Werner Reichardt Centrum für Integrative Neurowissenschaften (CIN)

Proteste gegen Tierversuche vor dem CIN

Eine neue Entwicklung

In der zweiten Jahreshälfte 2017 hat hier am CIN eine neue Entwicklung Einzug gehalten: Wir sind auf dem Radar von Tierversuchsgegner*innen und Tierrechtsaktivist*innen aufgetaucht. Man könnte formulieren, es sei nur eine Frage der Zeit gewesen. Schließlich haben wir nie davor zurückgeschreckt, offen darüber zu kommunizieren, welch wichtige Rolle Tiermodelle in weiten Teilen unserer Forschung spielen. Das schlägt sich in diesen Seiten hier ebenso nieder wie in zahlreichen Pressemitteilungen über unsere jüngsten wissenschaftlichen Erfolgsgeschichten, in denen üblicherweise direkt und offen angesprochen wird, wie wir zu unseren Ergebnissen gelangt sind.

Dennoch mag es überraschen, dass nach den ausgiebigen und unverhältnismäßig zornigen Kampagnen gegen unsere Kollegen am Max-Planck-Institut für Biologische Kybernetik nun das CIN anscheinend zum nächsten Ziel lokaler Tierrechtsgruppen wird. Den ersten Hinweis, dass das CIN nun mehr Aufmerksamkeit von Tierversuchsgegner*innen erfährt, war ein etwas unfreundlicher – und in unseren Augen unausgewogener – Artikel, den ein Studierendenmagazin im Juli 2017 veröffentlichte. Seither hat insbesondere eine lokale Tierrechtsgruppe einige Demonstrationen vor Ort veranstaltet. Diese konzentrierten sich auf die angeblichen Schrecken, die Wissenschaftler*innen verüben, wenn sie mit Primaten forschen. Die Demonstrationen nahmen die Form von "Mahnwachen" an, wobei eine kleine Gruppe von Demonstrant*innen nach einer kurzen, lautstarken Eröffnung über einige Stunden still dasteht und Plakate mit Bildern und Slogans präsentiert.

Kann man mit den Aktivist*innen reden?

Wir haben lange und intensiv überlegt, wie wir mit der Situation umgehen sollen, sowohl auf lange Sicht als auch in der unmittelbaren Auseinandersetzung mit diesen Demonstrationen. Unser erster Instinkt war, den Austausch mit den Protestierenden zu suchen. Eine ehrliche, respektvolle Diskussion müsste doch eigentlich im Interesse aller Beteiligten liegen, schließlich geht es um ein heiß diskutiertes Thema, das unsere ganze Gesellschaft angeht!

Also stellten wir für die erste Protestrunde (am 21. November) vor unserem Haus etwas Tee und Kaffee bereit und warteten auf die Aktivist*innen, um ihnen Heißgetränke sowie unsere Bereitschaft zur Diskussion über unsere Forschung und unsere Antworten auf ihre Fragen anzubieten. Zu unserer nicht geringen Freude scheint dieser Ansatz sehr gut funktioniert zu haben! Zahlreiche Wissenschaftler*innen – Doktorand*innen, Gruppenleiter*innen, Professor*innen – verbrachten über eine Stunde draußen in der Kälte und diskutierten über alle möglichen Fragen im Zusammenhang mit tierexperimenteller Forschung. Sie stießen dabei auf einige sehr interessierte Menschen, die vielleicht gegen Tierversuche waren, aber nicht dagegen, von leibhaftigen Wissenschaftler*innen mehr über die Wissenschaft zu erfahren.

Die Reaktion der Aktivist*innen: Demonstration statt Kommunikation

Leider erwies sich unser Optimismus, dass dieser Ansatz auch bei künftigen Demonstrationen verfangen könnte, als verfrüht. Die Organisator*innen der zweiten Demonstration im Dezember hatten sichergestellt, dass alle Teilnehmer*innen verinnerlicht hatten, nicht mit uns zu kommunizieren. Ja, das ist richtig: Die Demonstrant*innen waren nicht im Geringsten daran interessiert, mit uns zu sprechen, und unternahmen aktive Schritte, auch diejenigen unter ihnen davon abzubringen, die sich unvorsichtigerweise "einwickeln" und in ein Gespräch ziehen ließen.

Am Ende war die einzige Frucht unserer Bemühungen ein kurzes gefilmtes Interview voller merkwürdiger leitender Fragen wie "Wie viele Affen sind an Ihrem Institut auf einer Seite gelähmt?" und unsinniger Forderungen wie "Warum stellen Sie nicht in allen Laboren Webcams auf, damit Ihr Wissenschaftler 24 Stunden am Tag unter öffentlicher Aufsicht steht?" Das Interview is nach unserer Kenntnis bisher nicht veröffentlicht worden; die Demonstrant*innen wollten es uns auch nicht zugänglich machen.

Wichtiger noch: Auf unseren Vorschlag, sich zu einem anderen Termin zusammenzusetzen und alle Fragen über unsere Forschung und unseren Umgang mit Versuchstieren von unseren Wissenschaftler*innen beantworten zu lassen, zum Beispiel in Form einer öffentlichen Diskussionsveranstaltung, wurde unverbindlich abgewinkt. Selbst unser Angebot, den Protestierenden selbst in Form einer Führung unsere Labore und die Tierhaltung zugänglich zu machen, stieß auf spöttisches Misstrauen und hat bisher keine entsprechenden Anfragen nach sich gezogen.

Lehren aus der Angelegenheit

Wir müssen zugeben, dass es unter diesen Umständen übermäßig schwierig erscheint, weiterhin das offene Gespräch zu suchen. Es scheint ein fruchtloses Bemühen zu sein. Die Demonstrant*innen sagen sehr offen, dass sie nicht mit uns sprechen wollen; sie wollen uns nur aufhalten. Diese absolute Forderung ist die logische Fortsetzung einer vollständig in schwarz und weiß argumentierenden Philosophie, oder dürfen wir formulieren: Ideologie. Sie hilft der Debatte über Tierversuche nicht weiter.

Diese Haltung verhindert, dass wir auch nur erklären, was wir tun, geschweige denn warum. Vor dem Hintergrund eines beklagenswerten Mangels an Informationen über Tierversuche in der breiten Bevölkerung ergibt das eine gefährliche Position – sowohl für uns Wissenschaftler*innen als auch für die Gesellschaft, in der wir leben. Vielleicht ist Wissenschaft Nicht-Wissenschaftler*innen einfach schwer zu vermitteln, und vielleicht haben wir dabei bisher keine ausreichend gute Arbeit geleistet. Vielleicht haben wir uns zu wenig erklärt. Aber wir dürfen und werden nicht aufhören, es zu versuchen. In der Wissenschaft geht es oft um Nuancen bei facettenreichen Gegenständen, es geht um das "Aber", um das "Möglicherweise", um den Kontext und darum, das Allgemeine von dem Spezifischen zu trennen. Und vor allem anderen geht es in der Wissenschaft darum, Fragen zu stellen, seine Hypothesen und Befunde wieder und wieder zu erproben und seine Überzeugungen zur Debatte zu stellen. Wissenschaft hat es nötig, erklärt zu werden, und muss jede Gelegenheit dazu ergreifen. Also tun wir das.

Aber aus diesen Gründen sind wir auch überzeugt, dass eine Auseinandersetzung der unhinterfragten Glaubenssätze, unbegründeten Meinungen und verhärteten Positionen keinerlei Nutzen hat. Wir werden uns nicht in einen offenen Schlagabtausch hineinziehen lassen. Aber wenn man mit uns debattieren will? Sind wir zur Stelle.