Juristische Fakultät

09.06.2024

,,Persönlichkeitsschutz und digitaler Nachlass“ - Frühjahrssitzung der Juristischen Gesellschaft Tübingen

Prof. Christine Osterloh-Konrad und Sebastian Schreiber über Persönlichkeitsschutz und digitalen Nachlass

Am Dienstag, dem 9. Juni 2024, hieß der neue Vorstand der Juristischen Gesellschaft Tübingen, Prof. Stefan Huber, die Mitglieder der Juristischen Gesellschaft und interessierte Studierende zur diesjährigen Frühjahrssitzung der Juristischen Gesellschaft im Großen Senat der Neuen Aula willkommen.

Zum Thema ,,Persönlichkeitsschutz und digitaler Nachlass“ referierten in diesem Rahmen Prof. Christine Osterloh-Konrad (Lehrstuhl für Bürgerliches Recht, Handels- und Gesellschaftsrecht, Steuerrecht sowie Rechtsphilosophie) und der Geschäftsführer der SySS GmbH Tübingen, Sebastian Schreiber.

Schreiber führte anschaulich in die Thematik um den Persönlichkeitsschutz im Rahmen des Nachlasses ein, indem er einen Fall aus seinem Berufsalltag umriss: Die Witwe eines jungen Unternehmers beauftragte den Spezialisten für IT-Sicherheit, einen verschlüsselten USB-Stick zu ,,knacken“, um auf diesem vermutete Geschäftsdaten zu retten. Als Schreiber sich des Falles annahm, fand er auf dem Stick allerdings wider Erwarten keine Geschäftsdaten, sondern Bilder aus intimsten Verhältnissen des Verstorbenen. Der Fund brachte Schreiber in einen Zwiespalt: Hatte der Verstorbene nicht ein Recht auf Geheimhaltung dieser Bilder? Auch die andere auf den Bildern zu erkennende Person müsste doch ein solches haben? Nicht zuletzt fragte er sich allerdings auch nach dem Interesse der Witwe bezüglich der enthüllten Geheimnisse.

Über die von Schreiber aufgeworfenen juristischen Fragestellungen um die Persönlichkeitsrechte Verstorbener im Zusammenhang mit dem digitalen Nachlass gab Prof. Osterloh-Konrad im zweiten Teil des Vortrages Aufschluss. Dabei gab sie zunächst Einblick in die zum Anfang dieses Jahrhunderts aufgekommene Diskussion um den Unterschied zwischen digitalem und analogem Nachlass. So wurde bis zum Grundsatzurteil des BGH im Jahr 2018 (Urteil vom 12.07.2018 - III ZR 183/17) kontrovers über die Frage diskutiert, ob und, wenn ja, wem nach dem Tod eines Users dessen Daten auf fremden Servern zugänglich gemacht werden müssen. Angesichts des Telekommunikationsgeheimnisses, aber auch des Datenschutzes und des postmortalen Persönlichkeitsschutzes des Erblassers, wollten einige Stimmen den Erben den Zugriff auf solche Daten verwehren. Andere stellten in Anbetracht des § 1922 BGB und des weit verstandenen Vermögensbegriffs darauf ab, dass den Erben ein Zugang zu solchen Servern zugestanden werden müsse, wenn der Erblasser diesen ebenfalls innegehabt hatte.

Der dann 2018 vom BGH entschiedene Fall drehte sich um die Frage, ob die Eltern eines jungen Mädchens, das durch einen mutmaßlichen Suizid ums Leben kam, Zugriff auf das Facebook-Konto der Verstorbenen erhalten müssen. Gestützt auf die Grundsätze der Gesamtrechtsnachfolge gem. § 1922 BGB entschied der BGH zugunsten der Eltern, dass Erben der Zugang zum Benutzerkonto und dessen Kommunikationsinhalten verschafft werden müsse. Eine Differenzierung nach Speichermedium sei nicht sachgerecht.

Auch das postmortale Persönlichkeitsrecht des Erblassers stehe dem nicht entgegen. Dieses solle ja gerade den Erblasser über seinen Tod hinaus schützen, diene somit der Abwehr von Schäden nach dem Tod. Solange die Erben also nicht selbst durch den Umgang mit dem Nachlass des Erblassers dessen postmortales Persönlichkeitsrecht gefährdeten, stehe dieses der Vererbbarkeit der Daten nicht entgegen. Osterloh-Konrad stimmte dem im Grundsatz zu.

Der Ansicht des Gerichts, dass AGB den Nutzer dann i.S.d § 307 BGB unangemessen benachteiligen, wenn sie bestimmen, dass ein Konto nach dem Tod des Nutzers beispielsweise in einen „Gedenkzustand“ geschaltet wird oder eine automatische Löschung des Kontos erfolgt, folgte die Referentin hingegen nicht. Zumindest wenn die Daten des Erblassers nicht gleichzeitig in dauerhafter Verfügungsgewalt des Plattformbetreibers blieben, dürften solche Klauseln ihrer Ansicht nach einer AGB-Kontrolle standhalten.

Abschließend ging Prof. Osterloh-Konrad der Frage nach rechtspolitischem Handlungsbedarf nach. Anhand eines Vergleichs der Rechtsordnungen von Frankreich und den USA zeigte sie auf, wie derartige Regelungen gestaltet werden könnten. In den angeführten Beispielen komme jeweils ein anderes Regel-Ausnahme-Verhältnis zum Tragen: Während in Frankreich bei mangelnder anderweitiger Regelung des Erblassers dessen Erben der Zugriff zum Konto zustehe, wird der Zugriff den Erben in selbigem Fall in den USA verwehrt.

Schlussendlich, so Osterloh-Konrad, komme einem gesetzlichen Modell in Anbetracht der bekanntermaßen geringen Bereitschaft, sich mit dem eigenen Tod auseinanderzusetzen, große Bedeutung zu. Positiv blickte die Referentin dennoch de lege ferenda auf ein System, das den Nutzer zumindest dazu anregt, über seinen digitalen Nachlass nachzudenken. Ob die gesetzlichen Regelungen für den digitalen Nachlass von dem Regime abweichen sollten, das für den analogen Nachlass gilt, sei letztlich eine rechtpolitische Frage; erforderlich sei das jedenfalls nicht.

Im Anschluss an die anschaulichen Ausführungen nutzte die Zuhörerschaft begeistert die Möglichkeit zu Austausch und Diskussion mit den Referenten.

 

 

Victoria Schwarzer 

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