Mit der Wende vom 6. zum 5. Jh. v. Chr. verfestigte sich in Ionien der Brauch, die Gräber der Verstorbenen durch eine steinerne Stele mit figürlichem Reliefschmuck zu markieren. Diese ionischen Grabreliefs finden sich im Verlauf des 5. Jhs. v. Chr. auf dem kleinasiatischen Festland und den griechischen Inseln sowie in den ionischen Apoikien der nördlichen Ägäisküste und des Schwarzmeerraumes. Bildeten Athen und Attika noch im 6. Jh. v. Chr. ein Zentrum bei der Errichtung von Grabmarkierungen in Form von freistehenden Skulpturen und Reliefstelen, so endete dort die Produktion zu Beginn des 5. Jhs. v. Chr. unvermittelt und wurde erst nach mehreren Generationen um 430 v. Chr. wieder aufgenommen. Dabei scheint es wenig wahrscheinlich, dass das Wiederaufleben der Gattung in Athen von den Entwicklungen im ionischen Raum unberührt blieb, denn genau in den beiden Jahrzehnten vor dem dortigen Wiederbeginn erreichte die Produktion von Grabreliefs in Kleinasien und auf den Kykladen ihren Höhepunkt. Dennoch zeichneten Teile der archäologischen und althistorischen Forschung für den ionischen Raum nach der Niederschlagung des ionischen Aufstandes 494 v. Chr. ein Bild, das vom Konflikt mit dem persischen Großreich geprägt blieb und wesentliche Beiträge der Region zur Entwicklung der klassischen Skulptur nicht erwarten ließ. Unter anderem um die Tragfähigkeit dieses Narrativs zu überprüfen, sollen die ionischen Grabreliefs der zweiten Hälfte des 5. Jhs. v. Chr. zum ersten Mal gesammelt und gemeinsam untersucht werden. Für die hiesige Untersuchung erweist sich allerdings auch eine grundlegende Neubetrachtung der Grabreliefs aus der ersten Jahrhunderthälfte als unbedingt erforderlich – um den Ausgangspunkt für die Entwicklungen ab der Mitte des 5. Jhs. v. Chr. besser zu erfassen – da seit dem Erscheinen des Standardwerkes von Hilde Hiller vor fast 50 Jahren viele Neufunde den Bestand an bekannten ionischen Grabreliefs erweitert haben.