Dissertationsprojekt
Zwischen Zeitdiagnose und Krisenbewältigung – Albrecht Haushofers Moabiter Sonette (Arbeitstitel)
Die Moabiter Sonette haben besonders aufgrund ihrer tragischen Geschichte Bekanntheit erlangt. Denn nachdem Albrecht Haushofer in der Nacht vom 22. auf den 23. April 1945 durch ein Kommando der SS erschossen worden war, fand sein Bruder bei dem Toten ein Manuskript, das dieser in seiner Manteltasche verborgen hatte. Dieses Manuskript enthielt jene 80 Sonette, die nach dem Ort benannt worden sind, an dem sie einst geschrieben wurden: dem Zellengefängnis der Gestapo-Sonderabteilung in der Lehrter Straße 3 in Berlin-Moabit.
Die Sonette scheinen aufgrund dieser außergewöhnlichen Entstehungsgeschichte untrennbar mit dem tragischen Schicksal ihres Autors verknüpft zu sein. Zudem erwecken einige der Gedichte den Eindruck, als ob Sprechinstanz und Autor thematisch miteinander verschmelzen würden. Beides hat dazu geführt, dass die Moabiter Sonette in der Vergangenheit überwiegend als biografische (Zeit-)Zeugnisse eines Todgeweihten gedeutet wurden, wodurch sie gewissermaßen auf ihre tragische Entstehungsgeschichte reduziert wurden. Dadurch unterblieb es, das breite inhaltliche Spektrum des Sonettzyklus in seiner vollen Komplexität zu erfassen und auch die ästhetische Faktur der Gedichte erfuhr in früheren Deutungen nur wenig Beachtung.
Aus diesem Grund soll ein Fokus der Dissertation darauf liegen, den kulturellen Kontext des Werkes als wesentlichen Deutungshorizont in den Blick zu nehmen. Das komplexe intellektuelle Profil des Autors, das durch die Moabiter Sonette hindurchscheint, soll dabei in der Auslegung berücksichtigt werden, jedoch ohne dass das Werk auf eine biografische Lesart reduziert wird. Des Weiteren erscheint es für eine umfassende Interpretation essenziell, nicht auf der Ebene des ‚Gehalts‘ des Gedichtzyklus stehen zu bleiben, sondern hier auch die ‚Gestalt‘ der Sonette gleichwertig miteinzubeziehen. Die Auseinandersetzung mit der Sonettform, die sich gerade durch ihre strenge Regelpoetik auszeichnet und so durch ihre regelgeleitete Begrenztheit Autoren besonders in schwierigen Zeiten Halt zu geben scheint, bildet daher einen weiteren Schwerpunkt des Forschungsvorhabens.