Projektzusammenfassung

Teilprojekt 1: Theologien der Käseglocke. Zur Kritik am ptolemäischen Weltbild in der christlichen Antike

Die Kugelgestalt der Erde darf spätestens seit Eratosthenes (um 200 v. Chr.) als wissenschaftlich relativ umfassend begründetes Faktum gelten. Angesichts dessen befanden sich das Christentum in der eigentümlichen Situation, daß seine heiligen Schriften im eine Kosmographie vertraten, die Griechen und Römer längst hinter sich gelassen hatten, jedoch in einer so indirekten Weise, daß die einschlägigen Äußerungen leicht als bloße Metaphern ohne jegliche kosmographische Festlegung verstanden werden konnten. Wenn Psalmen und Propheten von einem „Himmelsgewölbe“ (Jes 40,22) oder „Himmelszelt“ (Ps 104,2) und von „Säulen“ der Erde oder des Himmels (Ps 75,4; Hi 9,6) sprechen, würde man deswegen nicht sofort an eine flache, von einem kuppelförmigen Himmel überwölbte und durch Säulen gestützte Erde behauptet sehen, wenn man ein anderes Weltbild gewohnt ist.
Es dürfte also kein Zufall sein, daß der exegetisch fundierte theologische Widerstand gegen das Weltbild der Griechen erst in einer Zeit wirklich Fahrt aufnimmt, als die hellenistische Kultur des römischen Reichs auseinanderbricht, nach dem Konzil von Chalkedon mit der Entstehung der orientalischen Nationalkirchen.
Das geplante Forschungsprojekt will diese Zusammenhänge nicht nur erstmalig umfassend beschreiben, sondern auch in ihrer Diskurslogik eingehender interpretieren, und auf diese Weise die Frage, warum und unter welchen Umständen sich diverse Gruppierungen in ihrer Welterklärung zu „alternativen Fakten“ flüchten, ohne den Rekurs auf ein simplifizierendes Dekadenzmodell spätantik-frühmittelalterlichen Bildungsverfalls beantworten.

Teilprojekt 2: Heilige Krieger im lateinischen Christentum? Fallstudien zur westlichen Aufnahme des byzantinischen Kults um die Soldatenheiligen

In den letzten Jahren mehren sich die Stimmen, welche genuin religiös motivierte Expansionskriege im Christentum nicht erst im Zeitalter der Kreuzzüge, sondern bereits viel früher im byzantinischen Osten postulieren. Will man nicht gar aus Kaiser Heraklius den „ersten Kreuzfahrer“ machen (G. Regan), so wird doch vielfach aus der teilweise intimeren Verflechtung, die Kirche und Staat in der byzantinischen Staatskirche eingegangen waren, eine Vorreiterrolle des Ostens hinsichtlich der Idee eines religiös zu rechtfertigenden Krieges diagnostiziert. Spätestens seit dem 10. Jahrhundert prangen in den meisten byzantinischen Kirchen die ἅγιοι στρατηλάται, die Soldatenheiligen Georg, Demetrius, Mercurius, Theodor Tiro und Stratelates, sowie Prokopius, welche sich von ihren westlichen Gegenstücken, insbesondere Martin von Tours, ganz dezidiert dadurch unterscheiden, daß ihr Martyrium nicht das geringste mit der Verweigerung des Dienstes an der Waffe oder weiteren Blutvergießens zu tun hatte: Vielmehr galten sie als tapfere Bekämpfer des Unglaubens, etwa in Form des Idoloklasmus.
Daß besagte Soldatenheilige dafür mitverantwortlich sein könnten, den „Kreuzzugsgedanken“ vom Osten in den Westen zu bringen, erscheint besonders an der Gestalt des heiligen Georg exemplarisch verifizierbar, dessen hagiographisches Bild im Westen sich zu genau der Zeit, als er zum Schutzheiligen der Kreuzfahrer aufsteigt, einem fundamentalen Wandel, vom Mehrfachmärtyrer zum Drachenkämpfer, unterzieht.
Innerhalb des hier anvisierten Projektes soll diese relativ gut erforschte Fallstudie durch andere, weniger bis gar nicht erforschte analoge Fälle überprüft und gegebenenfalls ergänzt oder korrigiert werden.