27.01.2023
Forum Junge Rechtswissenschaft: Vortrag von Dr. Alexandra Windsberger am 18.01.2023 zum Thema „Lebensschutzstrafrecht – Über Widersprüche zwischen Selbstbestimmung und Heiligkeit des Lebens“
Die Veranstaltungsreihe des Forums Junge Rechtswissenschaft wurde am vergangenen Mittwoch durch einen Vortrag von Dr. Alexandra Windsberger (Universität des Saarlands) zum Thema „Lebensschutzstrafrecht – Über Widersprüche zwischen Selbstbestimmung und Heiligkeit des Lebens“ bereichert. Damit nahm sich die Referentin eines gleichermaßen hochaktuellen wie brisanten Themas an, welches mit über 50 Zuhörern auf großes Interesse stieß.
Nachdem Windsberger zunächst die verschiedenen, mittlerweile höchstrichterlich als straflos ausgewiesenen Formen der Sterbehilfe erläuterte (indirekte Sterbehilfe, Sterbehilfe durch einverständlichen Behandlungsabbruch), legte sie den Fokus auf die nach wie vor gem. § 216 StGB strafbare „aktive“ oder auch „direkte“ Sterbehilfe. Nach Ansicht Windsbergers sieht sich das damit einhergehende Verbot der einverständlichen Fremdtötung zuvorderst durch das bundesverfassungsgerichtliche Urteil vom Februar 2020 zur Nichtigerklärung des § 217 StGB infrage gestellt. Denn darin sahen die Karlsruher Richter von dem erstmals gerichtlich festgestellten Recht auf selbstbestimmtes Sterben auch die Freiheit umfasst, hierfür bei Dritten Hilfe zu suchen und, soweit sie angeboten wird, in Anspruch zu nehmen (BVerfGE 153, 182).
Eingehend setzte sich die Referentin im Anschluss mit dem sog. „Insulin-Beschluss“ des Bundesgerichtshofs (BGH NJW 2022, 3021) auseinander. Darin betont das Gericht zwar, zur Abgrenzung von Selbsttötung und Fremdtötung weiterhin auf das Kriterium der Tatherrschaft abstellen zu wollen, blieb mit der darin verfochtenen „normativen Betrachtungsweise“ aber äußerst vage. Nicht nur die dahingehende Argumentation, sondern auch die dogmatische Untermauerung stellte Windsberger als wenig überzeugend heraus und plädierte stattdessen für eine verfassungskonforme Auslegung des § 216 StGB. Noch einen Schritt weiter ging sie mit ihrer Forderung, (endlich) über eine Reform des § 216 StGB nachzudenken. Insoweit verwarf sie die bislang gegen die Wirksamkeit der Einwilligung in die eigene (Fremd-)Tötung vorgebrachten Argumente (Irreversibilität der Entscheidung, Unfreiheits- und Unantastbarkeitsthese) nicht zuletzt deshalb, weil diese auf einer vorpositiven Werteordnung basierten.
Abschließend ging Windsberger auf eine mögliche Unterlassungsstrafbarkeit eines Garanten nach Eintritt der Bewusstlosigkeit des Suizidenten ein, wobei sie die Rechtsprechung dafür kritisierte, noch immer nicht ausdrücklich von den Grundsätzen der sog. „Peterle-Entscheidung“ abgerückt zu sein. Im Weiteren sprach sie sich für die die staatliche Pflicht zur Herausgabe von Natrium-Pentobarbital gem. § 5 I Nr. 6 BtMG aus und stellte die drei aktuell diskutierten Entwürfe zur Reform der Suizidassistenz dar.
Regen Gebrauch machten die Zuhörer im Anschluss von der Möglichkeit, Fragen an die Referentin zu stellen. Diese behandelten u.a. die die Suizidassistenz in der Strafvollstreckung, die Differenzierung zwischen dem „Recht auf selbstbestimmtes Sterben“ und dem „Recht auf Getötet-werden“ sowie die Frage, inwieweit durch eine fortschreitende gerichtliche Ausformung des Rechts auf selbstbestimmtes Sterben das Entscheidungsrecht des parlamentarischen Gesetzgebers unterlaufen wird.
Dr. Maximilian Lenk