Dank jahrzehntelanger archäologischer Tätigkeit der American Academy of Rome scheint kaum eine antike Stadt Italiens aus republikanischer Zeit auf den ersten Blick besser erforscht als Cosa, neben dem heutigen Ort Ansedonia und etwa 120km nördlich von Rom gelegen. Dort war 273 v. Chr. eine römische Kolonie zur Sicherung eigener Interessen auf etruskischem Gebiet gegründet worden, die später eine sehr wechselvolle Geschichte voller Blütezeiten und Katastrophen erleben sollte. Der Einfluss der amerikanischen Grabungen bzw. der Publikationen ihrer Ergebnisse (vor allem durch Frank Brown) ist als außergewöhnlich zu bezeichnen: kaum ein Handbuch, das ohne die verschiedenen Bauten, Stadtmauern bzw. Strukturen der Innenbebauung auskommt, deren Charakteristika, Aussehen und zeitlichen Einordnungen von den Ausgräbern sehr bestimmt dargestellt worden waren. Man glaubte anhand des Ergrabenen relativ genau zu wissen, wie die übrige Stadt in ihrem Gesamtbild und in ihrer historischen Entwicklung ausgesehen haben müsste.
Auch deswegen folgte in den 90er Jahren eine zweite Phase der intensiven Erforschung der Stadt durch E. Fentress, die sich sehr kritisch mit den früheren archäologischen Arbeiten und Interpretationen auseinandersetzte, diese zum Teil sehr bewusst falsifizieren wollte und einen neuen Schwerpunkt auf die späteren Besiedlungsphasen bis ins Mittelalter legte. Zahlreiche und sehr kleinräumige Sondierungen im ganzen Stadtgebiet wurden vor allem dort angelegt, wo man Straßen oder Straßenkreuzungen vermutete, um tatsächlich das gesamte Areal erfassen zu können: die Folge waren neue Bebauungspläne, die ein viel stärker zeitlich differenziertes Bild zeichneten, aber in Vielem noch immer auf Hypothesen bzw. Interpolierung angewiesen waren. Danach verschwand Cosa wieder für einige Jahre von der Landkarte der laufenden Grabungsprojekte in Italien.
2013 nahm schließlich Prof. Dr. A. U. DeGiorgi von der Universität Tallahassee/Florida die feldarchäologischen Tätigkeiten wieder auf, denn Cosa kann aus mehreren Gründen mitnichten als vollständig erforscht gelten. Viele Fragen zu Gebäuden und tatsächlicher Struktur der Stadt waren immer offen geblieben bzw. hatten sich in den letzten Jahrzehnten in der mediterranen Welt so viele neue Gesichtspunkte ergeben, dass auch alte, als eigentlich gesichert angesehene Ergebnisse wieder in Frage gestellt werden müssen: war die Stadt überhaupt je auf vollständige Bebauung ausgelegt? Stimmen die Datierungen von eindrucksvoller, polygonaler Stadtmauer oder dreiteiligen Bogen am Eingang zum Forum überhaupt? Wo zeichnet sich ein offensichtlich in augusteische Zeit zu setzender Aufschwung architektonisch eigentlich ab? Handelt es sich bei der imposanten Badeanlage mitten in der Stadt womöglich um eine der frühesten ihrer Art?
Während sich der Projektleiter A. U. DeGiorgi mit seinem Team der erstmalig umfassenden Erforschung eben dieser prominent im Stadtzentrum platzierten Badeanlage widmet, ist es Ziel der Tübinger Archäologen, das Stadtgebiet mit seiner Bebauung gesamtheitlich zu erfassen. Dies geschieht zunächst vorrangig mit geophysikalischen Messmethoden durch die Freiburger Firma `GGH Solutions in Geosciences´, wobei sich vor allem der Einsatz von Georadar als äußerst gewinnbringend erwiesen hat. Obwohl zeitaufwändig und mit der Notwendigkeit verbunden, das Gelände erst von Bewuchs und größeren Steinen oberflächlich säubern zu müssen, sind die bisherigen Ergebnisse noch wesentlich besser als erhofft: klar zeichnen sich bislang noch nicht aufgedeckte Mauerzüge und Zisternen als Anomalien ab und stellen wesentlich verlässlichere Indikatoren für die jeweilige Bebauungsdichte dar.
Dies ist allerdings bereits der entscheidende Punkt, denn wo sich im Zentrum neben dem so genannten `Haus der Diana´ deutlich der nächste und abermals sehr großzügig angelegte Wohnkomplex erkennen lässt, zeigen die Messbilder weiter westlich und in größerer Nähe zur Stadtmauer nur noch die Anlage (und auch Pflasterung) von Straßen, jedoch ohne Häuser dazwischen. An einer Stelle scheint sich sogar ein Steinbruch zur Gewinnung von Baumaterial für die Stadtmauer abzuzeichnen, was angesichts der ohnehin geringen Ausdehnung des Stadtgebietes einigermaßen überrascht. In den nächsten Jahren soll das gesamte Stadtgebiet so weit wie irgend möglich in dieser Art und Weise erforscht werden, wobei es bisweilen notwendig und sinnvoll sein wird, die sichtbar gewordenen Strukturen durch kleinräumige Grabungen auch in ihrer Datierung zu erfassen.
Siehe auch http://www.cosaexcavations.org/
Literatur:
- F. E. Brown, Cosa I. History and Topography, MemAmAc 20, 1951, 5–113
- F. E. Brown, Cosa. The Making of a Roman Town (Michigan 1980)
- R. T. Scott, The Latin colony of Cosa, Dialoghi di archeologia, ts6, 2, 1988, 73–77
- F. E. Brown – E. Hill Richardson – L. Richardson, Cosa III. The Buildings oft he Forum, MemAmAc 37, 1993
- E. Fentress, Introduction. Frank Brown, Cosa, and the Idea of a Roman City, in: E. Fentress (Hrsg.), Romanization and the City: Creation, Transformations, and Failures: Proceedings of a Conference Held at the American Academy in Rome to Celebrate the 50th Anniversary of the Excavations at Cosa, 14–16 May, 1998, JRA Suppl. 38 (Portsmouth 2000) 11–24
- E. Fentress (Hrsg.), Cosa V. An Intermittent Town. Excavations 1991–1997, MemAmAc Suppl. 2 (Michigan 2003)
- E. Fentress, Cosa in the Empire. The Unmaking of a Roman Town, JRA 7, 1994, 208–222
Mitarbeiter:
L. Balandat B.A.; J. Krippner B.A.; M. Rönnberg B.A. (Universität Tübingen)