe, Prof. Dr. h. c. Cornelia Füllkrug-Weitzel: „Nachhaltige Entwicklung unter Druck: Wie gestalten wir Globalisierung in Zeiten von Corona?“ war die Frage, die im Mittelpunkt ihrer „Sustainability Lecture“ stand.

Das Jahr 2020 geht zu Ende und die Weltgesellschaft befindet sich in einem globalen Ausnahmezustand. Die Corona-Pandemie mit ihren gravierenden Auswirkungen betrifft uns alle – aber nicht jede*n im gleichen Maße. Bestehende globale und lokale Ungerechtigkeiten werden durch die Pandemie wie in einem Brennglas verschärft, und es wird deutlich, wie dringlich tiefgreifende Transformationen sind. Cornelia Füllkrug-Weitzel beschrieb in ihrer Lecture eindrücklich, wie die Corona-Krise nicht nur die Gesundheit vieler Menschen gefährdet, sondern auch in Teilen der Welt, die von Armut, fehlenden sozialen Sicherungssystemen, den Folgen des Klimawandels und Verteilungskonflikten besonders betroffen sind, als Krisenverstärker wirkt. Die Pandemie verschärft Armut und Hunger in der Welt und trifft besonders die Schwächsten: die Näherin in Bangladesch, den Kaffeebauern in Guatemala, den Tagelöhner im Tschad. Fortschritte der Entwicklungszusammenarbeit der letzten Jahrzehnte werden durch die Pandemie und ihre ökonomischen Folgen zunichte gemacht.

Zugleich ist schon seit einigen Jahren eine Erosion des demokratischen Modells und eine Rückkehr des autoritären Nationalismus in vielen Teilen der Welt zu beobachten. Von der vielbeschworenen Weltgemeinschaft ist, so Füllkrug-Weitzel, derzeit nicht mehr viel sichtbar. Das war vor fünf Jahren, als die Vereinten Nationen das Paris-Abkommen, die Agenda 2030 für Nachhaltige Entwicklung und in Addis Ababa die Grundsätze der globalen Entwicklungsfinanzierung beschlossen haben, anders. In der aktuellen Situation fehlt genau diese globale Gemeinschaftsorientierung.

Doch wie gestalten wir gerade auch in Deutschland Globalisierung in Zeiten von Corona mit, um die negativen Folgen der Pandemie abzufedern? Ein zentraler Punkt ist für Cornelia Füllkrug-Weitzel das Lieferkettengesetz. Unternehmen, die Schäden für Menschen und Umwelt in ihren Lieferketten verursachen oder in Kauf nehmen, müssen dafür haften. „Unsere eigenen Probleme werden auf Kosten der Schwächsten in anderen Ländern gelöst“, so beschreibt sie die aktuelle Situation. Der Grundsatz „Leave No One Behind“ darf (nicht nur in Pandemie-Zeiten) nicht aus dem Blick geraten. Eine starke internationale Partnerschaft, die sich kraftvoll für die ärmsten Länder einsetzt, ist wichtiger denn je.

Der eindringliche Vortrag von Cornelia Füllkrug-Weitzel führte allen Zuhörer*innen konkret vor Augen, wie wichtig es ist, in der Corona-Pandemie die globale Perspektive nicht aus dem Blick zu verlieren. Aktuell wirkt die Corona-Krise als „Brandbeschleuniger“ - sie könnte aber auch ein globales Umdenken in Richtung Nachhaltiger Entwicklung anregen. Diese Chance dürfen und sollten wir nicht ungenutzt lassen.