Prof. Dr. Ammicht Quinn
Scham wir in der psychoanalytischen Forschung immer wieder als „the cinderella of emotions“ bezeichnet: genauso wenig hoffähig wie Aschenputtel. Scham ist vielleicht das heimlichste Gefühl in unserer Gesellschaft, das nicht nur den Wunsch erweckt, uns zu verbergen, sondern das selbst verborgen wird, weil es sich mit den Maximen der Selbstachtung und Selbstdarstellung überhaupt nicht verträgt. Es gibt heute eine normative Erwartung auf Schamlosigkeit hin: Sich zu schämen ist beschämend geworden. Höchstens über ein „Fremdschämen“, ein Wort, das 2009 in den Duden aufgenommen wurde, kann man sich noch verständigen.
Welcher Zusammenhang aber besteht zwischen Scham und einem guten Leben? In welcher Hinsicht ist Scham eine moralische Kategorie, die dem individuellen und gesellschaftlichen Leben unterliegt und es steuert? Welche Arten der Scham lassen sich unterscheiden und welche Rolle spielt Beschämung für das Aufrechterhalten gesellschaftlicher Grenzen?
Das Seminar wird sich mit psychologischen und soziologischen Schamtheorien befassen, nach Scham in Kulturen und Religionen fragen, nach dem Zusammenhang von Scham und Schuld, und es wird die Rolle von Gefühlen für moralisches Handeln reflektieren. Dabei können Kompetenzscham, Körperscham und Sexualscham unterschieden werden. Die entscheidende Frage dabei wird sein, welche Wirkung Beschämung und Beschämungsrituale auf Individuen und Gruppen haben – und welche Art der Scham zu einem guten Leben gehört.