„Erziehung geschieht durch Erinnerung und Erinnerung geschieht durch Erziehung. Erziehung impliziert Erinnerung. […] Ich glaube an Erziehung mehr als an andere Dinge. […] Ich glaube an die jungen Menschen, die sich engagieren und die sich in Deutschland mit ihrer Vergangenheit auseinandersetzen. Es muss mehr und mehr junge Deutsche geben, die sich bewusst an Auschwitz erinnern – um Deutschland willen.“
Elie Wiesel in: Trotzdem hoffen, S. 95f.
Pädagogische Impulse
Die Bedeutung Elie Wiesels für eine kritische Erinnerungskultur nach Auschwitz macht es notwendig, die wissenschaftliche Erforschung seines Werkes mit Impulsen für die Bildungsarbeit zu verbinden. Die Forschungsstelle Elie Wiesel macht es sich daher zum Ziel, an dieser Stelle im Laufe der Zeit pädagogische Impulse und konkrete Vorschläge für die Praxis kostenlos zugänglich zu machen.
Unterrichtsvorschläge zum Holocaustzeugnis „Die Nacht“ von Elie Wiesel
Das bedeutende Zeugnis des Holocaust „Die Nacht“, das der Auschwitz-Überlebende Elie Wiesel zehn Jahre nach seiner Befreiung verfasst hatte, liegt nun in neuer deutscher Übersetzung vor. Sie ist nach neuesten wissenschaftlichen Erkenntnissen angefertigt und enthält ein Glossar sowohl zu jüdischen Begriffen als auch zur Lagersprache und NS-Begriffen, biografische und editorische Hinweise, einschließlich einer Landkarte der Wege der Deportation und Befreiung. Dies ermöglicht auf besondere Weise einen umfassenden Umgang mit der Ganzschrift „Die Nacht“ für Lehrer:innen und Schüler:innen im Unterricht. So eignet sich der Umgang mit diesem Werk in den verschiedensten Fächern, insbesondere in Religionslehre, Ethik, Geschichte, Gemeinschaftskunde und Deutsch. Darüber hinaus möchten wir auch eine fächerübergreifende Zusammenarbeit mit Kolleg:innen der verschiedenen Fachbereiche anregen. Ebenso bietet sich das Werk „Die Nacht“ auch für die Gestaltung eines Seminarkurses im Bereich der Oberstufe an. Nicht nur in diesem Kontext lässt sich der schulische Unterricht mit dem Besuch der Gedenkstätte Auschwitz-Birkenau oder anderer Gedenkstätten als Lernen an außerschulischen Lernorten verknüpfen.
Will man mit dem Holocaustzeugnis Elie Wiesels im Unterricht arbeiten, ist es wichtig, Schüler:innen nicht unvorbereitet mit den Texten aus „Die Nacht“ zu konfrontieren. Lernende sollten stets die Möglichkeit haben, sich zunächst zu dieser Thematik zu verhalten, ihre Interessen, Vorerfahrungen und Zugänge, aber auch mögliche Abwehr und Vorbehalte oder auch der Wunsch, sich nicht „ständig mit diesem Thema“ beschäftigen zu müssen, auszudrücken. So sollten die Vorerfahrungen der Schüler:innen entsprechend Raum bekommen und der Lehrkraft auch die Möglichkeit bieten, den Bezug der Kinder und Jugendlichen zum Thema zu ergründen. Außerdem sollten sie über Konsequenzen, Handlungsmöglichkeiten und die Bedeutung für die Gegenwart diskutieren können, damit sie nicht mit den Eindrücken eines Holocaust-Zeugnisses alleine bleiben und ihnen die Bedeutung auch für ihre eigene, konkrete Lebenswirklichkeit transparent werden kann.
Deshalb schlagen wir eine Dreiteilung einer möglichen Unterrichtseinheit vor:
Erster Schritt: Zugänge, Vorerfahrungen, mögliche Abwehr und Widerstände gegen das Thema. Denkanstöße: fiktive Fragen / Aussagen wie die folgenden sollten – gerne auch kontrovers – diskutiert werden:
- Warum sollen wir uns erinnern?
- Was geht mich das an?
- Das ist so lange her und hat mit uns nichts mehr zu tun!
- Ich kann das Thema nicht mehr hören, ständig sollen wir uns damit auseinandersetzen!
- Ich komme aus einem anderen Land, warum soll ich mich damit beschäftigen?
- etc.
Zweiter Schritt: Ein ganz anderer Zugang als üblich, nämlich über eine konkrete Biografie
Hierzu kann das ganze Buch „Die Nacht“ von Elie Wiesel gelesen werden (ca. 130 Seiten in einem Taschenbuch), oder es können einzelne repräsentative Textteile verwendet werden. Wie in Schritt 1 sollen die Lernenden auch hier immer wieder die Möglichkeit erhalten, sich dazu zu verhalten: durch Austausch über ihre Eindrücke, ihre Gefühle, ihre Fragen etc. Wichtig ist, das „Überwältigungsverbot“ zu beachten und Schüler:innen nicht unvorbereitet mit belastenden Themen zu konfrontieren. Vor allem ist eine gute Nach- und Aufarbeitung wichtig.
Dritter Schritt: Was nun? Bedeutsamkeit für die eigene Lebenswirklichkeit
Elie Wiesel hat aus seiner Erfahrung der Todeslager eine Botschaft für Menschlichkeit, Menschenwürde und Frieden gemacht. Nach der Lektüre von „Die Nacht“ kann man diese biografischen Aspekte näher in den Blick nehmen und davon ausgehend die Bedeutsamkeit für die eigene Gegenwart und Zukunft diskutieren:
- Welche Beispiele für Feindlichkeit gegen Gruppen von Menschen gibt es heute? Welche Ursachen gibt es dafür?
- Was können wir heute tun, um in einer pluaren Gesellschaft, mit Menschen unterschiedlicher Kulturen und Religionen, friedlich zusammenzuleben?
- Wie können wir Rassismus und Antisemitismus heute vorbeugen und bekämpfen?
Hinweise und Ideen zu Schritt 2 finden Sie im folgenden Unterrichtsentwurf "Lebens- und Glaubensgeschichten eines Überlebenden". Dieser wird derzeit komplett überarbeitet. Ebenso werden weitere Unterrichtsvorschläge erarbeitet und demnächst auf dieser Seite abrufbar sein.
Die Erstveröffentlichung des Unterrichtsentwurfes erfolgte in: Glaubensprofile: Elie Wiesel, in: notizblock. Zeitschrift für Religionslehrerinnen und Religionslehrer der Diözese Rottenburg-Stuttgart 26/1999, S. 43-50 (Wiederabdruck in: Franz Wendel Niehl (Hg.): Christen-Juden, Katechetisches Institut des Bistums Trier, 2002).
Den Unterrichtsentwurf mit allen Materialien als PDF-Version können Sie hier downloaden.
Einführende Gedanken
"... aber Du, Gott, wo bist Du?"
Lebens- und Glaubensgeschichten eines Überlebenden
Prof. Dr. Reinhold Boschki
„Stellen Sie sich vor“, erzählt Elie Wiesel, „wie ich nach Auschwitz kam. Jeder von uns durfte nur einen Koffer von zu Hause mitnehmen.“ Mit Schülerinnen und Schülern hatte ich oft überlegt, was wir in einem Koffer mitnehmen würden, müßten wir unser Haus, unsere Heimat in eine ungewisse Zukunft hinein verlassen. Taschenrechner, Armbanduhr, liebgewonnene Gegenstände aus dem Zimmer und der Wohnung, einige Briefe, Kleidung und und und. Wie solche Gedanken dramatische, aktuelle Wirklichkeit werden, wurde durch die erschreckenden Berichte der Flüchtlinge aus dem Kosovo im Frühjahr 1999 wieder bewußt. „Was ich mitnahm?“ berichtet Wiesel weiter: „Meinen Tallit, meine Tephillin, also Gebetsschal und Gebetsriemen, einige religiöse Bücher, diverse rituelle Gegenstände - sonst nichts. So kam ich nach Auschwitz.“
Mit nicht ganz sechzehn Jahren wurde der junge, aus der chassidischen Tradition des osteuropäischen Judentums stammende Elie Wiesel in die Konzentrations- und Todeslager deportiert. Unmittelbar nach Verlassen des Zuges, an der berüchtigten Rampe von Auschwitz-Birkenau, sah er seine Mutter und seine kleine Schwester Tsiporah zum letzten Mal. Natürlich wurde ihm auch der Koffer entrissen. Er klammerte sich an seinen Vater, der später im KZ Buchenwald an Krankheit, Schwäche und Schlägen starb. Mit knapper Not erlebte Elie die Befreiung im April 1945.
Seine schlimmen Erfahrungen riefen Verzweiflung hervor - Verzweiflung am Menschen und an Gott. Und dennoch ist sein weiteres Leben durchzogen von einer unbändgen Hoffnung, daß Ähnliches nie wieder geschehe. Die Erinnerung an die Schrecken der Vergangenheit soll uns ermöglichen, die Zukunft dieses Planeten menschlich zu gestalten. „Erinnerung ist Hoffnung - und Hoffnung ist Erinnerung“, schreibt Elie Wiesel später.
Die ungeheuere Spannung zwischen Hoffnung und Verzweiflung, zwischen vertrauender Hingabe und schmerzvoller Klage gegen Gott machen Elie Wiesel zu einem der wichtigsten Zeugen für die Humanität, aber auch zu einem der profiliertesten Glaubenszeugen des 20. Jahrhunderts.
Hat Elie Wiesel für das kommende Jahrhundert noch eine Bedeutung? Und vor allem: Liegen nicht Welten zwischen seiner Erfahrung und der Erfahrung von jungen Menschen heute? Welche Brücken gibt es?
Religionsdidaktische Vorbemerkungen
- Für Schülerinnen und Schüler ist das Thema „Auschwitz“ keineswegs ein „Reißerthema“. Entweder gibt es indirekte oder direkte Widerstände, weil man es „nicht mehr hören kann“. Viele Lehrer vieler Fächer, so heißt es oft von Schülerseite, würden mit diesem Thema kommen. Man sollte endlich einen „Schlußstrich“ ziehen unter die Vergangenheit, und außerdem: „Warum sind immer wir Deutschen auf der Anklagebank“.
- Dagegen stehen Äußerungen von Schülerinnen und Schülern, die eine Unterrichtseinheit zu Elie Wiesel mitgemacht hatten, wie: „Zum ersten Mal haben wir uns ganz anders diesem Thema genähert, nicht nur durch Statistiken und Zahlen.“ „Elie Wiesels Buch ist das wichtigste Buch, das ich je gelesen habe.“ „Es sollte Pflicht werden im Lehrplan, alle Schüler in Deutschland sollten es lesen.“ - Wie kommt es zu diesen so unterschiedlichen Einschätzungen?
- Tatsache ist, daß aktuelle Studien, etwa die von Bodo von Borries über das Geschichtsbewußtsein junger Deutscher, nachgewiesen haben, daß das Thema NS-Vergangenheit heutige Jugendliche umtreibt. Öffentlichkeit, Medien, Elternhäuser und Schule messen dieser Sache äußerste Bedeutung zu - positive oder negative, was junge Menschen spüren. Sie wissen z.B.: Tauchen Hakenkreuze auf dem Schulhof auf, wird die Lehrerschaft und Direktion in hellste Aufregung versetzt und die Polizei alamiert. Außerdem berichten sehr viele Jugendliche von Erfahrungen, daß sie sich im Ausland - wenn auch noch so subtil - als Deutsche herabgesetzt fühlten.
- Zu den Grundfragen von Pubertierenden und Adoleszenten „Wo stehe ich?“, „Wo gehöre ich dazu?“ gesellt sich die Frage: „Woher komme ich?“, „Was war meine, unsere (familiäre und gesellschaftliche) Geschichte?“
- Auch die religiöse Frage treibt, wie Studien zeigen, junge Menschen um, selbst wenn sie es zunächst nicht explizit machen bzw. machen können: „Wie kann Gott ethnische Säuberungen, Ermordungen und Vertreibungen im Kosovo und anderswo zulassen?“ „Warum läßt Gott kleine Kinder verhungern?“, „Warum hat Gott im Holocaust nicht eingegriffen?“, lauten Fragen von Schülerinnen und Schülern, die Raum bekamen, derlei Fragen zu äußern.
- Die Fragen von Jugendlichen wahr- und ernstzunehmen, ist erste Aufgabe eines Religionsunterrichts, der korrelativ und elementarisierend arbeitet. Derlei Fragen im Unterricht zu teilen, Frageräume zu eröffnen, die eigenen Fragen, die man als Lehrkraft stellt, zu äußern, ermöglicht es, die verständlichen widerstrebenden Reaktionen aufzubrechen und einen interessanten Unterricht zu gestalten.
- Wichtig ist, daß die Schülerinnen und Schüler auf das, was zu Elie Wiesel, zur Auschwitz-Thematik und zur Gottesfrage gesagt wird, nochmals reagieren können und die Möglichkeit haben, sich aktiv damit auseinander zu setzen (kognitiv und affektiv). Damit werden moralisiernde oder emotionale Überforderung verhindert, die nur das Gegenteil von dem bewirken würden, was man eigentlich erreichen möchte. Nicht reine Vermittlungsdidaktik führt weiter, sondern eine korrelativ angelegte, dialogisch-kreative Aneignungsdidaktik.
- Insbesondere für die Gottesfrage angesichts von Auschwitz git es, die Schülerinnen und Schüler zu einer aktiven Auseinandersetzung zu führen, die nicht nur auf einer distanzierten Ebene stehen bleibt. Die Texte von Elie Wiesel eignen sich in besonderer Weise als Impulse für die Formulierung eigener Fragen und Klagen bei gleichzeitiger Einübung in die Hoffnung auf Gottes Gerechtigkeit.
- Die folgenden erprobten Unterrichtsbausteine U1, U2. U3 etc. und Materialien M1, M2, M3 sind einsetzbar in Haupt-, Realschule und Gymnasium, insbesondere in den Klassen 9 und 10. Sie können insgesamt oder einzeln bei Lehrplanthemen wie Kirche im Nationalsozialismus, Gottesglauben heute, Judentum oder Menschenrechte ihren Platz finden. Eine genauere Zuordnung erfolgt bewußt nicht, damit Unterrichtende individuell und kreativ damit umgehen können.
Literaturgrundlage
Elie Wiesel: Die Nacht. Erinnerungen und Zeugnis, Freiburg i.Br.: Herder, 2013. 160 S.
"Die Nacht" ist Wiesels autobiographischer Bericht über die letzten Wochen in seiner Heimat, über die Deportierung und seinen Überlebenskampf in den Lagern Auschwitz und Buchenwald.
Für den Religionsunterricht eignet sich "Die Nacht" als Ganzschrift, werden hier doch aus der Perspektive des fünfzehn- und sechzehnjährigen Wiesels zentrale Fragen von bleibender Bedeutung aufgeworfen: Wie kann die Menschheit zusehen, wenn Menschen verbrannt werden? Wo ist Gott in all dem Schrecken?
Im Angesicht der Vernichtung lässt Wiesel nicht von der Gottesfrage ab, stellt sie vielmehr mit neuer Vehemenz. So ist "Die Nacht" nicht nur als Lebens-, sondern auch als Glaubensgeschichte zu lesen.
Unterrichtsbausteine
Baustein 1: Der Bericht eines Überlebenden
- Es ist besser, narrativ als mit Fakten in diese Unterrichtseinheit „einzusteigen“. Dies kann mit einer kurzen Geschichte geschehen (M 1) oder mit der Lektüre des ganzen Buches „Die Nacht“ von Elie Wiesel. Bewährt hat sich: Die Lehrerin/der Lehrer liest weite Teile des Buches selbst vor. Im Hintergrund teilweise: Ruhige jiddische Musik, z.B. ruhige Klarinetten-Stücke von Giora Feldmann.
- Bei der Lektüre der Ganzschrift kann das Buch in 4 Teile aufgeteilt werden:
Teil 1: S. 17-56; Teil 2: S. 57-88; Teil 3: S. 89-127; Teil 4: S.128-Schluß (Die Seitenzahlen sind in fast allen deutschen Ausgaben gleich). Teil 1 kann komplett von der Lehrerin/dem Lehrer vorgelesen werden, Teil 2 von den Schülerinnen/Schülern zu Hause, Teil 3 wieder im Untericht usw. - „Schreibgespräch“ in 4er bis 5er Gruppen nach dem Vorlesen des zentralen Textes auf S. 56 ( M 2): Der Text M 2 wird kopiert und in die Mitte eines Plakats geklebt. Außen herum schreiben die Schülerinnen und Schüler schweigend ihre Gedanken zu dem Gehörten. Wichtige Regel: Gespräche sind nur schriftlich auf dem Plakat erlaubt.
- Die Gruppen berichten anschließend der Klasse von ihren Gedanken und „Gesprächen“ und schreiben einzelne wichtige Gedanken in Kurzform um die in der Mitte der Tafel hervorgehobene Aussage „Nie werde ich diese Nacht vergessen“ herum.
- Die Lehrerin/der Lehrer nimmt die Plakate mit, wertet sie sorgfältig aus und knüpft in den kommenen Stunden immer wieder an einzelnen Aussagen an. Insbesondere wird die Religionslehrerin/der Religionslehrer auf die Gottesfrage zurückkommen, wobei in M 2 eine erste, unmittelbare Reaktion Elie Wiesels in Blick auf seinen Glauben an Gott angesprochen wird. Es bleibt jedoch keineswegs seine letzte.
Baustein 2: Die Lebensgeschichte Elie Wiesels
- Elie Wiesel verwandelte seine Erinnerungen an die Schrecknisse der Lager in eine Botschaft der Menschlichkeit und des Festhaltens an Gott. Pausenlos ist er aktiv im Kampf gegen Menschenrechtsverletzungen in aller Welt (M 3).
- Partnerarbeit zu den Fragen unter M 3.
Baustein 3: Wo ist Gott?
- Wie ein roter Faden zieht sich die Frage nach Gott durch das literarische Werk Elie Wiesels. Als Kind wuchs er in der Tradition des „Chassidismus“ auf (Chassidim wörtl.: „die Frommen“), eines besonders lebendigen Zweigs des osteuropäischen Judentums seit dem späten 18. Jahrhundert. Der Chassidismus war eine Popularisierung der jüdischen Mystik, der Kabbala, deren theologischer Kern ähnlich der christlichen Mystik lautet: Gott finden in allen Dingen. Und: Jeder Mensch ist unmittelbar in Beziehung zu Gott.
- Erster Schritt: Meditatives Schreiben. Auf vorbereitete Zettel aufschreiben lassen: Wo, meinst Du, ist Gott heutzutage zu finden - in Deinem Leben, in unserer Welt? (Für das Unterrichtsgespräch ist es wichtig, Äußerungen ernst zu nehmen wie: Gott ist nirgendwo. Ich kann Gott nicht sehen. etc.) Die Zettel (z.B. grüne) werden von den Schüler/-innen unter die Überschrift „Wo ist Gott?“ an die Tafel geklebt (Klebestreifen oder Magnete). Alle bleiben vorne und lesen - möglichst in Stille - die Zettel der anderen.
- Zweiter Schritt: Lesen von M 4. Fragen an die Schüler/-innen für Kleingruppengespräche: Wie denkt Elie Wiesel über die Frage an der Tafel? Vergleicht die beiden Geschichten aus der Kindheit und angesichts des Lagers miteinander. Was hälst Du von der Aussage des Chassidismus? Wie denkst Du über die Szene aus dem Lager? (Letztere ist offen für mehrere Deutungen.) Die Gruppen beschriften mehrere Zettel (z.B. rote) mit Gedanken zu M 4, bringen sie anschließend nach vorne zur Tafel und erläutern sie der Klasse. Auch der Hefteintrag erfolgt zweifarbig (grün: „unsere Antworten auf die Frage Wo ist Gott?“; rot: „Elie Wiesels Antworten“).
Baustein 4: Streiten mit Gott im Religionsunterricht
- Schon vor Jahren schrieb der Exeget Meinrad Limbeck, daß die Klage im Christentum eine verschwundene Gebetsgattung darstellt. Die biblischen Klagepsalmen und der Weg Ijobs fanden jedoch in der jüdischen Tradition ihre Fortsetzung bis in liturgische Vollzüge hinein. Zeigt man Jugendlichen auf, daß die Klage eine legitime, gläubige (!) Form des Gebets sein kann, finden manche vielleicht wieder einen anfanghaften Zugang, mit Gott zu reden - und sei es in Form eines Streits!
- Elie Wiesel greift die Tradition der Klage gegen Gott angesichts seiner Erfahrung in den Todeslagern auf. Eine Parallele findet sich in dem Musikstück der Gruppe Jontef, die jüdisches Liedgut neu vertont (M 5).
- Im Unterricht läßt man sich zunächst zusammen mit den Schüler/-innen auf Lied und Texte aus M 5 ein. Danach wird eine „Klagemauer“ gebaut: Entweder auf Schuhkartons oder einfach auf farbige, möglichst kartonierte DIN A4 Blätter läßt man die Jugendlichen in Stille ihre Klagen an Gott formulieren, z.B. „Gott, warum läßt Du es zu, daß ...“, oder „Gott, ich klage Dich an, weil ...“ Jeder Schüler/jede Schülerin bringt seine Klagen nach vorne und liest sie der Klasse laut vor. Die Aussagen bleiben unkommentiert. Nun werden entweder die Schuhkartons zu einer „Klagemauer“ aufgetürmt (etwa auf dem Pult) oder an der Tafel mit Klebestreifen/Magneten eine „Klagemauer“ angedeutet.
- Ein Unterrichtsgespräch gleich anschließend oder in der folgenden Stunde über das mögliche In- und Miteinander von Klage und Vertrauen im Leben eines gläubigen Menschen (M 6) kann neue Dimensionen öffnen und das Gottesbild von Jugendlichen von kindlich-naiven Gottesvorstellungen hin zum Modell einer partnerschaftlich-dialogischen Gottesbeziehung weiterentwickeln.
Baustein 5: Eine Quelle der Hoffnung
- Elie Wiesels Weg ist kein Weg der simplen Antworten. Und dennoch ist seine Kernbotschaft eine einfache, für jedermann verständliche: Entscheidend ist das Vertrauen auf Gott, entscheidend ist die Mitmenschlichkeit. Im Unterricht sollte den Schüler/-innen deutlich werden, daß für den Auschwitz-Überlebenden Wiesel beides untrennbar zusammengehört: Gottesglauben und Mitmenschlichkeit.
- Schüler/-innen können diese „Botschaften“ im Sinne von Vorbildlernen am ehesten aneignen, wenn sie sich direkt oder indirekt mit der Person auseinandersetzen. Die Zitatensammlung (M 7) hilft dabei. Ein fiktiver oder realer Brief an Elie Wiesel ermöglicht, daß alle Unterrichtsbausteine und alles über Wiesel Gehörte von den Schüler/-innen aktiv aufgearbeitet wird.
Downloads
Den Unterrichtsentwurf mit allen Materialien als PDF-Version können Sie hier downloaden.
Hinweis: Erstveröffentlichung dieses Unterrichtsentwurfes in:
- Glaubensprofile: Elie Wiesel, in: notizblock. Zeitschrift für Religionslehrerinnen und Religionslehrer der Diözese Rottenburg-Stuttgart 26/1999, S. 43-50 (Wiederabdruck in: Franz Wendel Niehl (Hg.): Christen-Juden, Katechetisches Institut des Bistums Trier, 2002).
- Die hier zur Verfügung gestellten Materialien wurden überarbeitet und formatiert im Rahmen der Wiederveröffentlichung auf https://www.nostra-aetate.uni-bonn.de/elie-wiesel/paedagogische-impulse/paedagogische-impulse
Artikel
- Babic, Matthias/Maitereth, Juliane/Strasser, Nina-Marie: »Nie werde ich diese Nacht vergessen, [...]« It’s a Podcast – Erinnerungskultur im Religionsunterricht neu erleben, in: Zeitschrift für christlich-jüdische Begegnung im Kontext (ZfBeg), 2021 (Heft 3), S. 241-243. Eine PDF-Datei des Artikels finden Sie hier.
Für den vorliegenden Unterrichtsentwurf wurde das digitale Medium Podcast gewählt. Seit ein paar Jahren liegen Podcasts voll im Trend, diverse Influencer_innen betreiben mittlerweile ein solches Format. Die mal mehr, mal weniger langen Folgen finden eine breite Hörerschaft und werden auf dem Weg zur Schule, in der Badewanne oder auch vor dem Einschlafen gehört. Podcasts können jedoch nicht nur der reinen Unterhaltung dienen, sondern auch sachliche und informative Inhalte behandeln. Viele Podcastbetreiber greifen aktuelle Themen auf oder machen beispielsweise auf Missstände in unserer Zeit und Gesellschaft aufmerksam. Im Blick auf erinnerungsgeleitete Lehr-Lern-Prozesse vermag dieses Medium, den Spagat zwischen Gegenwart und Vergangenheit – und konkret innerhalb dieser Unterrichtseinheit – zwischen den Schüler_innen selbst und der Person Elie Wiesel zu überbrücken.
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Hinkelmann, Nina/Zwior, Laurenz: »Um zu vergessen, spricht man. [Um zu erinnern, schweigt man].« Unterrichtsentwurf zu Elie Wiesels Der Schwur von Kolvillág, in: Zeitschrift für christlich-jüdische Begegnung im Kontext (ZfBeg), 2021 (Heft 3), S. 244-247. Eine PDF-Datei des Artikels finden Sie hier.
[D]ieser Unterrichtsentwurf zu Elie Wiesels Der Schwur von Kolvillág [soll] einen Beitrag leisten, indem neben der Verwendung des Romans eines jüdischen Holocaust-Überlebenden und Friedensnobelpreisträgers das zusätzliche Lehr-Lern-Material ebenfalls aus jüdischen Quellen stammt. So soll gewähreistet werden, dass nicht nur über das Judentum gesprochen, sondern mit dem Judentum gelernt wird.
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Schober, Michael: Filmtipp: Die Schüler der Madame Anne (Les héritiers), in: Zeitschrift für christlich-jüdische Begegnung im Kontext (ZfBeg), 2021 (Heft 3), S. 248-249. Eine PDF-Datei des Artikels finden Sie hier.
In dem US-Film Freedom Writers steht dabei stärker das Umfeld der Schüler_innen mit Banden- kriegen und ethnischen Konflikten im Mittelpunkt, wobei die Lehrerin das Vertrauen der Schüler_innen dadurch gewinnt, indem sie glaubhaft signalisiert, an den extremen Erfahrungen der Schüler_innen interessiert zu sein – praktisch jede_r von ihnen hat bereits Opfer im Bandenkrieg zu beklagen. In der Klasse entsteht ein fragiler Schutzraum, der einigen Schüler_innen den Ausstieg aus den gewalthaltigen Teufelskreisen ermöglicht.